AfD-Chefin Alice Weidel - Spengler in Folie

Alice Weidel beherrscht die rechtspopulistische Attacke. Doch die Vorsitzende der AfD weiß genau: Der Erfolg ihrer Partei speist sich wesentlich aus den Fehlern ihrer Gegner.

Wenn es nach Alice Weidel ginge, können Medien und etablierte Politik gern weitermachen wie bisher / Anja Lehmann
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Aus Funk und Fernsehen kennt man Alice Weidel als eine unerbittliche, fast unbarmherzige Person. Sobald die Kameras auf „on“ geschaltet sind, legt sie im Modus Attacke los. Dann ätzt sie über die „Auffettung der Einwohnerzahl durch zugewanderte Straftäter“ oder „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. Was in der Berliner Republik regelmäßig Empörung hervorruft, ist längst zum Markenzeichen der Frontfrau der Alternative für Deutschland (AfD) geworden.

Aber Weidel kann auch ganz anders. Als Cicero sie trifft, wirkt sie aufgeräumt, zugewandt und geradezu beschwingt. Ihr Abgeordnetenbüro ist für eine Fraktionsvorsitzende eher klein, in den Regalen stapeln sich keine Akten, sondern szenetypische Bücher und Zeitschriften. Das passt zu einer Frau, die klüger und gebildeter ist, als sie öffentlich spricht. Im Regal steht auch „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler, konservativer Revolutionär und Lieblingsautor des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Bis heute allerdings hat sie es nicht einmal aufgeschlagen. Es ist noch in Folie eingeschweißt.

Zwischen Akademie und Attacke

Weidel studierte Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bayreuth und gehörte zu den jahrgangsbesten Absolventen. Nach einer ersten Tätigkeit bei Goldman Sachs promovierte sie über das Rentensystem Chinas und schloss mit der Bestnote „summa cum laude“ ab. Mit einem Stipendium, finanziert hat ihr das damals ironischerweise die Parteistiftung der CDU.

Dass sie in der Politik gelandet ist, verdankt sie ihrer in Sri Lanka geborenen Lebenspartnerin, mit der sie auch zwei Kinder großzieht. Sie solle nicht nur immer meckern, sondern sich auch engagieren, sagte diese damals. Das tut Weidel nun seit ziemlich genau zehn Jahren in der AfD. Ihre ausgelassene Stimmung dürfte dabei in erster Linie am Höhenflug der Partei in den Umfragen liegen. Inzwischen hat diese selbst die Kanzlerpartei SPD hinter sich gelassen. 

Wenn sie auf ihre politischen Gegner zu sprechen kommt, ist sie aber plötzlich wieder da, die Attacke-­Weidel. Beim Präsidenten des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, reicht das bis zur persönlichen Verachtung. Dieser sei „hochgradig gefährlich“ und für sie intellektuell „keine ernstzunehmende Instanz“. 

„Wir brauchen die Medien nicht mehr.“ 

Der Verfassungsschutz diffamiere bloß eine rechte Oppositionspartei im Interesse der Etablierten. Deutlich ist das für Weidel nicht zuletzt geworden, als Haldenwang vor laufenden Kameras sagte, es sei nicht allein seine Aufgabe, die „Umfragewerte der AfD zu senken“. Weidel hält das für das Eingeständnis, dass der Staat illegitim in die Demokratie eingreifen wolle: „Aber da hat er sich verplappert.“

Dass die etablierten Parteien und Medien „unfair“ mit der AfD umgingen, ist für sie ausgemacht. Auf die Frage, ob sie sich diesbezüglich eine Änderung wünsche, stockt sie kurz und sagt dann: „Eigentlich nicht.“ Anfangs habe sie sich natürlich über Benachteiligungen im Bundestag geärgert. Auch darüber, dass die AfD kaum in Talkshows eingeladen wurde. „Aber mittlerweile ist mir das alles herzlich egal. Wir brauchen die Medien nicht mehr. Die Medien und die anderen Parteien haben es uns unfassbar einfach gemacht durch ihr Verhalten in den letzten zehn Jahren.“ 

 

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Weidel spielt damit auf zwei Dinge gleichzeitig an. Einerseits würden sich immer mehr Menschen von den etablierten Medien und Parteien abwenden, weil sie das unfaire Spiel durchschauten. Und dann hat die AfD in den sozialen Netzwerken ihre eigene Medienwelt aufgebaut, mit der keine andere deutsche Partei mithalten kann. Auf Facebook kommt Weidel auf eine halbe Million Follower, Kanzler Olaf Scholz nur auf 140.000.

Weidel hält es daher für an der Zeit, dass die AfD selbst einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schickt. Sie wäre zwar dazu bereit, aber das müsse am Ende die Partei entscheiden, sagt sie. Auf die Frage, ob sie das denn überhaupt könne, weil ein Kanzler ja das Ganze verkörpern müsse und nicht nur auf die spaltende Abteilung Attacke setzen könne, denkt sie kurz nach. Und dann sagt sie: „Ja, keine Sorge. Aber jetzt geht es erst mal um fundamentale Opposition.“

Von den Medien und der etablierten Politik wünscht sie sich dabei nur eines: Die sollen doch bitte alle einfach genau so weitermachen wie bisher. Die Beschimpfung der Anhänger der AfD als „Nazis“ sei die bestmögliche Wahlkampfhilfe für die Rechtspartei: „Wir brauchen eigentlich gar nichts mehr zu machen.“ Wenige Wochen später steht die AfD ohne eigenes Zutun bei 22 Prozent.

Im Nachgang ist Weidel noch eines wichtig: Natürlich habe sie ihren Spengler gelesen und im heimischen Regal stehen. Ausgepackt.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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