Der Milliardär und seine Stiftung - Hat Bill Gates zu viel Macht?

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist die Stiftung des amerikanischen Software-Milliardärs ins Gerede gekommen. Die Bill & Melinda Gates Foundation gibt Anlass für zahlreiche Verschwörungstheorien. Aber inzwischen melden sich auch seriöse Kritiker zu Wort. Worum geht es?

Traditionelle Hilfswerke warnen vor privaten Akteuren: Bill und Melinda Gates / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es waren mitunter skurrile Bilder, die sich dem Beobachter bei den zahlreichen „Hygienedemos“ gegen Restriktionen im Zuge der Corona-Pandemie boten. Von „Nur Jesus kann uns retten“ über „Kapitalismus ist die Krankheit – nicht Cov19“ bis „Weg mit dem Merkel-­Regime“ war auf engstem Raum, etwa am Rosa-­Luxemburg-Platz im Herzen Berlins, all das zu lesen und zu hören, was sonst kaum zusammenfindet. Neben zahlreichen Teilnehmern, die einfach gegen die Einschränkung von Bürgerrechten protestieren wollten, suchten und fanden dort auch links- und rechtsradikale Aktivisten, Corona-Leugner, Impfgegner, Esoteriker und Weltverschwörungstheoretiker ihr Podium. Was diese äußerst heterogenen Versammlungen allerdings offensichtlich als Klammer in Form eines Feindbilds zusammenhält, wurde ebenfalls deutlich. Es ist der US-amerikanische Informatiker, Unternehmer und Stiftungsgründer William Henry Gates III, bekannt unter dem Namen Bill Gates.

Für diese Rolle bringt Gates beste Voraussetzungen mit. Er gehört seit Jahrzehnten zu den reichsten Menschen auf diesem Planeten, sein Vermögen wird auf 108 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die von ihm, dem damals 19-Jährigen, 1975 zusammen mit Paul Allen gegründete Firma Microsoft entwickelte sich zum weltweit führenden Softwareunternehmen und somit zum Motor der digitalen Revolution. Vor allem die ab 1985 eingeführten Betriebssysteme für Computer revolutionierten die digitale Technik und machten sie für jedermann anwendbar. Es war diese eine, geniale Vision vom PC als global verbreiteten Massengut, die Microsoft zum wertvollsten Unternehmen der Welt machte und Gates als größten Anteilseigner zum reichsten Mann.

Sein rasanter Aufstieg und die damit verbundene Macht stießen stets auf Misstrauen und Gegenwehr. Microsoft erreichte bei Betriebssystemen phasenweise einen globalen Marktanteil von 97 Prozent, ähnlich verhielt es sich mit Anwendungssoftware wie Microsoft Office. Seine Marktmacht nutzte der Konzern rigoros aus. Konkurrenten wurden aufgekauft oder mit rüden Methoden vom Markt gedrängt, etwa durch Exklusiv- und Knebelverträge mit Hardware-Herstellern und staatlichen sowie privaten Institutionen. Auch mit den Kartellwächtern der EU geriet Microsoft aneinander: Jahrelang war der Konzern seiner auferlegten Verpflichtung, den Nutzern seiner Betriebssysteme die freie Wahl des Internetbrowsers zu ermöglichen und die Kopplung an das eigene Produkt Internet Explorer zu lösen, nicht nachgekommen. Im März 2013 verhängte die EU-Kommission schließlich eine Geldbuße in Höhe von 561 Millionen Euro – für Microsoft wenig mehr als ein Griff in die Portokasse.

Die neue Lebensaufgabe der Gates'

Zu diesem Zeitpunkt hatte Gates sich bereits aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Den Posten des Vorstandschefs gab er schon im Januar 2000 an Steve Ballmer ab; danach fungierte er als Chefentwickler. Im Juni 2006 kündigte Gates an, sich binnen zwei Jahren komplett aus der Firmenleitung zurückzuziehen, lediglich den Posten im Aufsichtsrat behielt er noch bis 2014.

