Höhenflüge des politischen Niedergangs - Stadt, Land, futsch

Das Kabinett präsentiert sich stoisch und staatsmännisch. Bloß, wenn gut und richtig regiert würde, warum ist dann überall die Stimmung so schlecht? Weil die Deutschen immer schon zu Missmut neigten? Oder ist es vielleicht doch besser, gar nicht regiert zu werden, als schlecht regiert zu werden?

Auch mit kaputter Ampel fließt der Verkehr weiter - vielleicht sogar besser / dpa
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Autoreninfo

Dr. phil. Dominik Pietzcker studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Von 1996 bis 2011 in leitender Funktion in der Kommunikationsbranche tätig, u.a. für die Europäische Kommission, Bundesministerien und das Bundespräsidialamt. Seit 2012 Professur für Kommunikation an der Macromedia University of Applied Sciences, Hamburg. Seit 2015 Lehraufträge an chinesischen Universitäten.

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Kürzlich auf einer Straßenkreuzung der Bundeshauptstadt. Die Ampel fiel aus, doch der Verkehr rollte weiter. Sollte dies zu denken geben? In atemberaubender Geschwindigkeit zerlegt sich die politische Kultur dieses Landes selbst. Ihre Repräsentanten – Ministerinnen, Staatssekretäre, Partei-, Fraktions- und Ausschussvorsitzende – treten in diskursiven Endlosschleifen als Dauergäste in Talkshows auf, wo sie vornehmlich damit beschäftigt sind, sich gegenseitig ins Wort zu fallen. Die völlige Entzauberung der Politik wird an der Erosion ihrer Debattenkultur sichtbar. Rhetorische Versiertheit ist fast schon ein sprachliches Kapitalverbrechen.

Wer heute in der politischen Arena pointiert formuliert, dialektisch argumentiert und, schlimmer noch, statt des nickligen Malen nach Zahlen (Bürgergeld, Kindergeld, Wohnungsgeld) eine strategische Linie vorzeichnet, kann ja nur volksfern oder – das wäre die Höchststrafe! – intellektuell und elitär sein. Warum auch sollten ausgerechnet die Volksvertreter etwas anderes repräsentieren können als die Idiosynkrasien und Hoffnungen, Ressentiments und Ängste ihrer Wählerschaft? So bleibt der paradoxe Eindruck von Mittelmaß und Selbstgewissheit.

Bewegt sich nicht doch etwas? Statt frischen Windes und Zukunftsoptimismus liegt ein mieser Hauch von Pfründenwirtschaft über der politischen Landschaft. In Sachen Wachstum ist es den Koalitionären gelungen, innerhalb von kürzester Zeit über 1700 Beamtenstellen in Bundesministerien zu schaffen, davon besonders viele in den höheren und höchsten Besoldungsstufen. Sollte nicht eigentlich Bürokratie abgebaut werden? Ein transformatives Missverständnis! Die Inflation der Sinekuren entspricht knapp acht Prozent – Respekt für diese Dreistigkeit in Zeiten des vorgeblichen kollektiven Sparzwangs. Doch das sind Kleinigkeiten!

Ein politischer Horrortrip

Das Kabinett präsentiert sich stoisch, stier und staatsmännisch. Der nackte Wille zur Macht blickt scheel aus den Kulissen. Bloß, wenn gut und richtig regiert würde, warum ist dann überall die Stimmung so schlecht, in den Verbänden, Betrieben und bei den Menschen auf der Straße? Weil die Deutschen immer schon zu Missmut neigten? Weil die Welt erneut eine dunkle geworden ist? Weil sich die Weltlage eingetrübt hat? Weil die Lufthansa mal wieder streikt?

Niemand, der noch unter den Lebenden weilt, kann sich erinnern, je miserabler regiert worden zu sein als von dieser Koalition der Überschätzten. Welch Trio infernal, bestehend aus einer klassisch-liberalen Klientelpartei, der programmatisch seit Jahrzehnten ausgebluteten Sozialdemokratie und dem moralisch-ökologisch bewegten Juste milieu! Sie alle leiern rituell ihre vorhersehbaren Phrasen herunter, doch keine passt zusammen. Die Mischung hat fast schon etwas Psychedelisches: Turn on, tune in, drop out. Das Ganze droht jedoch, ein Horrortrip zu werden.

 

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Beispiel Ukrainekrieg. Man liefert für viele Milliarden Gerät und Material, doch nur wenig Munition. Man verschafft sich selbst und für viel Geld ein reines Gewissen, ohne der Kriegspartei, auf deren Seite man zu stehen vorgibt, einen realen Vorteil auf dem Schlachtfeld zu gewähren. Erinnert das nicht ein wenig an den Spanischen Bürgerkrieg und seinen traurigen Ausgang? Die Logik des bewaffneten Konfliktes erfordert Klarheit. Wer unzweideutig auf der Seite der Ukraine steht, riskiert, von Russland zum Feind erklärt und entsprechend behandelt zu werden. Wer letzteres permanent fürchtet, wird sich stets mit teuren Halbheiten begnügen. Doch ist Halbherzigkeit, die Hoffnungen schürt, bloß um sie bald schon zu enttäuschen, in ihrer Wirkung fast noch schlimmer als die offene Grausamkeit. Der Kleinmut regiert. Mit dem unschönen Ergebnis des totalen machtpolitischen Zynismus.

Trial and Error als neuer Politikstil

Das Dilemma dieser Regierung lautet, sie ist zu schwach für harte Zeiten, doch kann und will sie sich dies um keinen Preis der Welt eingestehen. So stolpern und stochern sie herum, im Nebel der innen- und geopolitischen Fährnisse, die sichtlich strapazierten Ministerinnen, Staatssekretäre, Partei-, Fraktions- und Ausschussvorsitzenden, der enigmatisch entrückte Kanzler an der Spitze. Trial and Error als neuer Politikstil, in Wahrheit bloß ein unübersehbares Symptom politischen Zerfalls. Die Ampel könnte ein einziges Mal echte Größe zeigen, indem sie sich selbst abschalten würde. Die Ampel könnte ein einziges Mal echte Größe zeigen, indem sie statt Atomkraftwerken sich selbst abschalten würde. Eine schöne Utopie!

Zuletzt ein ketzerischer Gedanke, inspiriert von einem früheren Wort des amtierenden Finanzministers. Vielleicht ist es besser, gar nicht regiert zu werden, als schlecht regiert zu werden. Einige Straßenzüge Berlins zumindest gleichen bereits heute einem herrschaftsfreien Raum. Das Bundekanzleramt, es mehren sich die Anzeichen, gehört bald auch dazu. 

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