Flüchtlingskrise - Die Bezahlkarte ist ein kleiner, später Erfolg des Migrationsrealismus

Die Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber durch die Bundesländer ist endlich ein Schritt in Richtung einer verantwortungsvollen Zuwanderungspolitik. Die Bundesregierung zeigt sich dagegen weiter handlungsunwillig.

Erstaufnahmeeinrichtung in Reinickendorf / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Manchmal geht es in der Politik eben doch ganz schnell. Nun werden also schon im Frühsommer alle Asylbewerber in ganz Deutschland ihre Zahlungen vom deutschen Staat zumindest teilweise in Form einer Zahlkarte erhalten, die keine Überweisungen in die Herkunftsländer erlaubt. Bezeichnenderweise ist es nicht die Bundesregierung, die diese migrationspolitisch einschneidende Maßnahme vorantrieb und bekanntgab, sondern der CDU-Ministerpräsident von Hessen, Boris Rhein. 

Die Nachricht, dass ein großer Teil der Flüchtlinge sozusagen schon auf dem Absatz kehrtmachten, wenn sie Landkreisen zugeteilt wurden, in denen es bereits eine solche Zahlkarte gibt, dürfte zu der Entscheidung der Bundesländer wesentlich beigetragen haben. Denn selbstverständlich ist der Hauptzweck dieser Maßnahme die Attraktivität Deutschlands als Zielland für Asyl-Migranten herabzusetzen. Und vermutlich hat die schnelle Einführung auch mit den anstehenden EU-Wahlen und vor allem den drei Landtagswahlen im September zu tun. Denn bis dahin dürfte die Einwanderungswirklichkeit die aktuelle Empörung über die AfD als wählerbewegendes Thema wieder abgelöst haben. 

Nicht im Ausland einsetzbar

Bereits seit November hatten die Länder unter hessischer Führung die Bedingungen der Zahlkarte verhandelt. Nun sind sich 14 von 16 Ländern einig. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern werden eigene Bedingungen umsetzen. „Leistungsberechtigte sollen perspektivisch einen Teil der Leistungen als Guthaben auf einer Karte anstelle einer Barauszahlung erhalten. Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Land selbst“, teilte Rhein weiter mit. Die Bezahlkarte sei grundsätzlich in allen Branchen einsetzbar, aber nicht im Ausland. Auch Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland seien nicht vorgesehen. Bargeldauszahlungen an Asylbewerber würden „weitgehend entbehrlich“, sagte der Co-Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD).
 

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Im Kanzleramt dagegen scheint man migrationspolitisch den Kopf weiter in den Sand zu stecken. Laut Bild waren bei einer Schaltkonferenz die Staatskanzleichefs der Landesregierungen fassungslos, als Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt den Wunsch von Rhein nach einem neuen Migrationsgipfel einfach abbürsten wollte. Die schnelle Bezahlkarten-Ankündigung von Rhein dürfte auch eine Reaktion darauf sein. Ein in der bundesrepublikanischen Geschichte wahrscheinlich einmaliger Vorgang: Auf dem wohl wichtigsten Politikfeld müssen die Länderregierungen der Bundesregierung das Ruder aus der Hand nehmen und es gemeinschaftlich herumreißen. Es ist ein selbstverschuldetes Zeugnis der Unfähigkeit oder des Unwillens der Bundesregierung zum Handeln in einer Notlage.  

Die Sogwirkung des deutschen Sozialstaats

Eigentlich ist es kaum fassbar, dass die deutsche Politik erst jetzt, bald neun Jahre nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“, die längst offenkundige Sogwirkung des deutschen Sozialstaats im Vergleich zu anderen europäischen Zielländern als Grund für die unverhältnismäßig hohen Zuwanderungszahlen erkennt und darauf wirksam reagiert. Jahrelang blockierte die von Angela Merkel immer wieder ergebnislos zelebrierte Illusion einer gerechteren „Verteilung“ in Europa diese Erkenntnis. Die deutsche Migrationspolitik war aus Naivität oder ideologischer Verbohrtheit blind dafür, dass jede Verteilung scheitern muss, wenn die Versorgungsleistungen in Deutschland deutlich besser als in anderen Staaten sind und man mangels EU-interner Grenzkontrollen und harter Maßnahmen de facto eben doch den Migranten die Wahl ihres Ziellandes überließ. 

Beispielkarte / dpa

Die Bezahlkarte ist nun das Eingeständnis der Unhaltbarkeit dieser jahrelangen Wirklichkeitsblindheit. Mit ihr ist endlich der de facto existierende negative Wettbewerb um eine geringere Attraktivität für versorgungssuchende Zuwanderer in der deutschen Politik angekommen. 

Da die Zahlkarte nicht zuletzt Zahlungen der Asylbewerber ins Ausland verhindert und dies als wesentlicher Zweck genannt wird, bedeutet ihre Einführung aber auch ein weiteres Eingeständnis. Nämlich darüber, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eben nicht ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ darstellen, das das Bundesverfassungsgericht in seinem entscheidenden Urteil von 2012 einforderte. Ganz offensichtlich hatten viele Empfänger dieser Transferleistung eben doch Teile davon für Zahlungen ins Ausland entbehren können. 

Diese Zahlungen an Angehörige, die in den Herkunftsländern noch viel weniger Geld verdienen als ein Transferempfänger in Deutschland erhält, sind allzu verständlich. Aber das kann natürlich kein ernsthaftes Argument für die deutsche Asyl- und Sozialpraxis sein. Zumal diese Zahlungen auch eine wichtige Geldquelle für Schleuser sein dürften, wie Finanzminister Christian Lindner in die Diskussion einbrachte. Die Einführung der Bezahlkarte ist ein längst überfälliger Erfolg des Realismus über den Pseudo-Idealismus der migrationspolitischen Verantwortungslosigkeit. Aber es darf nicht der einzige bleiben.

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