Verteilt über mehrere Jahre hatte Bill Gates zu diesem Zeitpunkt den Großteil seiner Microsoft-Anteile bereits verkauft und bündelte sein Vermögen in der 1995 von ihm gegründeten Investmentgesellschaft Cascade. Deren Portefeuille umfasst mittlerweile Unternehmensanteile im Wert von 40 Milliarden Dollar. Die Investments sind breit gestreut, von Coca-Cola über eine kanadische Eisenbahngesellschaft bis hin zur Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway.

Als künftige Lebensaufgabe bezeichnete Gates die Arbeit für die von ihm und seiner Frau 1999 gegründete Bill & Melinda Gates Foundation, in die im Laufe seiner verbleibenden Lebenszeit auch sein privates Vermögen fast vollständig einfließen soll. Bis jetzt hat das Ehepaar Gates knapp 47 Milliarden US-Dollar in ihre Stiftung eingebracht.

Synonym für das Böse in der Welt

Schon zu seinen Zeiten als Microsoft-Chef tauchte die Idee auf, dass Gates möglicherweise Kopf einer Verschwörung dunkler Mächte sei, die mittels totaler digitaler Kontrolle die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Das Muster ist geblieben, nur dass es diesmal eben nicht um teuflische Software geht, sondern um globale Zwangsimpfungen, mit denen die Menschheit gesteuert werden soll, etwa durch Beimischung dauerhaft wirksamer psychotroper Substanzen, Mitteln zur Sterilisation oder auch Nanochips. Allerdings gab es stets auch andere Kandidaten für die vorderen Plätze auf den Verschwörerlisten, etwa den amerikanischen Finanzunternehmer und global agierenden Stiftungsförderer George Soros, der sich – anders als Gates – auch unmittelbar mit viel Geld in politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, vor allem in Osteuropa, einmischte.

Der junge Gates in seinem Büro / Paul Chesley

Doch mittlerweile ist der Name Gates in manchen Kreisen nahezu unangefochten zum Synonym für das Böse in der Welt avanciert. Die Bill & Melinda ­Gates Foundation ist mit Einlagen von fast 50 Milliarden Dollar die mit Abstand größte private Stiftung der Welt, vor dem britischen Wellcome Trust (26 Milliarden Pfund) und den Open Society Foundations von ­George Soros (18 Milliarden Dollar). Im Verwaltungsrat der Stiftung sitzt mit Warren Buffett, dem viert­reichsten Menschen der Welt, ein weiteres Schwergewicht der Investmentbranche.

Die Ziele der Gates-Stiftung sind in der Satzung im klassischen philanthropischen Jargon formuliert. Sie wolle dazu beitragen, dass „alle Menschen ein gesundes und produktives Leben führen können“. Aus dem Tätigkeits- und Finanzbericht für das Jahr 2018 geht hervor, dass 3,16 von insgesamt fünf Milliarden Dollar an Projektgeldern in Global-Development- und Global-Health-Projekte flossen – davon wiederum ein großer Teil in Impfkampagnen in verschiedenen Ländern gegen Polio, Malaria und Tuberkulose sowie die Entwicklung neuer Impfstoffe.

Verfolgt Gates knallhart ökonomische Interessen?

Um das Stiftungsvermögen nicht nachhaltig zu schmälern, müssen diese Summen immer wieder neu erwirtschaftet werden. Ökonomische Basis ist der zur Stiftung gehörende Bill & Melinda Gates Foundation Trust, der hauptsächlich in Aktien investiert und 2019 ein Anlagevermögen von 30 Milliarden Dollar aufwies. Auch hier sind die Anlagen breit gestreut, Pharmafirmen spielen aber nur eine kleine Rolle.

Der größte und vor allem stetig wachsende Posten sind aber Anteile an Warren Buffetts Fonds Berk­shire Hathaway. Buffett hatte im Jahr 2006 angekündigt, der Gates-Stiftung im Laufe seines Lebens große Anteile seines Vermögens zu spenden, bislang sind es über 30 Milliarden Dollar. Die Erlöse von Berk­shire Hatha­way sind also eine wesentliche Säule der ­Gates-Stiftung. Dieses Portefeuille ist deutlich anders gestrickt und umfasst vor allem Finanzkonzerne wie American Express, Bank of America, JP Morgan, U. S. Bancorp und Goldman Sachs, die Ratingagentur ­Moody’s, aber auch Logistikunternehmen wie Wells Fargo und Delta Air. Auch bei Berkshire Hathaway spielen Pharmaunternehmen kaum eine Rolle.

