Parlamentswahlen in Spanien - Die Konservativen liegen bei den Umfragen vorne

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag sieht alles nach einem Machtwechsel aus, doch die Konservativen werden die Unterstützung der rechtsextremen Partei Vox brauchen.

Pedro Sanchez, Regierungschef von Spanien und Kandidat der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE / picture alliance
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Ute Müller ist Korrespondentin für Spanien mit Sitz in Madrid.

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Ausgerechnet im heißen Ferienmonat Juli sind die Spanier zu den Urnen gerufen. Eigentlich sollten die Parlamentswahlen erst im Dezember stattfinden, doch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez beschloss nach einer schweren Wahlschlappe bei den Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai, sich den Wählern früher als geplant zu stellen. Seine sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) erhielt nur 28,2 Prozent der Stimmen, rund drei Punkte weniger als die Konservativen von der Volkspartei (PP).

Noch stärker abgestraft wurde die Linkspartei Unidas Podemos (UP), bis dato Koalitionspartner von Sánchez’ Minderheitsregierung. UP flog gleich aus mehreren regionalen Parlamenten, darunter auch Madrid, wo die Partei einst aus der Bewegung der sogenannten „Empörten“ entstanden war.

Ursache für den Wählerschwund war eine misslungene Strafrechtsreform, für die UP-Gleichstellungsministerin Irene Montero verantwortlich zeichnete. Eigentlich wollte man auf zu milde Strafen bei Vergewaltigungen reagieren, doch wegen eines Formfehlers kamen rund einhundert bereits verurteilte Täter vorzeitig frei, und in mehr als Tausend Fällen wurden die Haftstrafen gesenkt. Besonders viele Frauen, traditionell die wichtigste Wählergruppe der Sozialisten, wanderten entsetzt zu den Konservativen ab.

Munition für die Opposition lieferte auch die baskische nationalistische Linkspartei Bildu, die auf ihren Listen vor den Kommunalwahlen einige verurteilte Mitglieder der aufgelösten Terrororganisation Eta führte. Obwohl Bildu die Kandidaten vor den Wahlen zurückzog, war der Schaden angerichtet.

Erhöhung des Mindestlohns

Da halfen nicht einmal die guten wirtschaftlichen Eckdaten, die Sánchez in den letzten Monaten trotz der gestiegenen Energiepreise vorweisen konnte. So hat sich die Lage für die Beschäftigten nach einer Erhöhung des Mindestlohns und einer ehrgeizigen Arbeitsmarktreform deutlich verbessert. Spanien ist sogar das erste Land in der EU, dessen Inflation unter das EZB-Ziel von zwei Prozent gesunken ist.

Dennoch konnten die Konservativen gegenüber dem letzten Urnengang 2019 neun Prozentpunkte hinzugewinnen und wurden zur stärksten Kraft. Laut den Umfragen hat sich der Trend in den letzten Wochen stabilisiert. So könnte es die PP auf etwa 140 der 350 Sitze im Madrider Abgeordnetenhaus bringen. Für eine absolute Mehrheit reicht es aber nicht, dazu bräuchte der PP-Vorsitzende und Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo (63) die rechtsextreme Vox, der man 40 Mandate prognostiziert. Damit wäre Vox weiterhin die drittstärkste Kraft im spanischen Parlament.

Keine Berührungsängste mit den Ultrarechten

Die Volkspartei hat mittlerweile keinerlei Berührungsängste mit den Ultrarechten mehr. Seit den Kommunal- und Regionalwahlen hat PP mit Vox in drei autonomen Regionen einen Regierungspakt geschlossen, in weiteren 140 Gemeinden, darunter so wichtigen Städten wie Valladolid, Toledo oder Burgos, wird über eine Kooperation verhandelt. „Die Ultrarechte bekommt dank der Großzügigkeit der PP in Spanien politisches Gewicht“, schrieb Enric Juliana, stellvertretender Chefredakteur der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia. Dies dürfte eine Blaupause für die Zeit nach den Parlamentswahlen vom 23. Juli sein.

