Absurdes Atomkraft-Theater - Robert Habeck nimmt Deutschland in Geiselhaft

Die deutschen Stromnetzbetreiber warnen vor Engpässen im kommenden Winter und empfehlen der Bundesregierung, den Atomausstieg zu verschieben. Doch Wirtschaftsminister Robert Habeck zögert und zaudert wie bisher. Aus Angst vor der eigenen Partei traut er sich nicht zu tun, was jetzt dringend notwendig ist. Er und die Grünen nehmen die Bürger als Geisel.

Fehlender Mut: Wirtschaftsminister Robert Habeck bei der Pressekonferenz zum Stromnetz-Stresstest / dpa
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Mit diesem Auftritt hat sich Robert Habeck selbst entzaubert. Der Star der Ampelkoalition, von Wählern (laut Umfragen) geliebt, von Journalisten angehimmelt, scheitert an seiner Feigheit. Der Grünen-Politiker wurde dafür gefeiert, dass er den Bürgern mit zerknirschtem Gesicht und im kumpelhaften Ton eines Vertrauenslehrers erklärt, was er als Wirtschaftsminister tut oder nicht tut. Doch spätestens seit Montagabend ist klar: Das reicht nicht. Habeck fehlen der Mut und die Stärke, um Deutschland durch diese Energiekrise zu führen.

Sein Zaudern und Zögern in der Atomkraft-Frage ist absurdes Theater. Innerhalb und vor allem auch außerhalb Deutschlands stellt man seit Monaten die Frage, wann sich die Bundesregierung endlich dazu durchringt, einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke zuzustimmen. Mitten im Mangelwinter, in dem Schaufenster dunkel bleiben und Heizungen herunter gedreht werden sollen, müssen drei voll funktionstüchtige und absolute zuverlässig laufende Atomkraftwerke in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen den Betrieb einstellen. So sieht es der 2011 beschlossene Atomausstieg vor.

Stromnetzbetreiber empfehlen Weiterbetrieb

Dass das keine gute Idee ist, weiß Wirtschaftsminister Habeck natürlich. Und das haben ihm auch die vier großen Stromnetzbetreiber, die Deutschlands Elektrizitätsversorgung sicherstellen, nochmal erklärt. Er hatte bei ihnen einen „Stresstest“ in Auftrag gegeben, der verschiedene Szenarien für den kommenden Winter durchrechnet. Dessen Ergebnis stellten sie am Montagabend in der Bundespressekonferenz vor. Top-Manager aller vier Übertragungsnetzbetreiber saßen dort neben Robert Habeck, dessen Gesicht noch zerknirschter war als üblich, und gaben einen düsteren Ausblick: Die deutschen Kraftwerkskapazitäten werden während der kalten Jahreszeit nicht ausreichen, um zu gewährleisten, dass jederzeit so viel Strom ins Netz fließt wie verbraucht wird. Deutschland wird darauf angewiesen sein, dass dann Kraftwerke in Nachbarländern einspringen. Ansonsten müssten „Großverbraucher kontrolliert und temporär abgeschaltet werden, um die Netzsicherheit aufrecht zu erhalten“, warnen die Netzbetreiber in ihrem Stresstest-Papier.

Ihre Empfehlung, was die deutschen Kernkraftwerke (KKW) angeht, ist daher eindeutig:„Verfügbarkeit der KKW ist ein weiterer Baustein zur Beherrschung kritischer Situationen“. Das ist eine zurückhaltende Formulierung für den dringenden Ratschlag, den bislang noch geltenden Ausstiegstermin, 31. Dezember 2022, zu verschieben.

Verpasste Chance

Habeck hätte dieses Stresstest-Ergebnis nutzen können, um seiner Partei die Anti-Atom-Ideologie auszutreiben, die längst nicht mehr zur eigenen Klimaschutz-Dogmatik passt. So wie der einstige Grünen-Star Joschka Fischer, der seine Sorgenfalten ähnlich zur Schau trug, als er seiner Partei den Abschied vom Pazifismus zumutete, aber dann auch die notwendige Standhaftigkeit bewies, um diesen durchzuboxen. Robert Habeck hingegen hat Angst vor der eigenen Partei. Er traut sich nicht, in die offene Konfrontation mit den ergrauten Köpfen der Anti-Atom-Bewegung zu gehen. Stattdessen erfindet er immer kompliziertere Verzögerungstaktiken, um die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung herauszuschieben. Bei der Pressekonferenz am Montagabend musste er sich sehr konzentrieren, um sich nicht selbst in diesem Gestrüpp aus Ausreden und Ablenkungsbehauptungen zu verheddern. Und was er jetzt genau vorhat, verstand dabei niemand.