Ist damit die derzeit oft zu hörende Behauptung, Gates und seine Stiftung verfolgten mit ihren Impfkampagnen und Impfstoffentwicklungen keineswegs philanthropische, sondern knallharte ökonomische Ziele, widerlegt? Nicht ganz. Denn zur Gates-Stiftung gehört noch ein weiteres Finanzierungselement, der mit 2,5 Milliarden Dollar ausgestattete Strategic Investment Fonds, der ausschließlich Unternehmen der Gesundheitswirtschaft fördert, unter anderem mit Kreditbürgschaften und Kapitalbeteiligungen. So steckte die Gates-Stiftung bereits 2015 über 50 Millionen Dollar in die Tübinger Firma Curevac, die derzeit intensiv an einem Covid-19-Impfstoff forscht. Curevac geriet vor einigen Wochen in die Schlagzeilen, als vermeintliche Pläne des US-Präsidenten Donald Trump bekannt wurden, das Unternehmen durch Übernahme in die Vereinigten Staaten zu überführen, um dann einen Impfstoff exklusiv für den amerikanischen Markt produzieren zu lassen. Auch an der Mainzer Firma Biontech ist die Stiftung mit 55 Millionen Dollar beteiligt. Dort wird vor allem an der Weiterentwicklung von HIV- und Tuberkulose-Impfstoffen gearbeitet, aktuell aber ebenfalls im Bereich Covid-19. Derzeit laufen erste klinische Studien möglicher Impfstoffe in Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer.

Privatfinanziers mit viel Einfluss auf die WHO

Es lässt sich also nicht von der Hand weisen, dass die Gates-Stiftung unmittelbare Interessen an der Einführung und Verbreitung bestimmter Impfstoffe hat. Und genau an diesem Punkt wird das Engagement der Stiftung bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) interessant. Nach dem angekündigten Rückzug der US-Regierung könnte die Gates-Stiftung im nächsten Jahr zum größten Einzelfinanzier der WHO werden, mit einem Anteil von rund 11 Prozent am Gesamtetat. Und die Spenden der Stiftung wandern eben nicht wie staatliche Beiträge zur freien Verfügung in den WHO-Topf, sondern sind stets projektgebunden, meistens für spezielle Impfkampagnen.

Formal ist die WHO eine demokratisch verfasste, supranationale Unterorganisation der UN, der 194 Staaten angehören. Zu ihren Aufgaben gehören die Analyse von Krankheitsentwicklungen und entsprechende regionale und globale Interventionen. Die WHO soll auf der Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Expertise internationale Standards für Behandlungen setzen, Staaten beim Aufbau ihres Gesundheitswesens unterstützen und Forschung und Entwicklung vorantreiben, besonders bei Impfstoffen. Einer der großen Erfolge der WHO war die 1980 verkündete Ausrottung der Pocken.

Doch wie passt das mit der Privatisierung der Finanzierung zusammen? Nur noch 20 Prozent des Etats wird durch Pflichtbeiträge der Staaten gedeckt. Das war nicht immer so. Bis Ende der neunziger Jahre kamen noch rund 80 Prozent aller Haushaltsmittel der WHO aus den Pflichtbeiträgen, anteilig bemessen an der Einwohnerzahl und dem Wohlstandsindex. Hinzu kamen freiwillige Beiträge einiger Länder. Doch große Einzahler, allen voran die USA und Großbritannien, kürzten ihre Zuwendungen. Diese Lücke füllten dann zunehmend private Stiftungen, allen voran die Bill & Melinda Gates Foundation, die zum Doppelhaushalt der WHO in den Jahren 2018/2019 insgesamt 530 Millionen US-Dollar beisteuerte. Zum Vergleich: Der deutsche Beitrag belief sich für diesen Zeitraum auf 58 Millionen Dollar. Andere wichtige Finanziers sind unter anderen der US-amerikanische National Philantropic Trust und die Internationale Vereinigung der Rotarier.

