Lieferung des Leopard-Kampfpanzers - Deutschlands Ansehen steht auf dem Spiel

Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt seiner Zögerlichkeit weiterhin treu und möchte keine Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine liefern. In vielen europäischen Hauptstädten wird dies als weiterer Alleingang der Bundesregierung gewertet - was zu einem zunehmenden Reputationsverlust Deutschlands führt.

Ein Kampfpanzer Leopard 2 der Bundeswehr / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Wenige Tage vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, nachdem die Ampel-Koalition ihre Arbeit aufgenommen hatte, vertrat Bundeskanzler Olaf Scholz die Positionen, dass die deutsch-russische Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 ein privatwirtschaftliches Projekt sei und Deutschland niemals Waffen in Krisengebiete liefern werde. Ein Jahr später will Scholz schon weit vor dem Krieg gewusst haben, dass Putin Nord Stream 2 zur Erpressung Deutschland nutzen wollte, und in Deutschland werden Schützenpanzer Marder zur Lieferung an die Ukraine vorbereitet. 

Der Weg von der ersten zur zweiten Haltung war aber keineswegs davon geprägt, dass Scholz mit festem Ziel, geplant und abgestimmt vorangegangen wäre, sondern davon, dass er als erster Bremser seiner Partei stets dafür sorgte, dass nur das umgesetzt wurde, was nicht zu verhindern war, ohne Deutschland in EU und NATO zu isolieren.

Es war Frankreichs Präsident Macron, der im Oktober 2022 mit drastischen Worten nach der Absage der deutsch-französischen Regierungskonsultationen die Bundesregierung daran erinnerte, ihre Politik europäisch einzufassen. Er sagte: „Es ist weder für Deutschland noch für Europa gut, wenn Deutschland sich isoliert.“ Nicht, wenn Deutschland isoliert ist (auch das wäre nicht gut), sondern wenn Deutschland sich isoliert. Die EU verträgt, wenn einzelne Staaten in bestimmten Fragen auf ihren spezifischen, manchmal eben nur von ihnen selbst vertreten Positionen verharren nur, wenn es sich dabei nicht um die Führungsmächte der EU handelt. 

Gewichte haben sich in der EU verschoben

Deutschland hat – wie bei Nord Stream 2 – immer mal wieder solche Einzelpositionen eingenommen. Aber im letzten Jahr haben sich in der EU die Gewichte verschoben, was wohl zuletzt in Berlin registriert wurde. Deutschlands herausgehobene Position in der EU ist durch die Zögerlichkeit der Bundesregierung kassiert worden, nachdem von der Griechenland- bis zur Russlandpolitik inzwischen offen zutage liegt, dass die Kabinette Merkel eine Fehlentscheidung nach der anderen trafen. Trotzdem gehört Deutschland seines wirtschaftlichen Gewichts wegen in den Kreis der politisch wichtigen EU-Staaten, auch wenn es auf diesem Gebiet seiner Rolle derzeit nicht gerecht wird. 

In diesen Kontext muss die Diskussion um die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern gestellt werden, um zu verstehen, was gerade vonstatten geht. Scholz beharrt darauf, die Leoparden nicht zu liefern. Sein Einverständnis ist auch für die Lieferung aus anderen Staaten zwingend, denn ohne die Zustimmung der Bundesregierung können aus rechtlichen Gründen keine Leopard-Kampfpanzer geliefert werden. Sein Argument, man werde nichts im Alleingang unternehmen, ist dabei so offenkundig abwegig, dass es eines langjährig geübten Langmuts bedarf, es überhaupt noch in der Öffentlichkeit zu wiederholen. 

Gerade der zusätzliche Hinweis, stets nur in Abstimmung mit den USA zu handeln, leuchtet die ganze Konstruiertheit aus, denn es setzt ja voraus, die amerikanische Regierung würde ruhig zusehen, wie die Bundesregierung etwas unternimmt, was in Washington als halsbrecherisch angesehen würde. Man darf darauf vertrauen, dass die amerikanische Regierung in einer solchen Lage aus eigenem Antrieb tätig würde. 

