Berliner Wahlchaos - Dieses Versagen ist nicht hinnehmbar

Fehlende Stimmzettel, lange Warteschlangen vor den Wahllokalen, verhinderte Wähler: Das Berliner Wahlchaos ist ein Desaster. Der rot-rot-grüne Senat untergräbt damit sein eigenes Fundament – das Vertrauen in die Demokratie.

Pleiten, Pech und Pannen: Der Wahlsonntag lief in Berlin nicht rund / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Mit einer Mischung aus Schaudern und Spott blickt der Rest der Republik mal wieder auf die Hauptstadt. In jenen Teilen Deutschlands, in denen man auf eine funktionierende Verwaltung Wert legt, sind Szenen, wie sie am Sonntag in einigen Berliner Wahlbezirken zu erleben waren, schlicht unvorstellbar.

Wähler, die unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen müssen, weil Stimmzettel fehlen. Wahlhelfer, die sich willkürlich neue Regeln ausdenken, um der Situation Herr zu werden. Es ist haarsträubend, was bisher über das Berliner Wahlchaos bekannt geworden ist. Und zu erwarten ist: Es werden noch weitere Ungeheuerlichkeiten ans Licht kommen.

Typische Mischung aus Ahnungs- und Verantwortungslosigkeit

Die Landeswahlleiterin versucht, mit der für Berlin typischen Mischung aus Ahnungs- und Verantwortungslosigkeit den Skandal zu überstehen. Welche rechtlichen Konsequenzen die zahlreichen Pannen am Wahlsonntag haben werden, ist noch nicht abzusehen. Ob sie ausreichen, die Wahl anzufechten, werden am Ende Gerichte entscheiden.

Der politische Schaden, der dadurch angerichtet wurde, ist schon jetzt groß. Eine Stadtregierung, die nicht in der Lage ist, demokratische Wahlen reibungslos zu organisieren, untergräbt ihr eigenes Fundament. Dass auf Flughafenbaustellen, in Schulen und Bürgerämtern Zustände herrschen, die eher an Venezuela erinnern als an das einstige Herz des Beamtenstaats Preußen, haben die meisten Berliner offenbar hingenommen. Ansonsten hätten sie nicht erneut für eine rot-rot-grüne Mehrheit in ihrem Abgeordnetenhaus gesorgt.

Nicht hinnehmbar ist aber, wenn unklar bleibt, wie diese Mehrheit zustande gekommen ist. Sprich: Ob bei der zeitgleich zur Bundestagswahl abgehaltenen Abgeordnetenhauswahl alles mit rechten Dingen zuging.

Es kommt auf jede Stimme an

Es nützt auch nichts, zu behaupten, dass vereinzelte Wahlpannen keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis hätten, weil sie in der Masse der hoffentlich korrekt abgelaufenen Stimmabgaben untergehen. Jeder einzelne Wähler, der am Sonntag seine Wahlentscheidung nicht oder nur teilweise zum Ausdruck bringen konnte, ist einer zu viel. Das Argument, ein paar Stimmen mehr oder weniger zählten nicht, ist falsch.

Denn wenn es tatsächlich so wäre: Wozu betreiben wir dann den enormen Aufwand eines flächendeckenden Urnengangs? Wenn es sowieso nicht auf jede Stimme ankommt, könnten wir das Ganze doch wesentlich einfacher gestalten und eine repräsentative Wählerstichprobe über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden lassen. Dann würden uns die Demoskopen am Wahlabend kein Hochrechnungswettrennen präsentieren, sondern das amtliche Endergebnis auf Knopfdruck.

Das ist natürlich Unsinn und zeigt: Es kommt auf jede Stimme an. Wenn nun, wie in Berlin, den Wählern der gegenteilige Eindruck vermittelt wird, ist das fatal.

Sarkastische DDR-Vergleiche 

Das zweite große Problem der Pannenserie ist, dass sie Misstrauen schürt. Als noch am Sonntag in sozialen Medien DDR-Vergleiche gezogen wurden, entgegnete ein Ostberliner: Man könne ja viel Schlechtes über den gescheiterten sozialistischen Staat sagen, aber dass dort die Stimmzettel ausgegangen wären, sei unvorstellbar gewesen. Eher seien zu viele statt zu wenige in der Wahlurne gelandet.

Die sarkastische Bemerkung trifft den Kern des Versagens. In der DDR gaben sich die Machthaber größte Mühe, wenigstens den demokratischen Anschein einer korrekt ablaufenden Wahl zu wahren. Im rot-rot-grün regierten Berlin gelingt selbst das nicht.

Dabei muss allen Verantwortlichen klar sein: Jede demokratische Abstimmung ist anfällig für Manipulationen. Ein Staat, der es nicht schafft, diese Gefahr durch gute Organisation, faire Regeln und größtmögliche Transparenz auf ein Minimum zu reduzieren, ist keine funktionierende Demokratie mehr.

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