WHO: Ohne private Geldgeber nicht mehr handlungsfähig

Eine besondere Rolle spielt auch die Impfallianz Gavi, die sich vor allem für flächendeckende Kinderschutzimpfungen in weniger entwickelten Staaten einsetzt. Auch bei Gavi ist die Gates-Stiftung ein wichtiger Geldgeber, dazu gehören aber auch Pharmakonzerne wie Pfizer. Laut einer Videobotschaft von Gates sind über Gavi bereits 760 Millionen Impfdosen angeschafft und eingesetzt worden. Dabei ist – abgesehen von einigen esoterischen Impfgegnern – unbestritten, dass dies vor allem in einigen Regionen Afrikas und Asiens effektiv zur Eindämmung bestimmter Krankheiten beigetragen hat. Dennoch ist die Gemengelage nicht unproblematisch, denn ohne private Geldgeber wäre die WHO nicht mehr handlungsfähig. Und wenn Pharmafirmen sowie private Stiftungen, die an den Profiten von Pharmafirmen partizipieren, unmittelbar erheblichen Einfluss auf weitreichende Entscheidungen zum großflächigen Einsatz bestimmter Impfstoffe für Prophylaxe und Therapien haben, dann sind gewisse Zweifel an der Unabhängigkeit der WHO-Gremien zumindest nicht völlig unplausibel.

Bill Gates selbst macht derzeit in Bezug auf die Corona-Pandemie keinen Hehl aus seinem Führungsanspruch in Sachen Impfschutz. In einem denkwürdigen Interview in den ARD-Tagesthemen erklärte er am 12. April unumwunden: „Wir werden einen Impfstoff entwickeln und diesen sieben Milliarden Menschen verabreichen.“ Es sei eine Aufgabe der Weltgemeinschaft, die Forschung und Entwicklung dieses Impfstoffs mit allen verfügbaren Mitteln zu fördern. Und weiter: „Unsere Stiftung spielt dabei eine große Rolle, denn wir sind die größten Förderer von Impfstoffen.“ Am selben Tag erschien ein Meinungsbeitrag von Gates in der Zeitung Die Welt, in dem er von der Staatengemeinschaft viele Milliarden Euro Fördergelder einforderte und gleichzeitig anbot, dass Gavi die globale Verteilung der Impfstoffe organisieren könne. Tatsächlich konnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits wenige Wochen später die erfolgreiche Akquise der angepeilten 7,4 Milliarden Euro für verbesserte Tests und die Entwicklung von Medikamenten und einem Impfstoff vermelden – davon 100 Millionen von der Gates-Stiftung. Das Geld geht unter anderem an Gavi, aber auch an eine weitere internationale Nichtregierungsorganisation, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi), in der die Gates-Stiftung ebenfalls eine tragende Rolle spielt.

Corona lenkt ab von der permanenten Krise

Traditionelle Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe warnen eindringlich vor den Gefahren der Dominanz privater Akteure. Die Präsidentin der beiden Hilfswerke, Cornelia Füllkrug-Weitzel, bezeichnete es gegenüber Cicero als sehr problematisch, dass die großen, privaten Stiftungen „die Prioritäten der globalen Gesundheitspolitik diktieren“ und sich „ausschließlich auf marktbasierte Lösungen im Gesundheitsbereich“ konzentrieren. Daher sei die Medikamentenentwicklung generell „viel stärker von den Interessen der Pharmaindustrie geleitet als von dem Gedanken, bezahlbare Therapien für übertragbare Krankheiten auch armen Ländern zur Verfügung zu stellen“. Es sei verhängnisvoll, so Füllkrug-Weitzel, „alle Mittel nur noch auf Corona zu zentrieren, denn viele arme Länder stecken permanent in einer Gesundheitskrise“. Es fehle an jeder Form von Basisgesundheitsversorgung – an Krankenhäusern, an Personal, an Apparaten und Medikamenten, an Laborkapazitäten und Hygienevorrichtungen.

