Propaganda aus dem Kreml gegen westliche Panzerlieferungen - Im Osten nichts Neues

In der vergangenen Woche kündigten einige westliche Staaten an, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Erwartungsgemäß läuft die russische Propaganda dagegen nun Sturm: Irrsinnige Nazivergleiche bestimmen derzeit die politische und mediale Öffentlichkeit.

Wladimir Putin scheint nach wie vor von einem Erfolg seines Krieges überzeugt zu sein / picture alliance
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Dr. Alexander Dubowy ist Forscher im Bereich Internationaler Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und GUS-Raum.

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Die offiziellen Reaktion Russlands auf die Ankündigung der westlichen Staaten eine Reihe von modernen Kampfpanzern an die Ukraine zu übergeben, ließ nicht lange auf sich warten. Am 25. Januar 2023 zeigte sich der Kremlsprecher Dmitrij Peskow beim Mediengespräch demonstrativ unbeeindruckt und versuchte die Bedeutung der westlichen Militärhilfen und insbesondere der angekündigten Kampfpanzerlieferungen als nicht kriegsentscheidend darzustellen.

So bezeichnete Peskow vor allem die geplante Lieferung der US-amerikanischen Kampfpanzer M1 Abrams als absurd. Aus technologischer Sicht sei dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt, die positiven Auswirkungen auf das Potential der ukrainischen Streitkräfte werde jedenfalls deutlich überschätzt, denn schließlich werden auch die US-Kampfpanzer wie auch alles andere Kriegsgerät niedergebrannt werden, so Peskow.

Keine strategischen Veränderungen

Die regierungsnahe Tageszeitung Iswestija diskutierte am 26. Januar 2023 äußerst einseitig, dafür jedoch ausführlich über die potentiellen Folgen der westlichen Kampfpanzer für die Kriegshandlungen in der Ukraine und kam dabei zum Ergebnis, dass die schweren Waffen des Westens technisch anfällig, für die ukrainischen Bodenverhältnisse ungeeignet und keine strategischen Veränderungen herbeiführen werden, zumal die russischen Kampfpanzer T-90M den westlichen Pendants deutlich überlegen seien. Die Tatsache, dass entgegen den offiziellen Ankündigungen in der Ukraine bislang nur einige wenige T-90M Panzer im Einsatz sind, fand im Iswestija-Bericht freilich keine Erwähnung.

Den vorläufigen rhetorischen Höhepunkt in der Panzer-Debatte setzte am 30. Januar 2023 Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Angesichts der geplanten westlichen Panzerlieferungen an die Ukraine und des „Wetteiferns Washingtons und seiner Vasallen“ in der Frage der militärischen Unterstützung Kiews seien jedwede Friedensverhandlungen mit der ukrainischen Regierung aussichtslos, erklärte Rjabkow.

Überraschend hielt Russlands Vize-Außenminister fest, dass Russland vom Westen nichts fordere, die NATO habe sich jedoch nicht nur bis an die russischen Grenzen Russlands erweitert, sondern auch Russlands Nachbarstaaten mit „russophober Panikmache verseucht“, so Rjabkow.

„Ein neues Reichsprojekt unter den Bannern der Sodomiten“

Russlands Propagandisten greifen die offiziellen Narrative in Echtzeit auf, bereiten diese für die breite Öffentlichkeit auf und beweisen damit eindrucksvoll, dass die Grenzen zwischen offiziellen Positionen und propagandistischer Überspitzung im heutigen Russland fließend sind.

Eine gute Zusammenfassung der russischen Propagandapositionen in Bezug auf die angekündigten Kampfpanzerlieferungen bietet die Sendung „Abend mit Wladimir Solowjow“ und insbesondere die Sendung vom 26. Januar 2023 unter dem Titel „Wenn Dir Dein Haus lieb ist“.  Bei diesen Worten handelt es sich um ein Zitat aus dem Gedicht von Konstantin Simonow „Töte ihn! (Wenn Dir Dein Haus lieb ist)“ aus dem Juli 1942, indem der Dichter zum entschiedenen Widerstand gegen die Nazi-Besatzer während des sogenannten „Großen Vaterländischen Krieges“ (Kampf der Sowjetunion gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg) aufruft.

