Kommt Schwarz-Grün? - Wunsch und Wirklichkeit

Mit einem Doppel-Interview haben Annegret Kramp-Karrenbauer und Katrin Göring-Eckardt die Spekulationen angeheizt. Gibt es bald schon ein schwarz-grünes Bündnis im Bund? Doch damit sich die Parteien annähern können, müssen sie sich zunächst voneinander entfernen

Ob sie die Kanzlerin gefragt hat? Annegret Kramp-Karrenbauer sorgt für Spekulationen über Schwarz-Grün / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es war ein bemerkenswertes Doppelinterview, das die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt am vergangenen Wochenende der Bild am Sonntag gaben. Inhaltlich war das Gespräch dünn, sieht man einmal davon ab, dass beide im Verhältnis von Ökologie und Ökonomie unterschiedliche Akzente setzen. Kein Wort zu sicheren Herkunftsländern, zum Werbeverbot für Abtreibungen, zu Maßnahmen gegen den Klimawandel, zur Verkehrswende oder zur bedingungslosen Grundsicherung – um nur mal fünf schwarz-grüne Streitthemen zu benennen. Und doch war die Botschaft der beiden Frauen klar: Eine schwarz-grüne Bundesregierung könnte demnächst das Land regieren, das Spitzenpersonal versteht sich nicht nur, sondern es repräsentiert zugleich jene beiden Parteien, die das Land noch regieren wollen. Wir stehen bereit.

Gut gebrüllt, Löwinnen! 

Gut gebrüllt, Löwinnen! Doch wie so häufig sind Wunsch und Wirklichkeit in der Politik unterschiedliche Dinge. Natürlich, laut Umfragen sind die Grünen die Partei der Stunde, sie haben ihren Stimmenanteil in der Sonntagsfrage seit der Bundestagswahl von 8,9 Prozent auf 16 bis 20 Prozent verdoppelt, bei der Mehrzahl der Meinungsforschungsinstitute kommen CDU, CSU und Grüne auf eine eigene Mehrheit. Die FDP würde als dritter beziehungsweise vierter Koalitionspartner derzeit nicht gebraucht und auch keine quälenden Jamaika-Sondierungen. Seit CDU und Grüne in den westdeutschen Kernländern Baden-Württemberg und Hessen so einträglich und erfolgreich miteinander regieren, ist Schwarz-Grün auch für viele bürgerliche Wähler kein Schreckgespenst mehr. 

Trotzdem liegt eine Regierung aus Union und Grünen noch in weiter Ferne. Nicht nur, weil Schwarz-Grün im Bundestag gar keine Mehrheit hat und regulär erst in zweieinhalb Jahren neu gewählt wird, sondern vor allem deshalb, weil das schwarz-grüne Geschmuse der beiden Spitzenpolitikerinnen in diesen Tagen ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt. So sehr die Grünen nach 13 Jahren Opposition wieder regieren wollen, so sehr die Union die Nase voll hat von der Oppositionssehnsucht vieler Sozialdemokraten – auf Annäherung stehen die Zeichen zwischen Union und Grünen derzeit nicht. Im Gegenteil. 

Beide Parteien driften auseinander

Die CDU sucht derzeit vor allem nach sich selbst, versucht die tiefen innerparteilichen Gräben zu überwinden, die sich zuletzt bei der Vorsitzendenwahl im Dezember offenbart haben, zu überwinden. Die Partei diskutiert ein neues Grundsatzprogramm, das die programmatische Leere der Partei beenden soll, die die Ära Merkel hinterlassen hat. Selbstvergewisserung heißt das Gebot der Stunde, Restauration des Markenkerns, Schluss mit jener Politik, die parteiinterne Kritiker „Sozialdemokratisierung der CDU“ nennen. Unter ihrer neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Partei vor allem und zuallererst in der Migrations- und Flüchtlingspolitik eine konservative Wende vollzogen und sich von der merkelschen Flüchtlingspolitik seit 2015 abgesetzt. Wie soll das mit Schwarz-Grün zusammenpassen?

Die Grünen auf der anderen Seite haben sich auch wieder radikalisiert. Von den vielen Kompromissen, die sie 2017 in den Jamaika-Sondierungen gemacht haben, etwa beim Klimaschutz oder beim Familiennachzug wollen sie mittlerweile nichts mehr wissen. Zwar haben mit Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Realos die Führung in der Partei übernommen, doch die blinken programmatisch derzeit vor allem links, setzen auf Umverteilung in der Sozialpolitik, bedingungslose Grundsicherung ohne Arbeitszwang und auf einen konsequenten Klimaschutz. Auch in der Flüchtlingspolitik zeigen sie sich derzeit wenig kompromissbereit. Einen Kompromiss, der zwischen Union und Grünen im Bundesrat in Sachen sichere Herkunftsländer bereits ausgehandelt war, ließen sie platzen. Durch den Höhenflug in den Umfragen sehen sich die Grünen in ihrem Kurs bestätigt. 

CDU und Grüne müssen ihre Anhänger mobilisieren

Sieht man einmal von inszenierten Doppelinterviews ab, die wichtige Streitthemen ausklammern, ist von Annäherung derzeit also wenig zu spüren. Aber vielleicht ist Abgrenzung derzeit ja die bessere Strategie. In beiden Parteien gibt es auch Gegner einer schwarz-grünen Zusammenarbeit, und auch nicht alle Wähler begrüßen ein solches Bündnis. Ohnehin kann es es eine schwarz-grüne Koalition nur nach Neuwahlen geben, entweder regulär 2021 oder wenn die schwarz-rote Koalition vorher platzt. Daher ist die Strategie, getrennt zu marschieren, vielleicht nicht die falsche. Denn nur wenn beide Parteien ihre Wählerpotenziale bei der nächsten Wahl ausschöpfen, gibt es eine realistische Chance auf ein stabiles Bündnis zwischen Union und Grünen.

Die entscheidende Frage ist also nicht, wie viel schwarz-grüne Gemeinsamkeiten es jetzt gibt, sondern wie beide Parteien die Anhänger, die sie jetzt programmatisch auf die Barrikaden jagen, später wieder runterholen können von den Barrikaden. Ob es genügend schwarz-grüne Gemeinsamkeiten gibt, entscheidet sich nicht jetzt und auch nicht in Schmuseinterviews, sondern erst nach der Wahl. Erst dann wird sich zeigen, ob es in beiden Parteien ausreichend Kompromissbereitschaft gibt, ob es beiden beiden Parteien gelingt, eine Politik zu verabreden, die tatsächlich zu einem Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, Globalisierung und Heimat, Stadt und Land führen kann.  

Wie lange hält das schwarz-grüne Hoch?

Bis dahin wird es noch viele politische Debatte geben, auch über den Preis eines solchen Projektes. Es könnte angesichts der extremen Schwankungen in der Parteiengunst der Wähler also passieren, dass das schwarz-grüne Stimmungshoch spätestens in nächsten Wahlkampf einen Dämpfer bekommt. Am Ende würde für eine Regierung jenseits der Großen Koalition, die mittlerweile eine kleine ist, doch noch die FDP gebraucht werden. Womöglich ist die Zeit über Schwarz-Grün bereits hinweggegangen. 2013 hätte es im Bundestag eine stabile schwarz-grüne Mehrheit gegeben, damals haben sich die Grünen nicht getraut. Seitdem ist das Bündnis  mehr Wunsch als Wirklichkeit. 
 

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