Von der Bundesregierung, der EU und den Vereinten Nationen fordert Füllkrug-­Weitzel deshalb „klare, verbindliche Rahmenbedingungen und rote Linien für eine Zusammenarbeit“. Interessenkonflikte – zum Beispiel in Bezug auf Pharmaunternehmen – müssten „klar benannt und reguliert werden“. Mit Blick auf die WHO sollten „Bundesregierung und EU ihren Einfluss nutzen, dass Regierungen ihre Beiträge erhöhen und so die Abhängigkeit von privaten Gebern verringern“, die keinerlei demokratischer Kontrolle unterlägen.

Politiker finden die Kooperation meist unproblematisch

Gern hätte man von der Gates-Stiftung erfahren, wie sie zu dieser Kritik steht, doch Anfragen bei der Zentrale in den USA und beim Leiter der Berliner Stiftungsniederlassung wurden abschlägig beschieden beziehungsweise nicht beantwortet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung reagierte auf eine Gesprächsanfrage ebenfalls nicht.

Dafür aber Hermann Gröhe, von 2013 bis 2018 Bundesgesundheitsminister und derzeit stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gröhe bewertet die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen initiierte Geberkonferenz als „wichtiges Signal, dass die internationale Gemeinschaft bei der Bewältigung der Pandemie zusammenarbeitet“, und dafür, dass „Europa hier die Führungsrolle einnimmt“. Der große Einfluss privater Akteure bis hin zu Pharmakonzernen auf globale Gesundheitsprogramme stellt für Gröhe kein Problem dar: „Das Engagement Privater für Aufgaben wie die globale Gesundheit ist ausdrücklich zu begrüßen. Wichtig ist aber, dass die Regierungen, die die internationalen Einrichtungen tragen, in den Leitungsgremien die Entscheidungen über die Normverletzung und über die Ausrichtung der Arbeit treffen und diese Einrichtungen auch angemessen finanzieren.“ Das sei bei den Gesundheitseinrichtungen „klar der Fall“, so die etwas verblüffende Einschätzung des CDU-Politikers. Auch sei es „klug, auf die herausragenden Erfahrungen von Gavi zurückzugreifen“.

Bill Gates im New Yorker Trump Tower nach einem Treffen mit Donald Trump
im Dezember 2016 / Sam Hodgson

Bärbel Bas, Gesundheitsexpertin und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, hat ebenfalls wenig an der derzeitigen Impfstrategie und deren Akteuren auszusetzen. Gavi habe „20 Jahre Erfahrung bei der Stärkung der Verbreitung von Impfungen. Dieses Wissen zu nutzen, halte ich für richtig“, so Bas gegenüber Cicero. Wenn die Vorgänge transparent seien, spreche auch nichts dagegen, „dass sich private Stiftungen unter der Schirmherrschaft und den Richtlinien der WHO an Projekten beteiligen“. Harsche Kritik an den enormen Beiträgen der EU zur Erforschung eines Covid-19-Impfstoffs kommt hingegen von der Linksfraktion im Bundestag. Es seien „keine konkreten Regelungen geschaffen worden, um wirklich allen Menschen weltweit Zugang zu diesem möglichen Impfstoff zu verschaffen“, so die Linken-­Abgeordnete Eva-Maria Schreiber, Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die WHO sei beim Einsatz der Hilfsgelder nur noch ein Akteur unter vielen und jetzt sogar noch „weiter an den Rand gedrängt worden“. Schon seit vielen Jahren würden „private Geber wie Gavi und die Gates-Stiftung das Ruder der globalen Gesundheitspolitik übernehmen“, kritisiert Schreiber.