Vox-Präsident Santiago Abascal (47) hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die PP nur auf seine Unterstützung zählen kann, wenn Vox an der Regierung beteiligt wird und einige Ministerien bekommt. Das wäre das erste Mal seit Beginn der Demokratie vor fast 50 Jahren, dass eine rechtsextreme Partei tatsächlich an einer nationalen Regierung beteiligt werden könnte. Der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown warnte in einem Leitartikel in der britischen Tageszeitung Guardian, dass ein solcher Tabubruch auf dem europäischen Kontinent ein politisches Erdbeben auslösen dürfte. Denn Vox gilt als europafeindlich und hat kein nennenswertes Interesse daran, dass Spanien die EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli begann, erfolgreich zu Ende führen kann.

Vox sieht sich als Bewahrer der traditionellen Werte 

Die Partei verkauft sich als Bewahrer der traditionellen Werte in einer Gesellschaft, in der die Familie die Kernzelle bilden sollte. Vox sieht sich auch als Sprachrohr der ländlichen Bevölkerung, die das Diktat aus Madrid und Brüssel satt hat. Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, lieferten die ersten Auftritte einiger Vox-Parlamentarier in Valencia und auf den Balearen, die auch den Autonomiestatus einschränken wollen.

Zum Vizeregierungschef der valencianischen Landesregierung wurde etwa Vicente Barrera gekürt, ein ehemaliger Torero, der jetzt auch für Kultur zuständig ist. Per Internet befragte er seine Fans, ob er sein Pferd lieber „Duce“ oder „Caudillo“, also nach den Diktatoren Benito Mussolini oder Francisco Franco, benennen sollte.
 

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Abascal hat schon angekündigt, dass er auch in Katalonien hart durchgreifen will. Sollten die Unabhängigkeitsbestrebungen wieder aufleben, müsse man dort eine Zwangsregierung einführen. Damit wäre eine der größte Errungenschaft der Sánchez-Regierung, nämlich die Beruhigung der Lage in Katalonien nach dem nicht verfassungskonformen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017, gefährdet.

„Rückkehr Spaniens in die dunkle Vergangenheit“

In der Endrunde des Wahlkampfs wird Sánchez nicht müde, vor einer „Rückkehr Spaniens in die dunkle Vergangenheit“ zu warnen. Er ist bemüht, wieder Boden gutzumachen, denn bei der einzigen Fernsehdebatte mit seinem konservativen Herausforderer vor knapp zwei Wochen kam er beim Publikum schlechter an als Feijóo.

Doch mittlerweile sind auch dem gebürtigen Galicier einige Schnitzer unterlaufen. So verärgerte Feijóo etwa die zwölf Millionen Pensionäre, als er wider besseres Wissen behauptete, seine Partei habe die Renten immer ordentlich erhöht. Wenig charmant zeigte sich Feijóo gegenüber Yolanda Díaz. Sie ist die bisherige Arbeitsministerin im Kabinett von Sánchez und Spitzenkandidatin der linken Wahlplattform Sumar. „Wenn man die Ministerin, die für Beschäftigung zuständig ist, ansieht, merkt man, dass sie vor allem sehr viel vom Schminken versteht“, so der Konservative. Die machistische Anspielung dürfte auch die Frauen in den eigenen Reihen brüskieren. 

Sánchez hingegen hat stets darauf geachtet, dass die Frauen in seiner Regierung mindestens paritätisch vertreten sind. Sollte seine Partei wider Erwarten die meisten Stimmen auf sich vereinigen, werde er eine Koalition mit Díaz eingehen, so der noch amtierende Ministerpräsident.

Wahl wird auch in der EU mit Spannung erwartet

Den Vorschlag seines Herausforderers Feijóo, dass die meistgewählte Partei regieren kann, auch wenn sie keine absolute Mehrheit hat, lehnte Sánchez ab. Feijóo bräuchte die Enthaltung der PSOE, um nicht auf Vox angewiesen zu sein. Die rechtspopulistische Partei, die im Jahr 2013 als Abspaltung der Volkspartei gegründet wurde, tritt immer selbstbewusster auf. Um nicht noch mehr Wähler an Vox zu verlieren, musste Feijóo während des Wahlkampfes sein moderates Profil, das seine Zeit als Regionalpräsident von Galicien prägte, ablegen.

Auch in der EU sieht man der Schicksalswahl auf der Iberischen Halbinsel mit Spannung entgegen. Bei einem Spanienbesuch Anfang Juli sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sie habe unabhängig vom Wahlausgang volles Vertrauen in den europäischen Geist Spaniens.

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