Twitter-Streit in Brasilien - Musk-Stich in Lulas Wespennest

In Brasilien tobt ein erbitterter Machtkampf um die demokratischen Institutionen. Mittendrin: Elon Musk, der den wohl mächtigsten Richter des Landes attackiert und eigentlich Präsident Lula da Silva meint. Dabei geht es um mehr als bloß um gesperrte Social-Media-Konten.

Angriff auf die Demokratie? Präsident Lula da Silva (l.) mit Verfassungsrichter Alexandre de Moraes / dpa
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Tobias Käufer ist Auslandskorrespondent in Lateinamerika. 

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Jair Bolsonaro wittert seine Chance: „Wir haben jetzt sehr starke Unterstützung von außen“, sagte der rechtspopulistische Ex-Präsident vor wenigen Tagen inmitten einer vom ganzen Land verfolgten Auseinandersetzung zwischen Elon Musk (Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter) und Alexandre de Moraes, Richter am Obersten Gerichtshof. Musk warf Moraes Verfassungsbruch vor: „Warum fordern Sie so viel Zensur in Brasilien?“

Konkret ging es um eine Anweisung von Moraes, dass die Plattform X bestimmte Konten wegen der Verbreitung von Fake-News sperren müsse – darunter auch die eines Bloggers und zweier Kongressabgeordneter. Musk kündigte zunächst an, die Restriktionen zu ignorieren, um dann doch zurückzurudern und zu erklären, X werde die Gesetze Brasiliens und anderer Länder respektieren. Doch damit war der Stein ins Wasser geworfen. Denn längst geht es in Brasilien um mehr als nur um gesperrte X-Konten, nämlich darum, wieviel Macht eine Regierung und ihre Institutionen auf sich vereinen dürfen.

Moraes ist für die linksliberalen Kräfte nicht nur in Brasilien ein Held, seit er im Wahlkampf 2022 und danach praktisch alle Entscheidungen zugunsten des späteren linksgerichteten Wahlsieger Luiz Inacio Lula da Silva (78) traf. Der anschließende Vandalismus eines wütenden Mobs von Bolsonaro-Anhängern in Brasilia, die die hauchdünne Wahlschlappe nicht akzeptierten, führte dazu, dass der abgewählte Rechtspopulist Bolsonaro acht Jahre lang nicht mehr für ein Amt kandidieren darf. Und sich inzwischen als Opfer inszenieren kann.

Die Demokratie wird in Brasilien auch von links massiv ausgehöhlt

Das Problem: Die Demokratie wird in Brasilien nicht nur von rechtsaußen offen attackiert, sondern auch von links massiv ausgehöhlt. So hatte Lula unmittelbar nach Bezug des Präsidentenpalastes in Brasilia behauptet, sein Amtsvorgänger habe wertvolle Möbel mitgehen lassen. Lulas Ehefrau Janja führte sogar ein TV-Team durch das leere Gebäude und zeigte sich erschüttert. Geplant sei, sagte das entsetzte Ehepaar, Möbelstücke und Kunstwerke auf die Liste des nationalen Erbes zu setzen, „damit es nicht wieder vorkommen kann, dass ein Präsident historische Gegenstände mitnimmt, die dem brasilianischen Staat gehören“. Die Meldung ging um die Welt, unabhängig überprüft wurde sie nie. Auch nicht von der eigens von der Regierung gegründeten Anti-Fake-News-Abteilung. 

 

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Vor wenigen Wochen berichteten dann brasilianische Medien: Die Möbel waren nie verschwunden, sie befanden sich die ganze Zeit im Präsidentenpalast, wo sie hingehörten. Für Lula war die Enthüllung eine Blamage. Unklar ist, ob er dreist gelogen hat oder nur schlecht informiert war. Lula reagiert zunehmend nervös, das Magazin Veja veröffentlichte Ende März eine „Sonntagsfrage“, derzufolge Bolsonaro 37,1 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen könnte, gegenüber 35,3 Prozent für Lula. Inzwischen wird darüber spekuliert, dass Bolsonaros Ehefrau Michelle für ihren gesperrten Mann als Präsidentschaftskandidatin in den Wahlkampf ziehen könnte.

Lulas Umfragewerte sind im Keller

Dass Lulas Umfragewerte im Keller sind, liegt auch daran, dass er wie Bolsonaro versucht, die demokratischen Institutionen auszuhöhlen und damit Misstrauen in jener Mitte der Gesellschaft schürt, die die Wahlen entscheidet. Lula brachte mit Cristiano Zanin seinen persönlichen Anwalt in den Korruptionsprozessen am Obersten Gerichtshof (STF) unter. Seit Februar ist ein enger politischer Vertrauter Lulas aus dem Kabinett direkt an die Spitze des STF gewechselt: Flávio Dino. Die Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff (beide linke Arbeiterpartei PT) haben ihre Amtszeiten dazu genutzt, genügend Vertrauensleute im STF zu platzieren, sodass das Portal 360 jüngst von einem „PT-Gericht“ sprach. Fast wirkt es so, also wollte sich die Arbeiterpartei vorsorglich gegen neue Korruptionsermittlungen wappnen. 

Inzwischen gerät sogar die Anti-Korruptions-NGO „Transparency“ ins Visier der Justiz. Sie hatte im Jahresbericht 2023 über massive Rückschritte im Kampf gegen die Korruption in Brasilien berichtet. Eine Woche danach ordnete der von Lula in einer seiner ersten Amtszeiten ernannte STF-Richter Dias Toffoli Untersuchungen gegen „Transparency“ an; es geht um angebliche illegale Finanzierung aus dem Ausland. „Dank Toffolis Entscheidungen ist Brasilien zu einem Friedhof für Beweise für Verbrechen geworden, die in mehr als einem Dutzend Ländern Lateinamerikas und Afrikas Elend, Gewalt und menschliches Leid verursacht haben“, wird Transparency in der Financial Times zitiert, nachdem Korruptionsurteile gegen ranghohe Politiker und Funktionäre aufgehoben wurden.

Inmitten dieser Gemengelage bekam nun Elon Musk überraschende Unterstützung. Investigativjournalist Glenn Greenwald, einst eine Ikone des linksliberalen Journalismus und inzwischen auch mal bei Fox News zu Gast, sprang Elon Musk zur Seite und warnte vor der großen Machtfülle von Richter Alexandre de Moraes. Was dieser in Brasilien mache, sei nicht nur im Vergleich zu den USA, sondern auch zu anderen Ländern in Europa extrem. Niemand betreibe diese Zensur in einem solchen Ausmaß und in einer solchen Form wie Brasilien. „Was mich am meisten stört, ist, dass all dies nicht durch ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz geschieht, sondern durch einen Richter, sogar mit Unterstützung der großen Mehrheit des Obersten Gerichtshofs“, sagte Greenwald dem Portal UOL News.

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