Ukrainekrieg - Warum ein Ende nicht in Sicht ist

Seit fünf Monaten schon herrscht Krieg in der Ukraine – doch jegliche Hoffnung auf ein baldiges Ende ist trügerisch. Denn Russland hat zunehmend Erfolg damit, sich neue Verbündete zu suchen und die Sanktionen des Westens zu umgehen. Außerdem wäre ein Friedensschluss bei jetziger Lage für keine der beiden Kriegsparteien vertretbar. Und die westlichen Ukraine-Unterstützer haben auch kein Interesse an einem Status quo.

Ukrainische Truppen nahe der Stadt Charkiw / picture alliance
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Autoreninfo

Allison Fedirka arbeitet als Analystin für die Denkfabrik Geopolitical Futures. Sie hat mehrere Jahre in Südamerika gelebt. 

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Abgesehen von dem zermürbenden Krieg in der Ukraine, deuten die diplomatischen Schritte Russlands darauf hin, dass es in naher Zukunft keine Verhandlungslösung anstrebt. Seit den ersten Tagen der Invasion bemüht sich Moskau um den Aufbau eines Bündnisses. Als Zielscheibe westlicher Sanktionen muss Russland weiter exportieren, um seinen Haushalt stützen und der angeschlagenen heimischen Industrie beispringen zu können. Und weil es von westlicher Hochtechnologie abgeschnitten ist, braucht es Partner, die bei der Einfuhr strategischer Güter über Drittländer helfen. Die Bemühungen des Kremls um den Wiederaufbau einer stabilen wirtschaftlichen Basis, die „unfreundliche“ Länder ausschließt, sind für den künftigen Verlauf des Krieges nicht weniger wichtig als das, was auf dem Schlachtfeld geschieht.

Die erste Verteidigungslinie Russlands ist der bekannte postsowjetische Raum. Die von Russland geführte Eurasische Wirtschaftsunion spielt dabei eine entscheidende Rolle. Trotz des Krieges hat sich Wladimir Putin die Zeit genommen, um die wirtschaftspolitischen Leitlinien für die Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion für die Jahre 2022 und 2023 zu entwickeln und zu überwachen. Die Allianz verstärkt auch ihre Bemühungen um den Ausbau ihrer Handelsbeziehungen, zuletzt mit Indonesien und dem Iran. Letzte Woche wurde ein Abkommen über eine erweiterte Zusammenarbeit mit der Regierung Usbekistans unterzeichnet, das Beobachterstatus hat.

Russland hat dominierende Position

Moskau strebt auch eine stärkere Zusammenarbeit mit der kaspischen Region an, insbesondere im Energiebereich. Putins erste Auslandsreise seit Beginn des Krieges führte ihn Ende Juni zum Gipfeltreffen der kaspischen Region in Aschgabat (Turkmenistan). Der Kreml plant, im Oktober das Kaspische Wirtschaftsforum auszurichten, das Teil seiner längerfristigen Bemühungen ist, eine größere Führungsrolle zu übernehmen. Die USA und Europa haben versucht, den zentralasiatischen Ländern die Hand zu reichen, um den Einfluss Moskaus in der Region herauszufordern – aber im Moment hat Russland die dominierende Position.

 

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In der Ferne kooperiert Moskau stärker im Rahmen der BRICS-Staaten, zu denen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gehören. Dank verbilligter Energie hat es Unterstützung gewonnen. Im Juni wurde Russland zum führenden Rohöllieferanten für China. Indien steigerte seine Einfuhren von russischem Öl von April bis Juni um das 50-fache und machte Russland damit zu seiner zweitgrößten Ölquelle. Schließlich erklärte sich Brasilien bereit, Dieselkraftstoff aus Russland zu niedrigeren Preisen zu beziehen.

Alle drei Länder verfügen über große Volkswirtschaften, und ihre Neutralität in Bezug auf den Krieg – wenn nicht sogar ihre Unterstützung – gibt Russland einen diplomatischen Auftrieb. Alle drei Länder sind wohlgemerkt für die Vereinigten Staaten von strategischem Interesse, was Washingtons Möglichkeiten einschränkt, sekundäre Sanktionen zu verhängen, um sie von der Unterstützung Moskaus abzuhalten. Es gibt auch Überlegungen, die BRICS um Argentinien, Ägypten, Iran, Nigeria, Saudi-Arabien und die Türkei zu erweitern. Diese Gemeinschaft könnten die Grundlage für ein Bündnis bilden, das Russland hilft, das Sanktionsregime auf lange Sicht zu überstehen.

Auf der Suche nach Unterstützern

Jetzt ist Russland auf der Suche nach noch mehr Unterstützern. Diese Woche reiste Putin zu einem trilateralen Gespräch über Syrien und die regionale Friedenssicherung in den Iran. Außerdem traf er sich mit seinen iranischen und türkischen Amtskollegen zu Einzelgesprächen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Türkei hat ihre Lage und ihren Status als Nato-Mitglied genutzt, um sich als Vermittler zwischen Russland auf der einen und der Ukraine und dem Westen auf der anderen Seite zu positionieren. Diese Interaktionen sollen zeigen, dass Putin sich noch mit anderen Fragen von strategischem Interesse für Russland befasst und dass Moskau gegenüber der Nato mit oder ohne die Anwesenheit der USA kommunizieren kann.

In Nordafrika wiederum zeichnet sich ein erbitterter Wettbewerb ab. Europa hat sich der Region als potenziellem Ersatzlieferanten für russische Energieträger zugewandt. Letzten Monat unterzeichneten Israel, Ägypten und die Europäische Union ein Abkommen, wonach Israel Erdgas nach Ägypten liefern wird, das es in verflüssigtes Erdgas umwandelt und nach Europa bringt.

