Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi - Eine schwer zu entschlüsselnde Botschaft

Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, will mit ihrem Besuch in Taiwan ihre Unterstützung für die dortige Demokratie zum Ausdruck bringen - was die Regierung in Peking erwartungsgemäß verärgert, die Taiwan als Teil Chinas betrachtet. Dabei gibt es keine offizielle Beistandsgarantie der USA für Taiwan, und einen weiteren Krieg kann sich das US-Militär derzeit nicht leisten. Warum also dieser Besuch zum jetzigen Zeitpunkt?

„Willkommen in Taiwan“: Plakat in der Hauptstadt Taipeh / dpa
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Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Die USA würden „den Preis zahlen“, drohte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Hua Chunying in einer Stellungnahme. Sie reagierte damit auf den Besuch von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und drittmächtigsten Politikerin der USA, in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Ihr Flugzeug landete dort am Dienstag zu großem Beifall der Einheimischen. Zum ersten Mal seit 25 Jahren besucht eine derart hochrangige US-Politikerin den Inselstaat. Laut Erklärung Pelosis will die amerikanische Kongress-Delegation damit ihre „unerschütterliche Unterstützung der lebendigen Demokratie Taiwans“ ausdrücken. Gleichzeitig wolle sie in keiner Weise den jahrzehntealten Status quo der amerikanischen Haltung gegenüber Chinas Besitzanspruch auf Taiwan in Frage stellen.

Dass die chinesische Regierung den Besuch ganz anders interpretieren würde, muss Pelosi jedoch klar gewesen sein. Worauf wird hier also spekuliert?

Eigentlich entsenden die USA eine Nachricht, die ganz im Maß ihrer Haltung in Bezug auf Taiwan liegt – nämlich eine nur schwer zu entschlüsselnde. Seit Jahrzehnten üben sich aufeinanderfolgende US-Regierungen in einer sogenannten „strategischen Ambiguität“ im Hinblick auf Taiwan. Offizielle Verteidigungsgarantien gibt es für den Inselstaat, der 180 Kilometer südöstlich des chinesischen Festlandes gelegen ist, nicht. Die chinesische Regierung träumt schon seit Jahrzehnten von einer Wiedereingliederung Taiwans ins Staatsgebiet. Sehr unsubtil war also die Botschaft, als das chinesische Militär Mitte Juli amphibische Landungen erprobte. Inoffiziell soll es für diesen Eventualfall jedoch Absprachen zwischen den USA und der taiwanesischen Regierung geben, sich einer Invasion gemeinsam entgegenzustemmen.

Verstärkt wird die Ambiguität Amerikas durch sich stets widersprüchliche Stellungnahmen vonseiten hochrangiger Politiker. Erst im Mai schien Präsident Joe Biden mit jeglicher Ambiguität aufgeräumt zu haben. Damals hatte eine Journalistin gefragt, ob die USA Taiwan militärisch zur Seite springen würden, sollte China eine Invasion starten. Biden antwortete kurz und knapp „ja“ und fügte an, man habe sich schließlich dazu verpflichtet.

Die Amerikaner wollen nicht mehr kämpfen

Seine eigenen Regierungssprecher ruderten allerdings umgehend zurück und ließen verlautbaren, Biden stelle die „One China“-Politik der USA in keiner Weise in Frage. Gemäß dieser Politik befinde sich China auf beiden Seiten der Taiwanstraße, wobei die amerikanische Regierung den Rechtsanspruch der Volksrepublik auf dieses Territorium zwar anerkenne, ihn aber nicht offiziell befürworte.

Erst vor kurzem erklärte Biden, dass seine Militärberater ihm mitgeteilt hätten, ein offizieller Besuch Pelosis sei „keine gute Idee“. Und letzte Woche soll der chinesische Staatschef Xi Jinping Biden in einem Telefonat davor gewarnt haben, sich im Konflikt auf Taiwans Seite zu schlagen. In der Tat ist das US-Militär durch mehrere Jahrzehnte Krieg gegen den Terror aufgerieben, während es mit seinen Waffenlieferungen an die Ukraine seine eigenen Reserven angezapft hat. Daneben haben die meisten Zweige der US-Streitkräfte Rekrutierungsprobleme. Die Amerikaner wollen nicht mehr kämpfen, scheint es. Die Kriegsmüdigkeit ist weit verbreitet.

