Streit um Asylpolitik - Die grüne Blockade gefährdet mehr als nur die Bezahlkarte

Mit der Blockade eines Bundesgesetzes zur Bezahlkarte für Asylbewerber wollen die Grünen eine Klagewelle ermöglichen und somit ihr Migrationsdogma verteidigen – und die Interessen ihrer Klientel, die über Migranten weit hinausgeht.

Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) in Eisenhüttenstadt / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Man hätte es sich denken können. Sobald die Regierenden auch nur den geringsten Schritt tun, um die Attraktivität des deutschen Versorgungsstaates für irreguläre Migranten zu senken und die aus dem Ruder gelaufene Asylzuwanderung wieder einigermaßen in den Griff zu kriegen, stellen die Grünen in letzter Minute ein Bein. Das Vorhaben, mit einem Bundesgesetz die Einführung von Bezahlkarten für Asylbewerber in den Ländern zu vereinheitlichen und rechtlich abzusichern, wird in Robert Habecks Wirtschaftsministerium – sachpolitisch überhaupt nicht zuständig! – blockiert und kann deswegen noch nicht vom Kabinett abgesegnet werden, um dann in den Bundestag zu gehen. 

Das ist nicht nur eine Stichelei im Rahmen des innerkoalitionären Dauerstreits zwischen Grünen und FDP. Es geht um grundsätzliche migrationspolitische Dogmen und auch um grüne Klientelpolitik. 

Zur Erinnerung: 14 von 16 Bundesländern hatten Ende Januar ein gemeinsames Verfahren für eine Bezahlkarte für Asylbewerber verabredet. Im Sommer sollte alles umgesetzt sein. Mit der Karte, deren Einsatzmöglichkeiten beschränkt sind, soll nicht zuletzt verhindert werden, dass Migranten Geld an Schlepper oder an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen. Und selbstverständlich erhofft man sich davon auch generell eine verringerte Attraktivität für Zuwanderer in die sozialstaatliche Versorgung. 

 

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Dahinter steht – meist unausgesprochen – also auch die allzu späte Einsicht, dass die sozialstaatlichen Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eben gerade nicht, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem fatalen Urteil von 2012 argumentierte, ein Minimum sind, unter dem die Menschenwürde verletzt wäre. Wenn das tatsächlich das „menschenwürdige Existenzminimum“ wäre, würden Asylbewerber, die erfahrungsgemäß oft Zahlungen ins Ausland leisten, damit letztlich ihre eigene Menschenwürde verletzen. Das ist natürlich abwegig und belegt nur, wie wirklichkeitsfremd die Asylrechtsprechung und -politik in Deutschland sind, die ignorieren, dass ein vermeintliches Existenzminimum in Deutschland für große Teile der außereuropäischen Welt ein verlockendes Versprechen ist, an dem man nach Erreichen eben auch die daheim gebliebenen Angehörigen teilhaben lässt. Was natürlich aus Sicht der Empfänger vollkommen verständlich ist, aber den Pull-Effekt Deutschlands deutlich erhöht. 

Dass die Einsicht in diese bisherige Ignoranz nicht offen eingeräumt wird, auch nicht von der FDP oder der CDU, ist nachvollziehbar. Es geht da schließlich um eine asylpolitische Lebenslüge, die mehr oder weniger das ganze Land und vor allem die gesamte politische Klasse betrifft und hauptverantwortlich für die spätestens seit 2015 anhaltende Migrationsüberforderung Deutschlands ist. Aber immerhin handelt man nun entsprechend der späten Einsicht außer bei den Grünen. 

Die Grünen kämpfen um ihr Migrationsdogma

Für die ist es eine Art zuwanderungspolitisches Dogma, dass staatliche Leistungen für Asylbewerber grundsätzlich sakrosankt sind und jeder Gedanke an eine kausale Verbindung zwischen diesen Leistungen und den Motiven von Zuwanderern sich aus höheren moralischen Gründen verbietet, über die auch nur nachzudenken schon unappetitlich bis verwerflich ist. Neben der Dogmatik geht es aber auch längst um durchaus handfeste Interessen von grünen Wählerklientelen, die nicht nur moralische, sondern auch materiell-berufliche Interessen an möglichst asylbewerberfreundlichen Institutionen und Gesetzen haben. 

Konkret: Die Blockade der geplanten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes kann zwar nicht die Einführung der Bezahlkarte durch die einzelnen Bundesländer verhindern. Aber sie kann womöglich die Tür für aussichtsreiche juristische Klagen offen halten. Kirstin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg etwa sagte in der taz bereits, dass die Bezahlkarte rechtlich nicht haltbar sei, weil „dafür erst das Asylbewerberleistungsgesetzes auf Bundesebene geändert werden müsste“ und eine „Versorgung mit Sachleistungen zur Abschreckung“ außerdem dem Verfassungsgerichtsurteil von 2015 widerspreche

Spekulation auf eine Klagewelle

Hinter Habecks Blockade könnte also die Absicht stehen, die Bezahlkarte, wenn man sie schon nicht komplett politisch verhindern kann, doch wenigstens indirekt durch Blockade des Bundesgesetzes einer Klagewelle auszuliefern, die dann de facto zur juristischen Aufweichung des ganzen Vorhabens führen könnte. Das Endergebnis wäre eine gigantische migrationspolitische Kraftvergeudung zum Nutzen der Grünen beziehungsweise ihres NGO-Vorfeldes und der Fachanwälte für Asylrecht. 

Das Thema erscheint auf den ersten Blick vielleicht wie eine Verwaltungspetitesse, aber es ist von herausragender Bedeutung für das wichtigste Politikfeld der Gegenwart. Insofern wäre dieser Konflikt durchaus wert, dass die FDP daraus eine Frage von Sein oder Nichtsein für ihre Zugehörigkeit zu dieser Bundesregierung machte. Denn es geht um die wichtigste Zukunftsfrage dieses Landes und ganz nebenbei auch noch um den letzten Rest an Glaubwürdigkeit der FDP.

Die tatsächlichen Auswirkungen – nämlich ein fortgesetztes Ausufern der Asylzuwanderung und der damit einhergehenden Überforderung des Staates und der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft – wären ebenso fatal wie die Signalwirkung auf die eigenen Bürger und die potentiellen Armutszuwanderer. Nämlich, dass die Regierenden nicht in der Lage oder willens sind, die Zuwanderung in den Sozialstaat zu beschränken. Auch auf potentielle Wähler der AfD übrigens dürfte das einen wirkmächtigeren Eindruck machen als der allgegenwärtige „Kampf gegen rechts“ und Einschränkungen ihrer Meinungsfreiheit.

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