Was die Kritiker oft verschweigen

Doch jenseits des nachvollziehbaren Unbehagens über die ökonomische und politische Machtfülle des von niemandem demokratisch legitimierten Multimilliardärs wird die Kampagne gegen Bill Gates noch von ganz anderen Akteuren befeuert. Gates sei „schlimmer als Hitler“ war auf „Hygienedemos“ gegen Corona-Restriktionen zu hören und im Netz auf zahlreichen Portalen zu lesen. Die Vorwürfe, die vor allem aus den Reihen der sogenannten Impfgegner zu hören sind, klingen teilweise ausgesprochen bizarr. Gates plane mittels Impfungen eine Reduzierung der Weltbevölkerung, in seinen Programmen seien teilweise absichtlich gefälschte Medikamente eingesetzt worden; Infektionskrankheiten seien gezielt verbreitet oder wie im Fall von Covid-19 sogar in einem Geheimlabor kreiert worden, um anschließend Medikamente testen zu können. Die maßgeblich von der Gates-Stiftung finanzierten Impfkampagnen gegen Polio (Kinderlähmung), HPV (Humane Papillomviren, die Krebs auslösen können), Meningitis (Hirnhautentzündung), Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Malaria in Indien und einigen afrikanischen Ländern seien für unzählige Lähmungen und Todesfälle verantwortlich. Als Quelle für derlei Behauptungen tauchen immer wieder Veröffentlichungen des globalen „Gurus“ der Impfgegnerbewegung, Robert F. Kennedy, auf, die auch von zahlreichen „alternativen Medien“ im deutschsprachigen Raum wie KenFM, Rubikon und RT Deutsch verbreitet und angereichert werden. Verifizieren lassen sich diese Vorwürfe kaum, in einigen Fällen, wie etwa dem behaupteten „Rauswurf“ der Stiftung aus Indien, sind sie auch nachweislich falsch. Auf die Bitte nach einem Gespräch über die Vorwürfe und deren Quellen gab es von KenFM, dem derzeit wohl wichtigsten Medium für Impfgegner im Internet, keine Reaktion.

Der auch von Kritikern der Gates-Stiftung aus dem linken Lager verbreitete Vorwurf, Gates agiere unmittelbar im Interesse des Profitstrebens großer Pharmakonzerne, ist zwar nicht aus der Luft gegriffen, bedarf allerdings einer Relativierung. Die Entwicklung vollkommen neuer Impfstoffe gegen bislang unbekannte Viren ist vom ersten Forschungsansatz bis zur weltweiten Zulassung extrem zeit- und geldaufwendig und führt in den allermeisten Fällen zu keinem kommerziell verwertbaren Ergebnis. Es gilt das Prinzip „The winner takes it all“, denn in der Regel steht am Ende des globalen Forschungswettlaufs eine einzige patentierbare Wirkstoffkombination. Es liegt auf der Hand, dass weder Forschungsinstitute noch kleine Biotech-Firmen oder große Pharmakonzerne willens und in der Lage wären, ohne massive Förderung – von welcher Seite auch immer – entsprechende Risiken einzugehen. Zweifellos winken den Gewinnern des Rennens enorme Gewinne. Doch generell ist der Markt für prophylaktische Impfstoffe relativ überschaubar. Ihr Anteil am Gesamtvolumen des Pharmamarkts liegt im mittleren einstelligen Bereich.

Beeinflusst die Gates-Stiftung deutsche Medien?

Doch im Zuge der Corona-Pandemie ist es kaum noch möglich, die Debatte über das Agieren von Bill Gates auf einigermaßen rationaler Grundlage zu führen. Dabei wäre das dringend notwendig, zumal das Wirken der in Seattle ansässigen Bill & Melinda Gates Foundation mit ihren knapp 1500 festen Mitarbeitern und Niederlassungen in allen Kontinenten (außer Australien) weit über das unmittelbare Agieren im Gesundheitssektor hinausgeht. Eines der fünf Hauptarbeitsfelder mit eigenem zentralen Stab nennt sich Global Policy & Advocacy. Aufgabe dieser global agierenden Abteilung sei „der Aufbau strategischer Partnerschaften mit Regierungen, privaten Hilfsorganisationen, Mediengruppen, PR-Experten und anderen Schlüsselpartnern, die besonders wichtig für den Erfolg der Stiftung sind“, heißt es in der Selbstdarstellung. Derartiges Agieren erfolgt meistens eher im Verborgenen, gerät aber mitunter ans Licht der Öffentlichkeit. So musste der Spiegel-Verlag nach entsprechenden Berichten einräumen, dass die Gates-Stiftung ein journalistisches Projekt des Magazins mit dem Titel „Globale Gesellschaft“ über drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Millionen Euro fördert, nachdem der Verlag dort einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. In einer am 14. Mai veröffentlichten Stellungnahme beteuert das Magazin, dass die Stiftung „inhaltlich keinen Einfluss nimmt und redaktionell zu keinem Zeitpunkt an der Entstehung von Artikeln beteiligt ist“. Allerdings sei es „theoretisch denkbar, dass eine Stiftung mit einer Förderung im Medienbereich die öffentliche Meinung zugunsten eines bestimmten Themas beeinflussen möchte“, wird immerhin eingeräumt.

