Ausländer als deutsche Soldaten? - Das Ende der Idee des Staatsbürgers in Uniform

Die Forderung nach Ausländern als Bundeswehr-Soldaten wird allzu leichtfertig erhoben, ohne die entscheidenden Probleme zu benennen. Es wäre ein Bruch mit dem Ideal des Bürgers in Uniform.

Verteidigungsminister Boris Pistorius vor einem Sanitätsfarhzeug der Bundeswehr / picture alliance / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Die Debatte läuft schon seit ein paar Monaten – im Schatten des notorischen Desinteresses der deutschen Öffentlichkeit an allem, was mit Verteidigungsbereitschaft und Militär zu tun hat. Der Bundeswehr mangelt es an Rekruten, also, so ein voreiliger Schluss analog zu anderen Bereichen des „Fachkräftemangels“, sollen doch einfach junge Ausländer angeworben werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat das jüngst gesagt. Die FDP, vertreten von ihrer bekannten Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hatte das schon im April 2023 vorgeschlagen, zusammen mit der Idee, diesen nicht-deutschen Soldaten der deutschen Bundeswehr nach fünf Jahren Dienst dann die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Diese besondere Verlockung dürfte allerdings mit dem gerade beschlossenen neuen Staatsbürgerschaftsrecht entfallen, da ohnehin mehr oder weniger jeder rechtmäßig in Deutschland Lebende nach fünf und in besonderen Fällen sogar schon nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben kann. Nun sagt Strack-Zimmermann gegenüber der Rheinischen Post, man müsse „bei der Suche nach geeigneten jungen Menschen, die ihren Dienst in der Bundeswehr zu leisten bereit sind, deutlich europäischer denken“, und „dass Soldaten und Soldatinnen ohne deutschen Pass diesen durch den erfolgreichen Dienst in der Bundeswehr schneller bekommen können“ – ohne konkrete Zeitspanne.

Europäischer denken? Sollen also künftig die Streitkräfte Europas miteinander um Rekruten konkurrieren? Es könnte sein, dass die Bundeswehr dann nicht unbedingt an erster Stelle stehen wird.

Die Aussicht auf deutsche Staatsangehörigkeit ist für EU-Bürger belanglos

Auch aus der Union kommt bereits Zustimmung. Die Art und Weise, wie CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul sie allerdings formuliert, zeigt, wie gering das argumentative Selbstvertrauen dieser Partei in solch einem zentralen politischen Diskurs ist. Statt eigener Positionen und Antworten formuliert Wadephul nur Fragen an die Bundesregierung und unterstellt ihr damit schon höhere Kompetenz als seiner eigenen Partei: „Gilt diese Möglichkeit nur für Bürgerinnen und Bürger von EU- oder Nato-Staaten oder auch noch darüber hinaus? Ist die vollständige Kenntnis der deutschen Sprache nötig?“

Die zweite Frage erübrigt sich und die erste dürfte eine Scheindebatte eröffnen. Da EU- und Nato-Staaten kaum die wichtigsten Herkunftsländer junger Armutszuwanderer sind, werden diese auch als Rekrutierungspool für die Bundeswehr keine große Rolle spielen. Und die Aussicht auf eine deutsche Staatsangehörigkeit ist für EU-Bürger belanglos, da sie ohnehin schon Freizügigkeit genießen.

Junge Niederländer, Franzosen, Polen oder Briten, die aus welchem Grund auch immer gerade in Deutschland sind und Soldat werden möchten, haben wenig Anlass, ausgerechnet in die marode und nicht gerade Reichtum und Sozialprestige verleihende Bundeswehr einzutreten, statt in ihre nationalen Streitkräfte. Natürlich wäre die Bundeswehr besonders für Armutszuwanderer mit andernfalls geringen beruflichen Aussichten und sonst zweifelhafter „Bleibeperspektive“ attraktiv. Eine Sicherheitsüberprüfung – und die wäre unbedingt nötig – dürfte sich aber gerade bei Zuwanderern aus dem Nahen Osten oder dem nördlichen Afrika oftmals als schwierig herausstellen. Potentielle „Gefährder“ in der Bundeswehr wären ein reales Risiko.