Kampfpanzer sind militärisch zweifelsfrei nötig

Polen, das von Leopard 2 auf amerikanische und südkoreanische Kampfpanzer umstellen wird, und mittlerweile auch Finnland drehen den Spieß nun um, indem sie die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die ukrainischen Streitkräfte anbieten und damit Scholz vor die Entscheidung stellen, entweder in diese internationale Koalition einzusteigen oder die deutsche Weigerung als den eigentlichen Alleingang zu offenbaren. 

Dass die Kampfpanzer militärisch nötig sind, steht außer Frage. Sie ergänzen die Späh- und Schützenpanzer und können dazu beitragen, dass die Ukraine russische Streitkräfte zurückdrängt. Russland hatte auf die Ankündigung, Schützenpanzer zu liefern, mit diplomatischem Protest, Gleichgültigkeit und Häme reagiert. Mehr ist wohl auch nach der nächsten Ankündigung nicht zu erwarten. Die Desinformationskampagnen in der EU laufen sowieso weiter

 

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So ist es wahrscheinlich, dass die Lieferung von Kampfpanzern nächste Woche in der Rammstein-Kontaktgruppe beschlossen wird. Das wird zwei Folgen haben. Erstens wird erneut deutlich, dass die Bestände der Bundeswehr so dezimiert wurden, dass aus Deutschland vor allem Leopard-1-Panzer abgegeben werden können, von denen bis zu 200 Stück bei der Industrie stehen. Zweitens dokumentierte so ein Beschluss, dass die Führungsinitiative in der EU nicht mehr in Berlin liegt. Denn schon im April hatte Rheinmetall angeboten, 50 Leoparden bis Anfang Juni 2022 auslieferfertig zu haben. 

Die Bundesregierung hat damit erneut die Chance verpasst, Initiative in einer Angelegenheit zu ergreifen, von der sie weiß, dass sie am Ende doch widerwillig mitziehen wird. Schon die Lieferung der Schützenpanzer wurde zwar mit den USA, nicht jedoch mit Frankreich koordiniert. Bei den Kampfpanzern wurde erneut die Chance verpasst, eine EU-gemeinsame Haltung auszubilden, die dann in der NATO und dem Unterstützerkreis der Ukraine besprochen werden kann. 

Russlands imperialistischer Ausgriff gilt der EU

Es hat den Anschein, als haben Teile der Bundesregierung noch nicht realisiert, dass Russlands imperialistischer Ausgriff zwar derzeit mit Gewalt versucht, die Ukraine einzunehmen, am Ende jedoch der EU gilt. Denn Russland will das Modell der EU – gemeinsame Integration, um international handlungsfähiger zu werden, interne Konflikte zu lösen sowie Kriege zu verhindern – bezwingen, weil nur dann sein bestimmender Einfluss ausgeübt werden kann. 

Wenn die Stärkung der EU zentrales Interesse der Bundesregierung werden soll, braucht sie sicherheitspolitisch die Zeitenwende, von der Scholz anscheinend in der Hoffnung gesprochen hat, sie nie umsetzen zu müssen. So steht er schon wieder unter Zugzwang und schrumpft auf diese Weise nicht nur Deutschlands Ansehen unter den Partnern, sondern auch sein eigenes außerhalb seiner Partei. 

Nur 33 Prozent haben im Januar 2023 angegeben, Vertrauen in das Amt des Bundeskanzlers zu haben. Das sind zwar ein paar Prozent mehr als die SPD derzeit in die Waagschale wirft, die bei 18 Prozent liegt, aber ein Rückgang von 24 Prozent zu 2022. Scholz hatte sich seiner Führungsfähigkeit gerühmt. Bei der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine wird er dem polnischen Präsidenten folgen. 

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