Innenministerium überprüft Verfassungstreue von AfD-Landrat - Der Moment vor dem politischen Erdbeben

Das kleine Bundesland Thüringen droht die Demokratie in die Krise zu stürzen. Nach der Wahl von Robert Sesselmann (AfD) zum Landrat soll nun dessen Verfassungstreue überprüft werden. Wird infolgedessen die Wahl annulliert, dürfte Deutschland ein politisches Erdbeben erleben. Ausgerechnet Bodo Ramelow (Die Linke) könnte das aus doppeltem Grund verhindern.

Robert Sesselmann (AfD) am Abend des Wahlsieges / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Kaum ist Robert Sesselmann (AfD) zum Landrat von Sonneberg gewählt, könnte es nun doch ganz anders kommen. Der Grund: Das Innenministerium Thüringen hat eine Überprüfung seiner Verfassungstreue eingeleitet. Fällt diese negativ aus, kann Sesselmann sein Amt nicht antreten. AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel vermutet bereits eine politische Aktion der Konkurrenzparteien dahinter. Das alles sei eines demokratischen Staates „nicht würdig“, teilte sie mit.  

Verfassungstreuepflicht der Beamten

Dabei ist die Sache etwas komplizierter. Bürgermeister und Landräte sind eigentlich keine Politiker wie Landtags- und Bundestagsabgeordnete, sondern Leiter einer Verwaltung. Da diese in Deutschland überwiegend durch Beamte am Laufen gehalten wird, erwerben mit Wahl und Amtsantritt auch Bürgermeister und Landräte den Status als Wahlbeamte.

Bei Beamten gibt es im Unterschied zu anderen Beschäftigten zwei Besonderheiten. Erstens sorgt der Staat für sie außerordentlich gut, das gilt insbesondere für die üppigen Pensionsregelungen. Aber das ist nur eine Gegenleistung. Es kommt nämlich noch etwas anderes hinzu: Beamte unterliegen der Verfassungstreuepflicht.

Diese entscheidende Kleinigkeit ist in Deutschland wenig bekannt: Eigentlich fordert das Grundgesetz von seinen Bürgern kein Bekenntnis zur Verfassung. Man kann die Verfassung also nicht nur kritisieren, sondern folgenlos selbst ihren Kern ablehnen – so jedenfalls die Theorie. Oder in den Worten des Verfassungsrechtlers Gunter Warg von der Hochschule des Bundes: „Das Grundgesetz baut zwar auf Werteloyalität, kennt aber keine Pflicht zu verfassungskonformen Überzeugungen, Meinungen oder Gedanken und erzwingt keine Werteloyalität, sodass der Schutz durch die Verfassungsordnung auch dem zukommt, der die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen nicht teilt.“

 

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Selbst die Ablehnung der Verfassung fällt also unter die Meinungsfreiheit. Mit einer Ausnahme: bei den Beamten. Sie müssen der Verfassung nicht nur in einem Eid Treue schwören, sondern sich auch entsprechend verhalten. Sonst können sie keine Beamten sein. Das ist der Preis für eine ziemlich üppige Alimentation durch den Staat und der ganze Sinn der Veranstaltung. So soll verhindert werden, dass sich der Staat seine Feinde ins eigene Haus holt. Geregelt ist das alles in den Paragrafen 24 und 28 des Thüringer Kommunalwahlgesetzes.

Im Falle Sesselmanns bleibt den Behörden also gar nichts anderes übrig, als diesen auf Verfassungstreue hin zu überprüfen. Das ergibt sich schon daraus, dass der landeseigene Verfassungsschutz die AfD als „erwiesen extremistisch“ einstuft. Dagegen will die AfD Thüringen zwar nun rechtlich vorgehen, aber bisher hat diese Einschätzung der Verfassungsschützer Bestand. Aus der Einstufung der AfD ergibt sich logischerweise die Folgefrage, ob auch Sesselmann als „erwiesen extremistisch“ einzustufen ist. Kommen die Behörden zu diesem Ergebnis, wurde er zwar demokratisch gewählt, kann sein Amt aber dennoch nicht antreten.

Eine Ironie der Geschichte

Wer allerdings glaubt, die Sache sei durch Mitgliedschaft Sesselmanns in einer nach Ansicht des Verfassungsschutzes „erwiesen extremistischen“ Partei bereits geklärt, irrt. Einen ganz ähnlichen Fall gab es nämlich vor ein paar Jahren schon einmal. Und der dreht sich ausgerechnet um den amtierenden Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Bodo Ramelow.

Ramelow wurde über Jahrzehnte hinweg vom Verfassungsschutz beobachtet. Er klagte irgendwann dagegen, der Weg der Instanzen umfasste mehr als zehn Jahre. Und der heutige Ministerpräsident musste tatsächlich bis zum Bundesverfassungsgericht marschieren, um Recht zu bekommen. Im Jahr 2013 war es dann so weit: Das höchste deutsche Gericht kassierte die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden und aller vorangegangenen gerichtlichen Instanzen wegen offenkundiger Rechtswidrigkeit ein.