Die Bundeswehr würde dadurch endgültig zu einer Söldnerarmee

In der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) erschien im Dezember ein Papier mit dem Titel „Ausländer in der Bundeswehr – Chance und Herausforderung für die ‚Zeitenwende Personal‘“, das diese „Vergrößerung des potentiellen Personalpools“ als „eine mögliche Antwort auf die Personalnot der Streitkräfte“ darstellt. Den Streitkräften fehle derzeit laut KAS Personal für etwa 22.000 unbesetzte Dienstposten. Bis 2050 schrumpfe die Zahl deutscher Staatsbürger im Alter von 18-25 Jahren um 12 Prozent. Hinzu kommt, wie KAS-Autor Konstantin Krome formuliert, „der Umstand, dass mit einem Heranrücken des weltweiten Kriegsgeschehens an Deutschland junge Menschen ihre Berufswahl zunehmend ,vom scharfen Ende her' durchdenken“.

Salopper formuliert heißt das: Da die jungen Deutschen ihr Land nicht verteidigen wollen, sollen es eben Ausländer tun. Umfragen bestätigen: Verteidigung finden die meisten zwar gut, nur selbst wollen sie sich im Ernstfall eben lieber verdrücken. Das galt schon vor dem Ukraine-Krieg und erst recht seitdem. Die jahrzehntelange Pazifizierung junger Deutscher (im westlichen Ausland ist es allerdings laut derselben Umfragen nicht grundsätzlich anders) durch militär-allergische Medien und Lehrerschaft, gepaart mit der schon vor der offiziellen Abschaffung der Wehrpflicht auch finanziell deutlich attraktiveren Alternative des Zivildienstes, war eben langfristig wirksam.

Weder Pistorius noch Strack-Zimmermann oder Wadephul berühren allerdings bisher den Kern des Themas. Der liegt hier: Mit der generellen Freigabe des Dienstes für Nicht-Deutsche wäre das seit der Bundeswehrgründung fundamentale Prinzip des „Staatsbürgers in Uniform“ erledigt. Die Bundeswehr würde dadurch endgültig zu einer Söldnerarmee. Das wäre ein ziemlich radikaler Bruch. Man kann durchaus auch sagen: ein radikaler Rückschritt, zurück ins vorbürgerliche Zeitalter, als Herrscher und Staaten die Soldaten ihrer Streitkräfte ziemlich willkürlich im In- und Ausland anwarben. 

Der Bruch wird auch dadurch nicht geringer, dass andere westliche Streitkräfte ihn vollzogen haben – oder wohl eher: seit jeher in einer anderen Tradition stehen. Wie aus dem KAS-Papier hervorgeht, sind es übrigens in Europa nur Belgien, Frankreich, Dänemark, Irland und Luxemburg, die unter bestimmten Bedingungen auch ausländische Soldaten einstellen. Großbritannien und Spanien beschränken dies auf Bürger ihrer früheren Kolonien. 
 

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In den Streitkräften Großbritanniens und Frankreichs geht es im Wesentlichen um kleine begrenzte Truppenteile: um die legendäre Fremdenlegion und die nicht minder legendären Ghurkas, die aus einer traditionell dem Söldner-Beruf zuneigenden Ethnie in Nepal rekrutiert werden. Beide werden bewusst vor allem aus Nicht-Staatsbürgern rekrutiert, weil es sich um Verbände handelt, die in aller Welt schnelle und gefährliche Einsätze ausführen sollen – ohne Aufschrei heimischer Mütter und Ehefrauen. 

Zu solchen Verbänden gehört als unbedingte Voraussetzung ein extremer Treue- und Tapferkeitskult, so dass Legionäre die Legion als eine Art Ersatzfamilie oder gar Vaterland betrachten (Motto „Legio patria nostra“). Für die Landesverteidigung und als Modell für die Masse der Streitkräfte spielen solche traditionellen Söldner-Verbände auch in Frankreich und Großbritannien keine Rolle. 

In Deutschland gibt es solche Verbände aus historischen und moralischen Gründen nicht. Und das ist auch gut so. Der „Staatsbürger in Uniform“ soll eben ein Soldat sein, der nicht aus finanzieller Alternativlosigkeit oder Abenteuerlust dient und sich nicht vom einen Tag auf den anderen in einen militärischen Einsatz jenseits des Bündnisgebietes schicken lässt. Zitat von der Website des Verteidigungsministeriums: „Der Staatsbürger in Uniform ist ein Grundsatz der Inneren Führung. Die Innere Führung ist die ,Unternehmensphilosophie' der Bundeswehr, die den Soldaten die nötige Orientierung bietet, um bei der Ausführung ihres Auftrags nach bestem Gewissen zu handeln.“ 

Mit Ausländern als Soldaten hätte die Bundeswehr also ihren zentralen Grundsatz verloren. Eine deutsche Fremdenlegion einzurichten oder gar die gesamte Bundeswehr zu einer Art großen Fremdenlegion zu machen, ist abwegig. Dazu fehlt hierzulande jegliche ideelle Voraussetzung.

