Änderung des Verfassungsschutzgesetzes geplant - Willkommen in der Denunziantenrepublik!

Immer mehr entwickelt sich der Verfassungsschutz mit Hilfe der Politik zu einer Behörde, die selbst die Demokratie zu gefährden droht. Seine neueste Idee: Er träumt von weitreichenden Befugnissen, nicht-staatliche Stellen vor vermeintlichen oder tatsächlichen Extremisten zu warnen.

Staatskritikern den Grundstückserwerb erschweren: Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Bundesinnenministerin Nancy Faeser / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Am 12. Oktober 2023 diskutierte der Deutsche Bundestag eine Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Nur ganze 39 Minuten waren dafür vorgesehen. Mit dem Inhalt der Gesetzesvorlage beschäftigten sich die Abgeordneten dabei nur am Rande. Im Vordergrund stand stattdessen der große Zeitdruck. Gelingt kein Gesetzesbeschluss bis zum Ende des Jahres, ist die Übermittlung von Daten des Verfassungsschutzes an staatliche und nicht-staatliche Stellen nicht mehr möglich. Das hatte das Bundesverfassungsgericht so festgelegt. 

Eigentlicher Anlass der Gesetzesänderung sind also Gerichtsurteile, die die bisherigen gesetzlichen Regelungen zur Weitergabe von Informationen für rechtsstaatlich unzureichend halten. Aber die Regierung will nicht nur diese Rechtsunsicherheit beseitigen. Sie will den Vorgang nutzen, um die Kompetenzen insbesondere des deutschen Inlandsgeheimdienstes deutlich auszuweiten. Zuerst hatte die Süddeutsche Zeitung darüber berichtet. Bei Rechtsexperten stößt das Vorhaben auf erhebliche Bedenken. 

Lauschaffäre Traube 

Konkret geht es um die Möglichkeit des Verfassungsschutzes, sogar nicht-staatliche Stellen über dessen Erkenntnisse zu informieren. Ganz grundsätzlich ist es gar nicht neu, dass sich der Inlandsgeheimdienst im Auftrag des Staates als Denunziant betätigen darf. Aber es kann fatale Folgen haben. 

Im Jahr 1978 zum Beispiel kam es zur „Lauschaffäre Traube“. Der Mitarbeiter eines Kernenergie-Unternehmens, Klaus Traube, wurde vom Inlandsgeheimdienst verdächtigt, mit der RAF zu sympathisieren und zu kooperieren. Nachdem die Behörde Traubes Arbeitgeber informiert hatte, verlor dieser seinen Job.  

Außerdem wurde seine Wohnung unter tätiger Mithilfe des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND rechtswidrig mit Abhörwanzen ausgestattet. Zur Sicherheit ließ der Chef des Inlandsgeheimdienstes die Aktion nach dem Motto „Meldung macht frei“ durch den Bundesinnenminister höchstpersönlich absegnen. Dieser tappte in die Falle, zeichnete die entsprechenden Unterlagen mit grüner Tinte ab und verlor deshalb später sein Amt.  

Der Vorgang selbst wurde durch zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes an den Spiegel durchgestochen und erreichte erst so die Öffentlichkeit. Die beiden Bundesbeamten wurden anschließend wegen Geheimnisverrats angeklagt, aber freigesprochen. Auch die gegen die beiden Beamten vom Verfassungsschutz vorgelegten Beweise waren ihrerseits mit illegalen Methoden beschafft worden und damit illegitim. Der verfassungswidrige Rechtsbruch des Verfassungsschutzes war also gar kein einmaliger Ausrutscher. Er hatte Methode.

Der in diesem Zusammenhang entscheidende Punkt: Klaus Traube verlor damals seinen Job, weil sich der Verfassungsschutz als Denunziant bei dessen Arbeitgeber betätigt und obwohl die Verdächtigungen sich nachträglich als falsch herausgestellt hatten. Kommt es demnächst zu den beabsichtigten Gesetzesänderungen, könnte der Fall Traube wie ein Kindergeburtstag anmuten. 

„Ernsthafte Beschädigung rechtsstaatlicher Verhältnisse“ 

Die Informationsübermittlung an nichtstaatliche Stellen ist heute unter eng gesteckten Grenzen möglich, „wenn dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen (…) erforderlich ist“. Und immer, wenn der Verfassungsschutz davon Gebrauch machen will, muss er bisher das zuständige Innenministerium um Erlaubnis fragen. In beiden Punkten sind nun erhebliche Änderungen vorgesehen. 

Der Verfassungsschutzrechtsexperte Dietrich Murswiek hat zur geplanten Gesetzesänderung gleich drei Bedenken. Der Text sei erstens so kompliziert formuliert, dass er „selbst für einen Juristen nur schwer verständlich ist“. In der Rechtsanwendung provoziere das „nahezu unvermeidlich Rechtsübertretungen“.  Zweitens reduziere sich durch den Wegfall der ministeriellen Genehmigung bei der Informationsübermittlung an nicht-staatliche Stellen die staatliche Kontrolle über den Inlandsgeheimdienst. Noch viel größere Bedenken äußert Murswiek allerdings in einem dritten Punkt. Die Hürden für die Übermittlung personenbezogener Daten an nicht-staatliche Stellen würden derart abgesenkt, dass es zu einer „ernsthaften Beschädigung rechtsstaatlicher Verhältnisse“ kommen könnte.  

Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Übermittlung von Daten an Privatpersonen oder private Organisationen nicht erst bei der Gefährdung der demokratischen Grundordnung vor, sondern „auch für sonstige erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder für sonstige erhebliche Interessen des Empfängers“. Murswiek hält Letzteres für eine völlig dehnbare, uferlose Formulierung, die dem Missbrauch Tür und Tor öffnen könnte. 