Frank Überall, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), lehnt eine Kooperation von Journalisten und Medien mit Stiftungen nicht grundsätzlich ab. Allerdings müsse ähnlich wie beim Umgang mit Werbekunden „gewährleistet sein, dass es da eine Brandmauer zwischen Geldgebern und redaktioneller Tätigkeit gibt“, so Überall gegenüber Cicero. Kritisch werde es immer dann, wenn ein Medienunternehmen oder auch einzelne Journalisten „in starkem Maße von bestimmten Geldgebern abhängig sind“, egal ob Stiftungen oder Werbekunden. Generell müsse man angesichts der angespannten Situation auf dem Medienmarkt „Themen wie gemeinnützigen Journalismus und Finanzierung auch durch gemeinnützige Stiftungen in den Blickpunkt nehmen“. Voraussetzung für solche Kooperationen müsse aber absolute Transparenz sein. Es sei jedenfalls nur gut, dass diese Debatte durch die Kooperation des Spiegels mit der Gates-Stiftung jetzt verstärkt in Gang gekommen sei.

Es geht um unser demokratisches Selbstverständnis

Auch in Deutschland gibt es große private, gemeinnützige Stiftungen. So ist beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung zum wichtigsten nichtstaatlichen Thinktank im Bildungswesen avanciert. Aber die Dimensionen sind deutlich bescheidener. Während allein die Gates-Stiftung pro Jahr mehr als fünf Milliarden Dollar für ihre Projekte ausgibt, kommen die 30 größten deutschen Stiftungen zusammen auf gerade mal 880 Millionen Euro. Im Börsenboomjahr 2017 stockten IT-Unternehmer wie Mark Zuckerberg und Michael Dell den Vermögenssockel ihrer Stiftungen um mehrere Milliarden auf. Insgesamt belief sich das Spendenvolumen für gemeinnützige Organisationen und Stiftungen in den USA in diesem Jahr auf mehr als 410 Milliarden Dollar, in Deutschland waren es 5,2 Milliarden Euro.

Diese Zahlen verdeutlichen, welch geballte ökonomische und somit auch politische Macht die großen Stiftungen in den USA inzwischen entwickelt haben, um ihre jeweilige Agenda durchzusetzen. Die Corona-­Pandemie wirft jedenfalls grundsätzliche Fragen auf, die weit über den Kampf für die Eindämmung des Virus hinausgehen. Ist es zu verantworten, zentrale Bereiche der Gesundheitsvorsorge weitgehend unkontrolliert privaten Stiftungen und Unternehmen zu überlassen? Wäre das nicht vielmehr Aufgabe der Staatengemeinschaft unter Führung der reichen, entwickelten Länder, die entsprechende Ressourcen mobilisieren können? Ist es überhaupt sinnvoll und ethisch vertretbar, wichtige Bereiche der elementaren Daseinsvorsorge, also auch Ernährung, Bildung, Mobilität, Wasserversorgung, digitale, soziale und soziokulturelle Teilhabe, ganz oder weitgehend dem „freien Markt“ und gewinn­orientierten Akteuren zu überlassen?

Bill Gates und seine Stiftung spielen in dieser Gemengelage eine herausgehobene Rolle, die erst allmählich ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit dringt. Dabei geht es um viel mehr als „nur“ um globale Gesundheitspolitik. Nämlich um das Selbstverständnis und die Selbstachtung demokratisch verfasster Staaten.

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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