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Slowakei - Überwindung des kommunistischen Traumas

Die Wahl des Millionärs Andrej Kiska zum neuen Präsidenten der Slowakischen Republik ist eine historische Zäsur. Damit hat endgültig der Liberalismus die Werte überwunden, die der Kommunismus geprägt hat

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Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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„Am Kommunismus war nicht alles schlecht!“, ist ein Satz, mit dem reformierte Rote – und Tiefrote  – gerne um sich werfen. In jedem Land mit einer entsprechenden Vergangenheit. Der Inhalt bleibt, nur die Sprache ändert sich. Auf Slowakisch heißt das: Za komunizmu ne všetko bolo zlé.

Dieser Satz hat sich fest ins kollektive Gedächtnis und in die politische Kultur gekrallt – im wissenschaftlichen Sinne also in die Vorstellungen über die Welt der Politik, in den soziale Kontext, in den das politische System eingebettet ist. Die Nostalgie wird damit zur schmerzhaften politische Gegenwart.

Dass die Slowaken nun Andrej Kiska zu ihrem Staatsoberhaupt gemacht haben, ist eine Überraschung und noch mehr. Denn er ist der erste Präsident, der nie Mitglied in der Kommunistischen Partei gewesen war. Eine Zäsur in der Geschichte eines Landes, das nach dem Zerfall des Ostblocks zu kämpfen hat.

Die Slowaken misstrauen der Marktwirtschaft


Die Slowakei gehört – im Gegensatz zum aufstrebenden Bruderstaat Tschechien oder dem Baltikum – nicht zu den Gewinnern des Systemwandels in Osteuropa. Wenn die Slowaken auf die magere Gehaltsabrechnung schauen, die es im Landesdurchschnitt auf keine vier Stellen bringt, schweift der Blick schnell in die Vergangenheit. Die Arbeitslosenquote lag zuletzt bei 14,2 Prozent. Die Sehnsucht ist groß nach einer Zeit, als Fabriken ganzen Dörfern auf dem Land Arbeit boten. Nach einer Zeit, als die Staaten des Warschauer Paktes noch Waffen kauften. Der slowakische Landesteil der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik hatte fast ausschließlich für sie produziert.

Über 20 Jahre hängt die Slowakei schon in ihrem kommunistischen Trauma fest. Weite Teile der Bevölkerung haben ihren Frieden mit der Demokratie noch nicht geschlossen. Sie sehnen sich nach Sicherheit und einem paternalistischen Staat – unabhängig von seiner demokratischen Legitimation. Ordnung soll herrschen, egal wie. Auf den Straßen und in der Wirtschaft.

Zahlreiche Umfragen in den letzten Jahren zeigen, dass viele Slowaken staatliche Eingriffe in die Unternehmensautonomie gutheißen und sogar Preisfestlegungen nicht abgeneigt sind. Das Misstrauen gegenüber der Privatwirtschaft ist enorm.

Und nun, am 29. März, hat sich all das geändert. Ein parteiloser, millionenschwerer Unternehmer hat das Vertrauen der Slowaken und so die Präsidentschaftswahlen gewonnen: Andrej Kiska.

Die Dominanz der Etatisten und Nationalisten


1990 war der Mann aus der Tatra für ein Jahr in die USA gegangen und mit Geschäftsideen zurückgekehrt. Er gründete eine Handelsgesellschaft für Goldschmuck, ein Netz aus Kreditfirmen und wurde Millionär. Vor sieben Jahren gründete der – wie er sich selbst nennt – „Manager und Philanthrop“ die NGO „Guter Engel“, die Familien bei schweren Krankheitsfällen wie Krebs unterstützt. Ein Wohltäter, der Amerika-affin ist und von Kommunismus nichts wissen will.

Seit der Unabhängigkeit der Slowakischen Republik 1993 waren es allenfalls liberale Idealisten, die sich jedweder Kommunismus-Nostalgie verwehrten. Denn viele Stimmen bekam man mit so einem Mind-Set lange nicht. Seit der Staatsgründung bestimmten nationalistische und linke Parteien die Politik, die gemeinsam ein nationalistisch-etatistisches Lager bilden. Nur ein Mal konnte ihre Dominanz gebrochen werden.

Mit Mühe und Not schmiedeten Christlich-Konservative gemeinsam mit Liberalen und einer ungarischen Minderheitenpartei eine wackelige Vierparteienkoalition. Doch bereits nach eineinhalb Jahren zerbrach die Regierung von Premierministerin Iveta Radičová an der Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm.

Auch wenn das bürgerliche Experiment scheiterte, war es für die Slowakei wichtig. Der Verdienst der Koaliton waren nicht die Reformen, sondern der Beweis, dass eine andere Slowakei möglich ist – fernab der Hetze gegen Roma und Ungarn, mit einem deutlichen Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft und zur pluralistischen Gesellschaft.

Die Regierung Radičová hatte die liberale Saat ausgebracht, aus der das erwuchs, was im Vertrauen zu Andrej Kiska erblühte.

Eigentlich sah es so aus, als würde der sozialdemokratische Premierminister Robert Fico, der gegenwärtig mit absoluter Mehrheit regiert, Präsident werden, und damit zum mächtigsten Mann der slowakischen Geschichte. Denn im semipräsidentiellen System der Slowakei kann der Präsident das Parlament auflösen, ist Oberbefehlshaber über die Streitkräfte, ernennt die Verfassungsrichter und Generalstaatsanwälte und kann Amnestien erlassen. Mit einer hörigen Parlamentsmehrheit könnte ein Präsident durchregieren.

Kaum einer zweifelte an Ficos Sieg. Denn die einstige Hoffnung der reformierten kommunistischen Partei bedient seit Jahren erfolgreich das „Der-Kommunismus-ist-gar-nicht-so-schlecht“-Klischee. Im Wahlkampf holte er die effektiven Wortwaffen „Stabilität“ und „Sicherheit“ aus dem Arsenal.

Parteiloser statt ex-kommunistischem Polit-Profi


Noch in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 15. März lag Fico mit 28 zu 24 Prozent vor Kiska. Gewohnt stark schnitt er im ländlichen Raum ab, gewohnt schwach in den ungarisch geprägten Gebieten und in den städtischen Agglomerationen – vor allem um die Hauptstadt Bratislava. In der zweiten Runde, bei der gut jeder zweite Slowake wählen ging, siegte Andrej Kiska über Robert Fico mit fast 60 zu 40 Prozent.

Fico hatte in den vergangenen Wochen zwar immer wieder seine Eignung für das Präsidialamt aufgrund politischer Erfahrung und internationaler Kontakte herausgestellt und sogar eine Schmähkampagne gegen Kiska gefahren, in der er ihm vorwarf, mit unlauteren Geschäftsmethoden reich geworden zu sein und Scientology nahezustehen. Doch das verfing nicht.

Kiska Ankündigung dagegen, die Politik „menschlicher zu gestalten und Vertrauen in ein gegebenes Wort“ zurückzubringen, erreichte viele Menschen. Zudem positionierte er sich mit der Aussage, der Präsident müsse ein Gegengewicht zur Regierung bilden, klar gegen den Machtpolitiker Fico. Schließlich empfahlen führende Oppositionspolitiker, aber auch Prominente wie der ehemalige Eishockey-Nationaltrainer Ján Filc, Kiska als Präsidenten.

Statt eines populistischen Polit-Profis steht nun ein parteiloser Unternehmer an der Spitze des Landes. Die Slowaken haben statt eines Ex-Kommunisten einem Liberalen das Tor zum Präsidentenpalast aufgestoßen – und damit ihr kommunistisches Trauma überwunden.

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