 

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Wie in diesem Format üblich „diskutierte“ vergangene Woche eine handverlesene Pseudo-Expertenrunde entlang klar vorgegebener Positionen über die angekündigten Panzerlieferungen und die westlichen Zielsetzungen in der Ukraine. Wie der Sendungstitel vorausahnen ließ, erfolgte eine schamlose Gleichsetzung des Kampfes der Sowjetunion gegen das Dritte Reich mit der westlichen Unterstützung der Ukraine. „Nazi-Panzer drängen in die Ukraine ein“, doch müsse der Westen wissen, dass Russland nicht zusammenbrechen, nicht aufgeben, nicht um Frieden flehen und niemals seine nationalen Interessen verraten werde, fasst bereits der Sendungsteaser die wesentlichen Diskussionspunkte zusammen.

Der Westen versuche zwar, Russland mit seinen Kampfpanzern zu erschrecken, Russland zeige sich davon jedoch nicht beeindruckt, gab Solowjow den Teilnehmern sowie den Zuschauern die Diskussionsrichtschnur vor. Arbeite der Westen etwa an „einem neuen Reichsprojekt unter den Bannern der Sodomiten?“, stellt Solowjow eine aus der Sicht der Diskutanten ohnehin bloß rhetorische Frage.

Otto von Bismarck würde „im Grabe rotieren“, hörte er, dass die Außenpolitik Deutschlands mittlerweile „von baltischen Staaten und Polen bestimmt“ werde, und auch „die großen Kanzler der jüngeren Vergangenheit wie Gerhard Schröder“ und „selbst Angela Merkel“ seien über das „freche Gebaren“ ihrer „de facto Satellitenstaaten“ überrascht, poltert Russlands führender Propagandist. Und versucht damit die mutmaßlichen Bruchlinien innerhalb des westlichen Bündnisses aufzugreifen.

Und auch wenn „Russland stets zu Verhandlungen bereit“ sei, finde sich aktuell kein adäquater Gesprächspartner, denn schließlich könne „mit europäischen und amerikanischen Nazis“ nicht ernsthaft verhandelt werden. Der Westen habe sich „sehr lange auf diesen Krieg vorbereitet“, zeigt sich Solowjow überzeugt, und gibt damit den Zusehern zum wiederholten Male zu verstehen, dass der kollektive Westen – und nicht die Ukraine – gegen Russland Krieg führe. Die Panzerlieferungen seien keine große Sache, die Grundsatzentscheidung sei ja ohnehin spätestens Mitte 2022 getroffen worden. Denn bereits im Sommer 2022 habe die Ausbildung der ukrainischen Panzerbesatzungen begonnen, behauptet Solowjow faktenwidrig.

Scheinerweiterung des Meinungsspektrums im Staatsfernsehen

Auch wenn sich die Positionierungen der Fernsehexperten stets in einem vom Kreml vorgegebenen Diskursrahmen bewegen müssen, kann sich dem aufmerksamen Zuschauer durchaus der Abglanz hinter den Machtkulissen laufender Diskussionen öffnen und einen Ausblick auf das möglicherweise Kommende gewähren. Insofern sind die politischen Diskussionssendungen im russischen Staatsfernsehen für die Außenwelt nicht ganz und gar bedeutungslos.

Die innerelitären Debatten werden seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in den politischen Diskussionssendungen des Staatsfernsehens abgebildet. Keineswegs handelt es sich bei der in den Debatten getätigten Kritik um ein Zeichen für eine drohende Palastrevolte oder auch nur eine noch so leise Gefahrandrohung für das gegenwärtige Machtsystem.

Vielmehr bieten die Staatsfernsehdebatten einen Blick auf den undurchsichtigen Machtkampf zwischen den Befürwortern einer Verhandlungslösung und den Anhängern noch brutalerer Kriegshandlungen. Denn sowohl die sogenannte „Partei des Krieges“ als auch die sogenannten „Anhänger einer Kompromisslösung“ rufen Wladimir Putin zu ihrem Zeugen an, versuchen dadurch den eigenen hart umkämpften innerelitären Platz abzusichern und eröffnen Putin damit die Möglichkeit außerhalb des Diskurses zu bleiben, ja diesen indirekt zu steuern.