Noch gibt es „nur“ beidseitiges Säbelrasseln. Seit Anfang dieser Woche bewegt sich die Kampfgruppe rund um den amerikanischen Flugzeugträger „USS Ronald Reagan“ auf Taiwan zu, während das chinesische Militär für den 4. August ein Übungsmanöver angekündigt hat, dass die taiwanesische Hauptinsel praktisch umzingeln würde. Darüber hinaus verhängte China Importstopps für über einhundert taiwanesische Firmen.

Eine offene militärische Auseinandersetzung zwischen den Supermächten wäre ohne Zweifel eine Katastrophe für Mensch und Wirtschaft. Doch sollte es vorerst nur bei ökonomischen Sanktionsmaßnahmen verbleiben, wäre der Weltwirtschaft trotzdem bereits stark geschadet. Taiwan hat zum Beispiel ein praktisches Monopol über die strategisch wichtige Halbleiterindustrie. Jedwedes Stocken dieses Wirtschaftszweigs könnte zu erheblichen Engpässen der zentralen Komponente auf den Weltmärkten führen. Moderne Computertechnik, auch innerhalb der Autoindustrie, kommt ohne Halbleiter nicht aus.

In einem wirtschaftlichen Konflikt könnte China den Trumpf in der Hand halten

Um sich von solchen Ernstfällen unabhängig zu machen, verabschiedete der US-Kongress kürzlich mit großer Mehrheit und Unterstützung aus beiden Parteien den sogenannten „CHIPS Act”, der die heimische Produktion von Halbleitern mit einem Finanzpaket in Höhe von 52 Milliarden Dollar fördern soll. Gleichzeitig sieht das Gesetz Sanktionen gegen amerikanische Firmen vor, die die Herstellung modernster Halbleitertechniken nach China verlagern wollen. Damit soll auch illegalem Technologietransfer vorgebeugt werden.

Sollte sich der Konflikt zunächst in wirtschaftlichen Bahnen halten, könnte jedoch China die Trumpfkarte in Händen halten. Das kommunistische Land hat nämlich über die Jahre beträchtliche Anteile an Dollarreserven aufgekauft. Würde es diese auf einmal loswerden, würde der US-Dollar kollabieren und eventuell seine Rolle als Leitwährung verlieren. Doch auch für die mit den USA eng verstrickte Wirtschaft Chinas hätte dieser Schritt fatale Folgen. Eine weitaus schmerzlosere Entkopplung würde sich über viele Jahre ziehen.

 

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Diesen ernsten Szenarien zum Trotz erhielt die erzliberale Pelosi vonseiten der republikanischen Opposition seltenen Zuspruch für ihre Reise, was auch Zeichen dafür ist, dass in puncto Außenpolitik in amerikanischen Regierungskreisen oft Konsens herrscht. Man will mit allen Mitteln die Vormachtstellung der USA sowohl in militärischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht beibehalten. Zentraler Teil dessen sei eine militärische Eindämmung chinesischer Machtprojektion im südchinesischen Meer und darüber hinaus, so der ehemalige hochrangige Pentagonbeamte Elbridge Colby gegenüber Cicero im vergangenen Herbst. Nähme China Taiwan ein, eröffnete das dem kommunistischen Land eventuell die Kontrolle über ganz Südostasien und vielleicht sogar den Pazifik.

Zumindest den USA geht es hier also um weitaus mehr als bloß um symbolische Bekenntnisse zur Demokratie oder pragmatische Sorgen um Zugang zu Halbleitern. In den Augen der amerikanischen Regierung ist Taiwan ein Bollwerk gegenüber der wirtschaftlichen und vor allem militärischen Ausbreitung des neuen Erzfeinds China. Und der Staatsbesuch von Nancy Pelosi könnte eine kaum subtile Botschaft an Präsident Xi sein, dass man dazu bereit sei, dieses Bollwerk im Ernstfall zu befestigen.

Ob das US-Militär dazu jedoch in der Lage wäre, ist eine andere Frage. Für einen Zweifrontenkrieg wäre es derzeit definitiv zu schwach. Was auch heißt, dass die Aufmerksamkeit Amerikas auf kurz oder lang unentwegt in Richtung Ostasien verlagert werden wird – und Europa mit Hinblick auf Russlands Ambitionen vermehrt auf sich allein gestellt sein könnte.

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