Sanktionen gegen Russland - „Es tut Russland deutlich mehr weh als dem Westen“

Die russische Exportwirtschaft scheint sich zu erholen, wurde jüngst berichtet. Zeigen die Sanktionen noch Wirkung? Im Interview erklärt der Ökonom Julian Hinz, wie Russland manches umgeht. Dennoch kann sich der Kreml nicht über eine blühende Wirtschaft freuen.

Hafen von Wladiwostok / picture alliance
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Prof. Dr. Julian Hinz ist Mitglied des Forschungszentrums Handelspolitik am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Er ist empirischer Ökonom und forscht zu Themen des internationalen Handels, der Migration und der angewandten Ökonometrie. Außerdem ist er Juniorprofessor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld.

Herr Hinz, zuletzt wurde mehrfach berichtet, dass die drei größten Containerhäfen in Russland eigentlich alle wieder so laufen würden wie vor Beginn des Krieges im Februar 2022. Russlands Wirtschaft blüht, heißt es. Wirken die Sanktionen nicht mehr?

Das kann man so nicht sagen. Und dass Russland weiter handelt, überrascht überhaupt nicht. Denn natürlich versuchen jetzt russische Firmen alternative Märkte zu finden, woher sie importieren können beziehungsweise wohin sie exportieren können. Aber das ist natürlich alles deutlich kostspieliger als vorher. Denn die natürlichen Handelspartner für die russische Wirtschaft liegen in Westeuropa. Und dieser Handel funktioniert im Moment nicht mehr so, wie es früher war. Jetzt ist es deutlich teurer für die russischen Firmen geworden und weniger profitabel, an andere Märkte zu gehen.

Zu Beginn des russischen Überfalles gegen die Ukraine wurden die Sanktionen verschärft und es kamen anschließend noch weitere hinzu. Diese Sanktionen hatten anfangs schon eine deutliche Wirkung für die russische Wirtschaft, oder?

Definitiv. Und ich würde auch nicht sagen, dass die Wirkung jetzt gerade nicht spürbar wäre. Sie ist sogar deutlich messbar. Man muss sich aber überlegen: In welcher Welt würden wir jetzt leben, wenn es keine Sanktionen gegeben hätte? Dann würde die Welt ziemlich anders aussehen, wenn es Russland wirtschaftlich deutlich besser ginge. Und ich weise diese Behauptung wirklich stark zurück, dass die russische Wirtschaft blüht. Das ist auf gar keinen Fall so.

Sondern?

Derzeit gib es eine Kriegswirtschaft, in die der Staat massiv eingreift und die Industrie für die Produktion anfragt. Aber das bringt dem russischen Konsumenten, der russischen Bevölkerung, nicht wirklich einen Mehrwert. Um dies an einem kleineren Beispiel zu zeigen: Gestern musste ein russisches Passagierflugzeug notlanden. Vermutlich aufgrund von fehlenden Ersatzteilen, weil eben diese Flugzeuge nicht mehr die Ersatzteile aus Europa bekommen können. Eine Maschine, die damals vom russischen Staat einfach enteignet wurde. Auch, dass der russische Präsident jetzt auf Shoppingtour in Nordkorea geht, um dort mehr Waffen und Munition kaufen zu müssen, deutet darauf hin, dass es derzeit wirtschaftlich nicht so läuft für Russland wie es vor den Sanktionen gelaufen ist.

Nimmer die russische Bevölkerung die Sanktionen auch im alltäglichen Leben wahr?

Es ist natürlich deutlich teurer geworden für viele russische Unternehmen, Produkte aus dem Ausland zu beziehen, zum Beispiel aus Westeuropa. Das sieht man unter anderem auch am Rubel, der ordentlich an Wert verloren hat. Das wiederum hat auch etwas damit zu tun, dass die russischen Exporte, die sich in großem Maße hauptsächlich aus Öl, Gas und Kohle zusammensetzen, nicht mehr ansatzweise so laufen, wie das vor Beginn der Sanktionen war. Vor allem, weil der westeuropäische Markt der Hauptabnehmer von russischen Ressourcen war. Es ist deutlich schwieriger für die russische Wirtschaft, die Sachen zu verkaufen, die sie produziert, und es ist auch deutlich schwieriger und teurer geworden für die russische Wirtschaft, zu importieren. Und das spürt der russische Konsument am Ende auch.