Alte Fragen, die man sich wieder stellen muss

Die wirklich wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang stellen Pistorius, Strack-Zimmermann und Wadephul nicht. Es sind die Fragen, die seit jeher akut werden, wenn Kämpfer für andere kämpfen sollen: Wie weit kann sich ein Dienstherr auf seine Soldaten verlassen? Bindet sie allein das Geld (der „Sold“) oder eine wie auch immer ideell begründete Treuepflicht? Bleiben die Soldaten ihrem Dienstherrn auch dann noch ergeben, wenn der Sold einmal ausbleibt und der Dienst immer lebensgefährlicher wird? Oder wenden sie ihre Waffen dann vielleicht sogar gegen diesen? Konkret: Würden nicht-deutsche, nicht-europäische Bundeswehrsoldaten im nicht mehr völlig abwegigen Falle eines russischen Angriffs ihr Leben für die Unabhängigkeit Deutschlands oder eines anderen Nato-Landes riskieren, wenn das nicht einmal junge Deutsche selbst täten? 

Das sind Fragen, die sich seit vielen Jahrzehnten in Deutschland kein Politiker und auch kein General mehr akut stellen musste. Aber die kriegerischen Ereignisse der Gegenwart, die vielzitierte „Zeitenwende“ rücken eben auch solche Fragen wieder näher, die in vergangenen Epochen auch in Mitteleuropa immer wieder höchste Priorität hatten und es in weiten Teilen der nichtwestlichen Welt weiter haben. 

Die Geschichte ist voll von Beispielen dafür, dass Soldaten unter bestimmten Bedingungen für ihren Dienstherrn und dessen Bürger gefährlicher werden konnten als für den „Feind“. Und das umso eher, wenn sie keine emotionale Bindung zu ihrem Dienstherrn hatten. In der Endphase des Römischen Reiches etwa, in den Hochzeiten des Söldnertums in der Renaissance und der frühen Neuzeit. Aber auch in der Gegenwart jenseits Europas. Für Putin etwa wurden diese Fragen beim seltsamen Putschversuch des Söldnerführers Prigoschin existentiell. Wobei die Wagner-Söldner offenbar in ihrer großen Mehrheit Russen sind. 

Die IDF stellt nur Nicht-Israelis ein, auf deren absolute Loyalität sie sich verlassen kann

Im Papier der KAS wird etwa als vorbildliches Beispiel für Nicht-Staatsbürger in einer Armee das Beispiel der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) genannt. Allerdings stellen die IDF auch nur Nicht-Israelis ein, auf deren absolute Loyalität sie sich mit höchster Wahrscheinlichkeit verlassen können. In erster Linie handelt es sich dabei um Diaspora-Juden. Der deutsche Historiker Michael Wolfssohn etwa hat in der IDF gedient. Für diese freiwillig Dienenden steht dabei sicherlich nicht der finanzielle Anreiz im Vordergrund und wohl auch nicht die Aussicht auf eine israelische Staatsbürgerschaft, sondern die persönliche Solidarität und Treue zum Staat der Juden. 

Es spricht nicht alles gegen jegliche Möglichkeit, Ausländer in die Streitkräfte aufzunehmen. Aber die Bedingungen dafür müssten extrem streng sein und absolute Priorität vor dem vordergründigen Wunsch nach Auffüllen vakanter Posten haben. Im Zweifel lebt es sich nach historischer Erfahrung stets sicherer und freier in einem Land, das von den eigenen Staatsbürgern verteidigt wird, als von Söldnern.

Dass man die von Pistorius so genannte „Kriegstüchtigkeit“ einer Streitkraft nicht allein in quasi militär-ökonomischer Weise mit der Optimierung von Zahlenkolonnen (ob sie nun Soldaten, Waffen oder dafür aufgewendetes Steuergeld abbilden) herbeiregieren kann, sollte eigentlich jedem verantwortungsbewussten Politiker klar sein. Die real existierende sicherheits- und militärpolitische Debatte in Deutschland, 68 Jahre nach Gründung der Bundeswehr, lässt daran leider immer wieder Zweifel aufkommen. 

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