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Intervention - Syrien ist Opfer des Iraktraumas

Seit Ruanda ist es Konsens, dass die Staaten dieser Welt und die Vereinten Nationen eine Schutzverantwortung haben. Wo eine Regierung ihr eigenes Volk bedroht, müsse eingegriffen werden. Menschenrechte schlagen staatliche Souveränität. Das muss auch heute in Syrien gelten

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Raphael Thelen ist freier Journalist. Seit dem Ausbruch der Revolutionen in der arabischen Welt berichtete er aus Tunesien, Ägypten und Libyen für deutsche und englischsprachige Medien.

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Für die Menschen in Damaskus muss die Debatte unerträglich klingen. Seit Tagen ringen Politiker im Westen um Worte. Es könne nicht abschließend geklärt werden, wer hinter dem Giftgasangriff, bei dem mehrere hundert Menschen starben, stehe. War es vielleicht nicht Bashar al-Assad, sondern sein Bruder Maher, der im Alleingang handelte? Waren es Rebellen, die eine westliche Intervention provozieren wollten? Und war es vielleicht kein Sarin, sondern irgendetwas anderes, mit einem weniger bedrückenden Namen? Die Weltgemeinschaft sucht nach Ausreden, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Ihre Argumente sind dabei alle ziemlich schwach. Die syrische Armee hat in mindestens 19 dokumentierten Fällen Giftgas eingesetzt. Und das sind nur die Fälle, bei denen es dutzende Tote gab. Viel öfter handelt es sich um Angriffe, die keinen öffentlichen Aufschrei verursachen.

Giftgas hört und sieht man nicht. Schlägt eine Rakete hinter dem nächsten Häuserblock ein, weiß man nicht, ob es ein Sprengkopf war oder nicht. Man erfährt es erst, wenn sich plötzlich Pupillen verengen, das Atmen schwerfällt und die Muskeln krampfen. Dann folgen Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Tod. Die Waffe ist so grausam, dass sie seit dem ersten Weltkrieg international geächtet ist.

Laut des französischen Journalisten Laurent Van der Stockt, der mehrere Wochen aus den Vororten Damaskus berichtet hat, setzt die syrische Armee Giftgas mittlerweile mit beängstigender Regelmäßigkeit ein. Stets in kleinen Dosen, aber mit großem Effekt. Viele Rebellen tragen ununterbrochen Gasmasken. Sie wissen nie, wann es zum nächsten Angriff kommt. Das zermürbt und untergräbt die Kampfmoral. Man kann sich nie sicher fühlen. Das macht die Arbeit der syrischen Armee einfacher. Ein simples militärisches Kalkül, das Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf nimmt.  Und der Westen schaut zu und diskutiert. Es gäbe keine politischen Ansatzpunkte. Syrien sei ein Pulverfass. Man wolle die Dschihadisten nicht stärken.

Hinter dem Zögern steht die Erfahrung aus dem Irakkrieg. Die amerikanische Invasion des syrischen Nachbarlands war unter einer Lüge begonnen worden, dann schlecht durchgeführt und mündete schließlich in ein andauerndes Desaster. Allein im Ramadan dieses Jahres starben mehr als 800 Menschen durch Autobomben. Und darüber hinaus hat das auch noch viel Geld gekostet. Keiner ist bereit, sich schon wieder auf eine solche Militäraktion einzulassen.

Doch niemand spricht in Bezug auf Syrien von Bodentruppen und einer jahrelangen Besetzung. Es geht um eine begrenzte Aktion, die militärische Infrastruktur zerstört. Es geht darum, Assad klar zu machen, dass es Grenzen gibt. Doch Syrien ist Opfer des Iraktraumas.

Diese fatale Ausgangslage hat es schon ein Mal gegeben. 1994 In Ruanda. Vor den Augen der Welt wurden in wenigen Wochen mindestens 500.000 Menschen getötet. Die Vereinten Nationen hatten ein kleines Kontingent von Blauhelmsoldaten unter der Führung von Roméo Dempsey vor Ort. Dempsey sah den Genozid kommen, flehte um mehr Truppen und ein robusteres Mandat, um eingreifen zu können. Doch er wurde vertröstet. Schlussendlich musste er von seinem Schreibtisch aus zusehen, wie 75 Prozent der Tutsi-Bevölkerung ermordet wurden.

Dempsey wartete vergeblich, da der Westen Interventionsmüde war. Nur ein Jahr zuvor waren bei einem Einsatz in Somalia 18 amerikanische Soldaten getötet worden. Der berühmte Black Hawk Down Vorfall. Die Bilder von geschändeten Leichen amerikanischer Soldaten gingen um die Welt. Danach wollte niemand mehr noch einen Einsatz in Afrika riskieren.

Ruanda wird für immer ein schwarzes Kapitel in der Nachkriegsgeschichte sein. Es hätte nicht passieren dürfen. Die Antwort darauf war ebenso radikal wie richtig. Es wurde Konsens, dass die Staaten dieser Welt und die Vereinten Nationen eine Schutzverantwortung haben. Wo eine Regierung ihr eigenes Volk bedroht, müsse eingegriffen werden. Menschenrechte schlagen staatliche Souveränität. Das muss auch heute in Syrien gelten.

Kritiker argumentieren, dass es den Verlauf des syrischen Bürgerkrieges nicht ändern wird. Dass blinder Aktionismus nicht weiterhelfe. Dass der Westen in anderen Fälle ja auch nicht eingreife. Doch ist inkonsistente Übernahme von Verantwortung nicht besser, als konsistente Verantwortungslosigkeit?

Außerdem reicht der Konflikt längst über Syriens Grenzen hinaus. US-Präsident Barack Obama hat eine Rote Linie gezogen. Kein Giftgas, andernfalls  komme es zu Strafaktionen. Die USA als Weltpolizei. Vielen ist dieser Gedanke ein Albtraum und oft genug hat Amerika mehr Schlechtes als Gutes bewirkt. Aber was ist die Alternative? Dass die Weltgemeinschaft tatenlos zusieht, wie Menschen nach Belieben von ihren Herrschern unterdrückt werden?

Denn das ist, worauf all die Diktatoren dieser Welt derzeit schauen. Sie wollen sehen, ob Assad ungeschoren davonkommt. Sie wollen sehen, wie groß ihr Spielraum dieser Tage ist. Und deshalb muss Obama zu seiner Roten Linie stehen. Der beste Schutz ist Prävention. Wenn eine glaubwürdige Drohung im Raum steht, ist das ein klares Signal. Andernfalls verlieren die völkerrechtlichen Errungenschaften der vergangenen 100 Jahre Glaubwürdigkeit und Substanz.

 

 

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