Amira Mohamed Ali - Die Chefin von Wagenknecht

Ihre Eltern haben SPD gewählt, sie hat bei den Linken Karriere bis zur Fraktionsvorsitzenden im Bundestag gemacht. Nun soll Amira Mohamed Ali Parteivorsitzende der neuen Wagenknecht-Partei werden – und diese rasch bundesweit etablieren.

Amira Mohamed Ali / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Als Ende Oktober Sahra Wagenknecht in der Bundespressekonferenz die Gründung einer neuen Partei ausruft, die auch ihren Namen tragen wird, sitzt neben ihr eine Frau, die einer breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt ist und allenfalls auch wegen ihres eigenen Namens eine gewisse Auffälligkeit hat: Amira Mohamed Ali. Die Frau mit den markanten schwarzen Locken war Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag – und als solche Nachfolgerin ihrer neuen politischen Partnerin. Nun soll Mohamed Ali sogar Parteichefin des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) werden. Eine ungewöhnliche und eine so sicher nicht geplante Karriere.

Der Tag, an dem Mohamed Ali und weitere aus der Linkspartei Ausgetretene vor den Hauptstadtjournalisten sitzen, markiert das Ende eines Rosenkriegs zwischen den Wagenknecht-Getreuen und den sogenannten „Lifestyle-Linken“. Streitthemen gab es genug. Zuletzt etwa die Positionierung zum Ukrainekrieg. „Ich möchte den Menschen ein Angebot machen – mit einer Partei, die für Vernunft steht, für die Belange der Mehrheit, einer Partei, der zugetraut wird, dass sie wirklich etwas verändern kann“, sagt Mohamed Ali gegenüber Cicero.

Das Koordinatensystem von Mohamed Ali

Amira Mohamed Ali wird 1980 in Hamburg geboren. Sie ist die Tochter eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter. Die heute 43-Jährige ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Die Eltern waren klassische SPD-Wähler, die hofften, dass es ihre Kinder durch Bildung einmal besser haben würden als sie selbst. Die Agenda­politik von Kanzler Schröder hat sie von der SPD entfremdet. Diese Wurzeln prägen das Koordinatensystem von Mohamed Ali noch immer. 

Es geht ihr offenbar weniger um Gender Diversity oder Lastenräder, sondern vor allem um soziale Gerechtigkeit. Früher hat sie sich als „Anti-Kapitalistin“ bezeichnet. Jetzt will sie den Kapitalismus offenbar nicht mehr überwinden. Auch davon, Konzerne zu zerschlagen, ist nicht die Rede. „Ich möchte eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl wichtig ist, die Interessen der hart arbeitenden Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die Profitgier einiger weniger Großaktionäre“, formuliert sie heute.
 

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Sie sei gegen Abschiebungen, sagte sie 2019 in einem Video-Interview mit Tilo Jung. „Ich bin generell gegen die Abschiebepraxis, die es bis jetzt gibt. Keine Abschiebung nach Afghanistan, keine Abschiebung nach Syrien. Gar nichts.“ Inzwischen sieht sie es etwas anders: „Die Situation hat sich in den Städten und Gemeinden in den letzten fünf Jahren stark verändert. Darum bewerte ich das heute auch anders. Weiterhin finde ich es aber falsch, Menschen, die seit vielen Jahren hier leben und gut integriert sind oder Jugendliche, die sich in einer Ausbildung befinden, abzuschieben.“ 

Mohamed Ali spricht sich für „humanitäre Lösungen“ für jene aus, die schon lange im Land sind. Für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen ist sie nun offen, sofern diese fair und menschenwürdig gestaltet seien, inklusive sicherer Wege für anerkannte Asylbewerber nach Europa. 

Im Osten sind es 32 Prozent

Anders als viele Spitzenpolitiker ist die Juristin nicht seit der Schule oder ihrem Studium politisch aktiv. Sie arbeitete zehn Jahre in der freien Wirtschaft, als Syndikusanwältin und Vertragsmanagerin für einen Automobilzulieferer. Der Linkspartei ist sie im Jahr 2016 beigetreten: „Die Linke war für mich zum damaligen Zeitpunkt die Partei, die jene Themen, die mir wichtig waren, am glaubwürdigsten verkörpert hat.“ Anschließend ging es steil bergauf mit der politischen Karriere. 

Über Platz 5 der niedersächsischen Landesliste zog sie 2017 in den Bundestag ein. Zwei Jahre später wurde Mohamed Ali Co-Fraktionsvorsitzende. Die parteiinternen Zerwürfnisse waren damals schon sichtbar: „Es war schon auch ein Schock, als ich sehen musste, welche Tribunale regelmäßig in den Fraktionssitzungen über Sahra Wagenknecht abgehalten wurden“, sagt sie. Ihre Hoffnung damals: ihren Teil beitragen, dass sich die Linke wieder mit den Sorgen der Menschen im Land beschäftigt – weniger mit sich selbst. Verlorene Liebesmüh. Der Rest ist Parteigeschichte. 

AfD-Wähler zurückgewinnen

Kommendes Jahr wird gewählt, in Europa und in drei ostdeutschen Ländern. Die Chancen für eine Wagenknecht-­Partei stehen anscheinend gut. Laut einer Insa-­Umfrage können sich 27 Prozent vorstellen, diese Partei zu wählen. Im Osten sind es 32 Prozent. Und sogar 40 Prozent der AfD-Wähler liebäugeln damit. Dies ist auch ein erklärtes Ziel des BSW: Jene AfD-Wähler zurückgewinnen, die nicht radikal sind, sondern nur wütend auf die etablierte Politik. Die Ampel nennt Wagenknecht die „vielleicht schlechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik“. Das soll ihre Chance sein. Mit Amira Mohamed Ali als so etwas wie das zweite Gesicht der Wagenknecht-Partei.
 

 

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