Veranstaltungsverhinderung durch die geheimdienstliche Hintertür 

Ausdrücklich ist im Gesetzesentwurf davon die Rede, dass die Übermittlung von Daten nicht nur in Fällen möglich sein soll, bei denen es um „Beschaffung oder Besitz von Waffen oder Sprengstoffen“ geht. Gleiches soll auch möglich sein, um eine verdächtige Person zu „deradikalisieren“, den „Betrieb oder Beeinflussung von Bildungseinrichtungen“ zu erschweren, einen „Grundstückserwerb“ zu verhindern oder bei „Nutzung oder Betrieb von Gewerbeeinrichtungen und Veranstaltungen“. 

Was das konkret bedeuten könnte, macht Murswiek an einem Beispiel deutlich. Wenn künftig jemand eine Veranstaltung durchführen wolle, die gegen kein Gesetz verstoße und die daher versammlungsrechtlich nicht unterbunden werden könne, könnte der Verfassungsschutz einspringen:  

„Dieser könnte sich dann diskret an den Vermieter des Veranstaltungssaales wenden, vor dem Veranstalter warnen und so die Veranstaltung zu Fall bringen. Und Derartiges wäre künftig nicht nur im Falle der Gefährdung der Demokratie möglich, sondern bereits bei ‚sonstigen erheblichen Zwecken der öffentlichen Sicherheit‘ oder bei ‚sonstigen erheblichen Interessen des Empfängers‘ – was auch immer das eigentlich sein soll. Was der Staat im Wege rechtsstaatlich kontrollierbaren Verwaltungshandelns nicht erreichen kann, kann er künftig durch geheimdienstliche und dem Betroffenen nicht oder allenfalls nachträglich bekanntgegebene Informationsübermittlung erreichen.“ 

Staatliches Konjunkturprogramm für Berufsdenunzianten 

Schon das heutige Gesetz ist in Sachen Weitergabe personenbezogener Daten an nicht-staatliche Stellen dabei alles andere als unproblematisch, wie der Fall Traube zeigt. Wann sich eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, entscheidet natürlich der Verfassungsschutz selbst. Aber diese Einschätzung ist nicht allein eine rechtliche, sondern hochgradig von den weltanschaulichen Präferenzen des jeweiligen Rechtsanwenders abhängig. Dass dabei auch der Inlandsgeheimdienst irren und geltendes Recht überschreiten kann, bezeugen zahlreiche Fälle, in denen er vor Gericht bereits Niederlagen hinnehmen musste. 

Mit der nun geplanten Regelung sollen im Geleitschutz einer gerichtlich erzwungenen Gesetzesänderung die Kompetenzen des Inlandsgeheimdienstes derart ausgeweitet werden, dass dies einem Konjunkturprogramm für Berufsdenunzianten gleichkommt. Begründet wird das dieser Tage vor allem auch mit den Auswirkungen des Krieges Russlands gegen die Ukraine oder mit für antisemitisch gehaltenen Demonstrationen auf Deutschlands Straßen. 

Aber Obacht: Dem Verfassungsschutz und der „kritischen Sozialwissenschaft“ gilt man bereits dann als zumindest „sekundär antisemitisch“, wenn man folgender Aussage zustimmt: „Wir sollten uns lieber gegenwärtigen Problemen widmen als Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind.“ Und auch wer sich weigert, einen moralischen Unterschied zwischen den Verbrechen Hitlers, Stalins und Pol Pots anzuerkennen, gilt den Behörden als des Antisemitismus verdächtig – wegen Leugnung der „Singularität“ von Auschwitz.  

Die Konsequenzen der nun angestrebten Gesetzesänderungen können dabei auch für ganz normale Bürger weit jenseits des Antisemitismus ziemlich unangenehm werden. Es ist erst zwei Jahre her, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst neben Links- und Rechtsextremismus oder Islamismus das Beobachtungsobjekt „Delegitimierung“ erfand. Der Staat zielte damals nicht zuletzt auf Bürger ab, die sich in Sachen Corona in robuster Regierungs- und Staatskritik geübt hatten. Mittlerweile hat der Verfassungsschutz auch Kritiker von Waffenlieferungen an die Ukraine oder Wärmepumpen im Blick. 

Der Weg nach Ungarn ist nicht weit 

Bisher ist nicht recht erkennbar, dass den zuständigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Dimension der geplanten Gesetzesänderung überhaupt vor Augen steht. SPD und CDU jedenfalls stellen sich bisher vollständig kritiklos hinter die Vorlage der Regierung.  

Allein der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz machte in der Debatte deutlich, dass zumindest § 20 der Vorlage juristisch „so schlicht nicht haltbar“ sei. Der eigentliche Verfassungsschutz-Hammer findet sich allerdings in § 25d. Mit ihm soll es dem Inlandsgeheimdienst ermöglicht werden, auch weit unterhalb der Schwelle der Gefährdung der demokratischen Ordnung dem Denunziantenstadl zu frönen.  

Man kann daher nur hoffen, dass sich die dafür zuständigen Abgeordneten für die zweite Lesung des Gesetzes weit mehr Zeit nehmen werden als nur 39 Minuten. Und dass sie auch ein paar gewichtige Gedanken an Bürgerrechte und nicht nur die innere Sicherheit verschwenden, auch wenn das dieser Tage schwerfallen mag.  

Der Weg von Deutschland nach Ungarn, von der liberalen zur illiberalen Demokratie, ist wesentlich kürzer, als es manch ein Gutmeinender wahrhaben will. Die nun in Aussicht genommenen Gesetzesänderungen eröffnen zumindest theoretisch den schrittweisen Umbau der BRD zu einer illiberalen Denunziantenrepublik – und sollten schon deshalb unterbleiben.

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