Am Montag, zwei Tage nach der Zusammenkunft mit seinem amerikanischen Amtskollegen, traf der ägyptische Präsident Abdel-Fattah el-Sissi mit EU-Beamten zusammen, um die Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Energiekrise zu erörtern. In der Zwischenzeit hat Algerien Gespräche mit Italien über die Lieferung von mehr Erdgas geführt. Im April einigten sich die beiden Länder darauf, dass Italien seine Gasbezüge erhöhen wird, und am Montag gaben sie bekannt, Algerien werde Energie im Wert von vier Milliarden Dollar an Eni, Total und Occidental Petroleum liefern.

Ausrüstung für das erste ägyptische Kernkraftwerk

Der Kreml begnügte sich nicht damit, in die Defensive zu gehen, und schickte im Mai eine Delegation nach Algerien, um das Angebot zum Bau einer Pipeline zu erörtern, über deren Nutzung der russische Gaskonzern Gazprom die Kontrolle ausübt, um Gas von Algerien nach Europa zu transportieren. Im Juni vereinbarten Russland und Ägypten, den Handel in Landeswährung abzuwickeln, und der russische Staatskonzern Rosatom kündigte an, mit der Produktion von Ausrüstung für das erste ägyptische Kernkraftwerk in Dabaa zu beginnen.

Schließlich legten diese Woche zwei russische Militärschiffe – das hydrographische Vermessungsschiff Kildin und der Tanker Vizeadmiral Paromow – im Rahmen der allgemeinen militärischen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern im Hafen von Algier an. Die Schiffe, die unter der Flagge der russischen Schwarzmeerflotte fahren, sind seit Ende 2021 als Teil der ständigen russischen Mittelmeergruppe im Hafen von Tartus in Syrien im Einsatz. Die Kildin fungiert als Aufklärungsschiff und verfügt über Aufklärungsgeräte wie das Don-Radar und das Bronze-Sonarsystem.

Langwieriges Patt in der Ukraine

Mit seinen jüngsten Maßnahmen will Russland dem Westen vermitteln, dass Moskau durch die Kämpfe in der Ukraine nicht gelähmt ist. Seine diplomatischen Bemühungen im Nahen Osten und in Nordafrika lassen sogar vermuten, dass es eine Ausweitung des Konflikts mit dem Westen plant. Möglicherweise ist dies Teil einer Kampagne, um im Vorfeld von Verhandlungen ein Druckmittel zu finden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich Moskau auf ein langwieriges Patt mit der Ukraine einstellt.
 
Eine Beilegung des Krieges auf dem Verhandlungswege in naher Zukunft ist zwar aus wirtschaftlichen Gründen wünschenswert, aber aufgrund der innenpolitischen Zwänge auf allen Seiten höchst unwahrscheinlich. Russland hält etwa ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzt, einschließlich der Gebiete, die es vor dem 24. Februar kontrollierte. Das ist zu viel Land, als dass Kiew es aufgeben könnte, und doch gehören dazu keine strategischen Städte wie Odessa oder das Kronjuwel Kiew selbst. Eine Einigung unter diesen Bedingungen ist derzeit für alle Seiten untragbar. Der Westen würde somit nämlich die gewaltsame Inbesitznahme des Hoheitsgebiets eines anderen Landes durch Russland und das Risiko einer Wiederaufnahme des Krieges akzeptieren; Russland würde minimale strategische Vorteile für massives Blutvergießen und hohe militärische Kosten in Kauf nehmen. Und die Ukrainer haben keine Anzeichen dafür gegeben, dass sie bereit sind, für den Frieden Gebietsabtretungen in Betracht zu ziehen.

Daher haben die Ukraine und Russland angedeutet, dass sie sich auf einen langwierigen Konflikt vorbereiten. Am 14. Juli traf sich die militärische Führung der Ukraine in Kiew, um über die Verteidigung der Stadt zu beraten. Sie hielten fest, dass geeignete Kräfte zur Verteidigung der Metropole aufgestellt wurden, was darauf hindeutet, dass sie davon ausgehen, Russland werde erneut versuchen, die Hauptstadt einzunehmen – und dass sie beabsichtigen, Russland in einen äußerst kostspieligen Städtekampf zu verwickeln. Russland seinerseits konzentriert sich darauf, die ukrainischen Streitkräfte zu zermürben, die zunehmend von westlichen Nachschublieferungen abhängig sind und wenig Hoffnung auf ausländische Truppenverstärkungen haben. Dies war nicht Moskaus bevorzugter Plan, aber es ist die aus seiner Sicht beste verfügbare Strategie.

Schwierige Partnersuche

Obwohl Russland mit Blick auf jene Wirtschaftsblöcke, die es in einem ausgedehnten Konflikt unterstützen würden, Fortschritte gemacht hat, steht die russische Diplomatie sowohl im postsowjetischen Raum als auch darüber hinaus vor großen Herausforderungen. Ehemals sowjetische Länder bevorzugen in der Regel die Blockfreiheit, um eine einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit zu vermeiden. Entfernte Länder wiederum werden durch Energierabatte angelockt – aber das sind kurzfristige Maßnahmen. Es gibt keine Garantie dafür, dass das höhere Handelsvolumen auch langfristig Bestand hat, insbesondere wenn die russischen Ressourcen zu höheren Preisen verkauft werden. Wenn Moskau weiterhin auf lange Sicht spielen will, wird es wahrscheinlich immer mehr wirtschaftliche Anreize einsetzen müssen, um Partner zu gewinnen.

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