Zwei von drei noch laufenden Atomkraftwerken sollen zum Jahresende in einen Reservemodus wechseln, erklärte Habeck. Also vom Netz gehen, aber betriebsbereit zur Verfügung stehen, falls sie doch noch gebraucht werden. Eine Idee, die betriebstechnisch und wirtschaftlich betrachtet vollkommener Unfug ist und von der selbst Habeck nicht weiß, wie sie konkret umgesetzt werden soll. Das wird bei seinen Antworten auf Nachfragen erstaunter Journalisten deutlich.

 

 

Habecks offensichtlich rein parteipolitisch motivierter Plan: Als Reserve sollen ab Januar Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vorgehalten werden. Das dritte, das KKW Emsland in Niedersachsen, wird wie geplant, zum Jahreswechsel stillgelegt. Technische Gründe gibt es dafür nicht. Habeck bemühte sich nicht einmal, welche zu erfinden. Aber klar ist: In Niedersachsen wird bald gewählt, und im dortigen Landesverband ist die Atomkraftgegnerschaft besonders stark ausgeprägt. Der Alt-Linke und Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, stolzer Vater des ersten rot-grünen Atomausstiegs, ist bei den niedersächsischen Grünen immer noch einflussreich.

Den Südländern die Schuld in die Schuhe schieben

Das zweite Kalkül: Habeck will, sollte er es nicht schaffen, die AKW-Laufzeitverlängerung noch zu verhindern, die Schuld daran den Südländern Bayern und Baden-Württemberg in die Schuhe schieben. Dort seien zu wenige Windkraftanlagen errichtet und der Ausbau von Stromleitungen aus dem Norden verzögert worden, lautet seine Argumentation. Das stimmt zwar. Aber das Grundproblem ist ein anderes. Windkraft und Solarenergie alleine werden in Deutschland nie ausreichen, um rund um die Uhr und zu jeder Jahreszeit eine zuverlässige Stromversorgung sicherzustellen. Die sogenannten Erneuerbaren sind auf herkömmliche Kraftwerke angewiesen, die einspringen, wenn nicht genug Wind weht und die Sonne nicht scheint.

Diesen Job sollten zunehmend Gaskraftwerke übernehmen, weil sie im Vergleich zu Kohlekraftwerken weniger CO2 ausstoßen und die nahezu CO2-freie Kernkraft als Tabu galt. Da Deutschland zudem eigene Gasvorkommen aus Angst vor der Fracking-Technologie unberührt lässt, führte die sogenannte Energiewende direkt in die Abhängigkeit von Russlands Staatskonzern Gazprom. Die Folgen davon bekommen wir, und ganz Europa, gerade schmerzlich zu spüren.

Französische Atomkraftwerke sollen deutschen Atomausstieg retten

Ein Wirtschaftsminister, der seinen Amtseid ernst nimmt, müsste in dieser Situation eine ehrliche Bilanz der deutschen Energiepolitik ziehen und radikale Schritte einleiten, um zu retten, was noch zu retten ist. Dazu zählt selbstverständlich, alle Kraftwerke, die noch Strom liefern können, am Netz zu lassen oder sogar zu reaktivieren. Die Entscheidung dazu hätte längst getroffen werden müssen. Dann hätten die Betreiber noch rechtzeitig neue Brennstäbe bestellen und zudem drei weitere, bereits Ende vergangenen Jahres stillgelegte Kernkraftwerke reaktivieren können. Das wäre nicht nur für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität wichtig, sondern würde auch die stark steigenden Strompreise senken. Beides ist von enormer Bedeutung, wenn Deutschland ein wohlstandsverwöhntes Industrieland bleiben will.

Stattdessen vertröstete Habeck die kritisch nachfragende Öffentlichkeit und den zunehmend ungeduldigen Koalitionspartner FDP erst monatelang, weil er angeblich auf die Ergebnisse des Stresstest warten müsse. Jetzt, nachdem diese endlich vorliegen, aber offenbar nicht so ausgefallen sind, wie er sie sich erhofft hatte, schwurbelt er darüber herum, dass man den Stresstest „auch rückwärts lesen“ könne und dass er darauf hoffe, dass es so schlimm wie berechnet schon nicht kommen werde. Was Habeck meint: Wenn die Franzosen ihre derzeit wegen technischer Probleme abgeschalteten Atomkraftwerke rechtzeitig wieder ans Netz bekommen, kann Deutschland seine letzten drei guten Gewissens abschalten. Diese Haltung ist nicht logisch nachvollziehbar und verantwortungslos.

Habeck will an gescheiterter Ideologie festhalten

Robert Habeck schwor wie alle Minister, dass er seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“ werde. Doch das tut er nicht. Stattdessen nimmt er das deutsche Volk in Geiselhaft, weil er keinen parteiinternen Machtkampf riskieren und an einer Ideologie festhalten will, die für jedermann ersichtlich gescheitert ist. In Umfragen sind die Zustimmungswerte für seine Partei und ihn persönlich nach wie vor hoch. Unser Land leidet an einem kollektiven Stockholm-Syndrom.

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