Aber dennoch scheint der Effekt schon etwas zu schwinden.

Ja, das ist sicher. Man kann jetzt nicht denken: Wir verhängen Sanktionen als Europäer, als westliche Staaten, und damit bricht genau der Anteil an Handel für Russland weg, den es vorher zwischen Russland und den westlichen Staaten gab. Natürlich ist es von russischer Seite so, dass man andere Märkte sucht, andere Absatzmärkte, aber eben auch andere Märkte für Importe. So eine Handelsumleitung dauert seine Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen. Und Firmen reagieren jetzt auf diese neuen Bedingungen und versuchen, ihre Produkte wie Öl oder Gas in andere Länder zu verkaufen und eben auch mehr Produkte beispielsweise aus China zu kaufen.

Es gibt auch Berichte, wonach Deutschland russisches Öl über Indien importiert.

Diese Länder selbst sanktionieren Russland ja nicht. Sie heißen vielleicht nicht gut, was Russland in der Ukraine macht. Aber sie beteiligen sich nicht an den Sanktionen. Das führt dazu, dass es eben zu diesen Handelsumleitungen kommt, dazu, dass beispielsweise Russland jetzt mehr Öl nach Indien exportiert, Indien dadurch weniger Öl beispielsweise aus der arabischen Region importiert und wir dadurch jetzt mehr aus arabischen Ländern importieren.

Im Großen und Ganzen hat man das Gefühl, dass sich nicht so viel verändert hat. Außer, dass sich die Käufer und Verkäufer abgewechselt haben. Aber auch hier muss man die Frage stellen: Wäre das auch passiert ohne Sanktionen? Das kann man natürlich verneinen. Was darauf hindeutet, dass es eben vorher günstiger war, nicht nur im rein monetären, aber auch im monetären Sinne so zu handeln, wie man gehandelt hat.

Es ist ja auch nicht so, als wäre der ganze Handel mit Russland von europäischer Seite her komplett eingebrochen. Volkswirtschaftliche Realitäten kollidieren mit den Sanktionen. Ist man da von europäischer Seite aus nicht konsequent genug?

Es gibt Stellschrauben, die noch weiter justiert werden müssen. Wir sind inzwischen beim elften Sanktionspaket der Europäer. Und immer wieder wird darauf reagiert, wenn gesehen wird, wo noch Lücken sind oder wo noch weiteres Sanktionspotenzial genutzt werden kann. Und auch jetzt sieht man wieder, dass es bestimmte Punkte gibt, an denen man nachjustieren sollte, wenn man die Sanktionen weiter verschärfen möchte, oder wenigstens den gleichen Grad an Schärfe behalten möchte.

In Europa gibt es einige Staaten, die immer noch bedeutende Mengen an Gas zum Beispiel aus Russland beziehen. Oder wenn man sich die LNG-Importe aus Russland anschaut, die nicht sanktioniert sind: Vor einigen Tagen war in der Presse, dass Deutschland noch nie so viel LNG-Gas aus Russland importiert hat. All das sind noch Stellschrauben natürlich, an denen weiter geschraubt werden kann. Man beobachtet hier dann die Reaktion der Politik auf die Reaktionen der Wirtschaft, die versucht, nicht unbedingt aktiv die Sanktionen zu umgehen, aber sich auf diese neue politische Situation einzustellen.

Julian Hinz / IfW-Kiel

Aber es gibt doch bestimmt eine Grenze, wie weit man die Sanktionen noch schärfen kann, weil zum Beispiel Deutschland in verschieden Bereichen noch immer wirtschaftlich von Russland abhängig ist, oder?

Man muss dazu sagen, dass, wenn es wirklich Abhängigkeiten mit Russland gab, dann waren das die Pipelines und die werden ja inzwischen de facto nicht mehr benutzt von deutscher Seite. Ich würde jetzt nicht die LNG-Importe als große Abhängigkeit von Russland sehen. Der russische Markt als Exportmarkt war auch nicht wirklich volkswirtschaftlich relevant vor den Sanktionen: Es gingen ungefähr zwei bis zweieinhalb Prozent der deutschen Exporte nach Russland. Das ist vergleichbar mit Tschechien. Und es ist nicht so, dass da jetzt ein Markt weggebrochen ist, der für die Volkswirtschaft so wahnsinnig wichtig war.