Das Argument der Verfassungsschützer und selbst des Bundesverwaltungsgerichtes gegen Ramelow lautete im Grunde: Hat er halt Pech, dass er Mitglied in einer extremistischen Partei ist. Eine Überwachung seiner Person sei dadurch auch dann gerechtfertigt, wenn er sich selbst nichts habe zuschulden kommen lassen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Argumentation für „verfassungsrechtlich nicht haltbar“. Das höchste deutsche Gericht bestand auf einer Einzelfallprüfung statt einer Kollektivschuld-Unterstellung, da die Grundrechte schließlich im Kern auch Individualrechte darstellen. Ein Jahr nach dieser Entscheidung wurde aus dem Beobachtungsobjekt Ramelow der erste linke Ministerpräsident der Republik.

Es hat etwas von der Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieses Urteil Robert Sesselmann helfen dürfte. Von seiner Mitgliedschaft in einer angeblich „erwiesen extremistischen“ Partei darf nicht nahtlos auf seine Person geschlossen werden. Er hat Anspruch auf eine Einzelfallprüfung.

„20 Prozent brauner Bodensatz“

Und da kommt der Verfassungsschutz Thüringen ins Spiel. Geleitet wird er vom ehemaligen Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer. Schon in seiner damaligen Funktion fiel er durch robuste Meinungsäußerungen auf. Diesen Charakterzug hat er sich bis heute bewahrt – nur dass er heute keine Einzelorganisation mehr vertritt, sondern den Staat. Nach dem Wahlerfolg Sesselmanns in Sonneberg erklärte er in einem Interview mit NDR-Info: „Wir sind bei 20 Prozent braunem Bodensatz in der Bundesrepublik.“ Ganz ungeniert rückte er damit die derzeitigen Anhänger der AfD in die Nähe zivilisatorischen Auswurfs.

Eigentlich wäre es ein guter Grund, den Leiter einer Verfassungsschutzbehörde sofort von seinen Aufgaben zu entbinden, wenn dieser meint, sich in derart despektierlicher Weise über jenen Souverän äußern zu dürfen, der ihn tagtäglich bezahlt. Aber die Maßstäbe dafür, was ein Staat eigentlich ist, welche Aufgaben er hat und wie sich dessen Diener folglich zu verhalten haben, zumal in der Öffentlichkeit, scheint zunehmend verloren zu gehen. Kramer ist noch immer im Amt und wird es wohl auch bleiben.

Die Rolle Ramelows

Für die neutrale, objektive und ergebnisoffene Überprüfung der Verfassungstreue Sesselmanns sind das alles keine ermutigenden Vorboten. Ohnehin gilt Kramer vielen Akteuren als politisch befangen. Im Jahre 2021 kandidierte er erfolglos für die SPD für den Bundestag. Eines allerdings scheint sicher: Ziehen die Thüringer Behörden, ob berechtigt oder nicht, Sesselmann aus dem Verkehr, wird es zu einer massiven Schädigung der Demokratie kommen. Dagegen sind die Auswirkungen des Wahlsonntags von Sonneberg ein Kindergeburtstag.

Es wäre wie eine kostenlose Wahlkampagne für die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen. Und da Abgeordnete keine Beamten sind, kann deren Dienstantritt nach erfolgter Wahl auch nicht nachträglich korrigiert werden. Die AfD Thüringen jedenfalls kündigt schon einmal an, für den Fall der Fälle vor Gericht ziehen zu wollen. Man kann daher nur hoffen, dass der Herrgott in den nächsten Wochen etwas Hirn auf Thüringen regnen lässt.

Vielleicht ist Ministerpräsident Bodo Ramelow auch aus eigener Erfahrung klug genug, lenkenden Einfluss auf das Verfahren zu nehmen. Seine maßvollen Äußerungen der letzten Tage in der Causa Sonneberg sprechen zumindest dafür. Noch vor zehn Jahren hatte Ramelow vom deutschen Inlandsgeheimdienst jedenfalls eine klare Meinung: „Es ist der nicht-transparente und unkontrollierbare Charakter der Geheimdienste – gekoppelt mit ihren Wurzeln im deutschen Faschismus –, der sie zu völlig untauglichen und grundsätzlich falschen Instrumenten macht.“ Daher gehörten sie „abgeschafft“.

Die Thüringer Politik hat sich unter Beteiligung des Verfassungsschutzes daher in ein schönes Dilemma hineinmanövriert: Entscheidet sie gegen Sesselmann, löst sie zumindest im Osten ein politisches Erdbeben aus; entscheidet sie für ihn, bekommen die Narrative des örtlichen Verfassungsschutzes ausgerechnet im politischen Heimatland Björn Höckes tiefe Risse.

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