Dass es einzelne Unternehmen gibt, für die der russische Markt wichtig war, das ist klar. Aber auch die waren schon seit mindestens 2014 vorgewarnt; dass dies jetzt nicht mehr der einfach zugängliche Markt ist. Und mindestens seit eineinhalb Jahren ist dieser Markt für diese Unternehmen auch nicht mehr wirklich attraktiv. Das sieht man in den Handelszahlen mit Russland, in den nicht sanktionierten Bereichen, welche auch massiv zurückgegangen sind. Um knapp 60 Prozent ist der Handel mit Russland insgesamt zurückgegangen.

Wenn man sich den internationalen Finanzsektor anschaut und wo anfangs auch versucht wurde, Russlands aus verschiedenen Zahlungssystemen zu verbannen: Im Nachhinein war dies nicht wirksam?

Es ist eine globale Wirtschaft und es gibt kein Embargo gegen Russland, an dem sich alle Länder beteiligen. Es gibt einzelne, wenn auch eine sehr wirkungsvolle Gruppe von Staaten, die sanktioniert, nämlich die westlichen Länder, die für Russland extrem wichtig waren. Aber es gibt eben auch einzelne Partner wie China, Indien, andere BRICS-Länder, aber auch die Türkei, die sich nicht diesen Sanktionen angeschlossen haben. China, Indien und die Türkei sind natürlich Handelspartner, mit denen man weiter handeln kann; die auch große Märkte haben. Wo auch Finanztransaktionen stattfinden können, ohne dass man direkt in die Fänge von Sanktionen kommt.

 

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Aus Sicht der westlichen Staaten konnte man auch nicht nicht auf Russlands Angriffskrieg reagieren und musste somit anhand der Sanktionen eine klare Botschaft Richtung Putin senden. Aber sind Sanktionen in diesem Kontext auch nur ein stumpfes Schwert und vielleicht eher Symbolpolitik?

Das würde ich so nicht sagen. Man muss sich immer überlegen, woran man jetzt den Erfolg von Sanktionen misst. Wenn man sich anschaut, wie häufig die russische Regierung darüber redet, dass die Sanktionen ihnen selbst nicht wehtun, aber dem Westen angeblich schon: Dann will ich das als Maßstab nehmen. Dafür, dass die Sanktionen nicht unerheblich sind. Und das sieht man ja bei den offiziellen Zahlen.

Natürlich tut dies der russischen Wirtschaft massiv weh und zugleich mehr als es irgendeiner anderen Volkswirtschaft wehtut. Es gibt verlässliche Studien, die das zeigen. Der russische Markt ist deutlich kleiner als der westliche Markt. Insofern gibt es hier eine große Asymmetrie zwischen Russland und dem Westen. Aber man muss sich dennoch fragen: Ist das alles, was wir machen wollen oder machen können? Und auch da gibt es weitere Instrumente, wo man noch weiter gehen könnte.

Was wäre dann ein besseres Sanktionsmodell für die Zukunft? Oder gibt es irgendwo einen grundsätzlichen Fehler im System? 

Ich weiß gar nicht, ob ich da einen Fehler sehen würde. Man muss sich überlegen, was die Erwartungshaltung ist. Dass die Sanktionen den Krieg in der Ukraine alleine beenden können, hätte ich von Anfang an für eine deutliche Überschätzung gehalten. Sie tun weh, keine Frage. Aber sie werden nicht dazu führen, dass die russische Regierung deshalb sagt: Entschuldigung, wir ziehen uns wieder zurück.

Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass Sanktionen in wirklich seltenen Fällen direkt zu dem Ergebnis führen, das gewollt ist. Man kann sich den Iran anschauen, man kann sich Nordkorea anschauen, man kann sich Myanmar anschauen. Bei all diesen Ländern gab und gibt es westliche Sanktionen. Inwiefern jetzt damit die Ziele erreicht wurden, ist eher fraglich. Aber es ist immer noch etwas anderes, als zu sagen: Jetzt machen wir gar nichts. Das heißt: Der Schritt war sicherlich richtig. Aber man braucht nicht zu glauben, dass sich die Welt deshalb dramatisch ändert.

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger. 

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