Die unterschiedlichen im öffentlichen Raum platzierten Forderungen erweitern den Entscheidungsspielraum für Wladimir Putin ganz erheblich, bereiten die Bevölkerung auf jede – stets durch den Kreml im Handsteuerungsmodus ausgeführte – Option vor und nehmen Putin letztlich jede Notwendigkeit zur Rechtfertigung ab. Die Bürde der Verantwortung für die Folgen dieser Entscheidung werden andere übernehmen.

Gezielter Terror gegen die Zivilbevölkerung

Angesichts der Unfähigkeit Russlands, auf die ukrainischen Erfolge auf dem Schlachtfeld adäquat reagieren zu können, setzt Moskau seit Monaten vollends auf das Instrumentarium des politischen Terrors. Mittlerweile versucht der Kreml noch nicht einmal mehr, seine Handlungen auch nur oberflächlich zu verschleiern oder ausführlich zu rechtfertigen. Führende russische Propagandisten wie beispielsweise Margarita Simonjan, Chefredakteurin des staatlichen Mediums Russia Today, rufen seit Monaten unter Berufung auf angebliche NATO- und US-Taktiken im Kosovo-Krieg dazu auf, gezielt gegen zivile kritische Infrastruktur sowie zivile Objekte in der Ukraine vorzugehen.

Gegenüber der eigenen Bevölkerung gelingt es der russischen Führung mit einem entwaffnenden Selbstverständnis, das selbst die verruchtesten Orwell’schen Protagonisten vor Scham erröten ließe, die Tatsachen dieses Krieges umzudeuten und Russland als Opfer „westlicher Eroberungsphantasien“ darzustellen, um auf diese Weise das brutale Vorgehen russischer Streitkräfte in den Augen der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen.

Doch funktioniert die russische Staatspropaganda auch deshalb so gut, weil sie auf den fruchtbaren Boden tradierter russischer Geschichtsschreibung (der vorrevolutionären, kommunistischen, postsowjetischen) über die ukrainische Nation fällt, welche die Eigenstaatlichkeit der Ukraine grundsätzlich äußerst kritisch sieht und das ukrainische (wie auch das belarusische) Volk als einen integralen Bestandteil des russischen Volkes darstellt.

Putin hält an seinen politischen Forderungen unverändert fest

Die Friedensverhandlungen und Deeskalation fordernden westlichen Politiker und Intellektuellen dürfen keinesfalls übersehen, dass gänzlich unabhängig von westlichen Waffenlieferungen der Kreml von Anbeginn an Kiew gegenüber lediglich an einem Diktatfrieden interessiert war und nach wie vor bleibt.

Ungeachtet der seit Monaten mit Blick auf potenzielle Elitenkonflikte innerhalb der russischen Führungszirkel brodelnden Gerüchteküche und taktischer Schachzüge des Kremls sollte nichts darüber hinwegtäuschen, dass Wladimir Putin an seinen wesentlichen politischen Forderungen unverändert festhält. Putin zeigte seit Verhandlungsbeginn keine Bereitschaft, die Vorschläge der Ukraine auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. Vielmehr dienten die Friedensverhandlungen dem Kreml stets als diplomatisches Feigenblatt auf dem Weg zur Durchsetzung der politischen Ziele der sogenannten „Spezialmilitäroperation“.

Zwar kann Moskau den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen, doch verliert der Kreml diesen Krieg aktuell auch nicht. Nachdem die ursprünglichen Invasionspläne Russlands nach nur wenigen Wochen gescheitert sind, passte sich Moskau an die neuen Gegebenheiten eines langandauernden Konfliktes schnell an. Auch erwies sich das wirtschaftspolitische Modell Russlands jedenfalls kurzfristig entgegen den Annahmen als deutlich resilienter. Aus diesen Gründen scheint Wladimir Putin nach wie vor von einem (Teil-) Erfolg seines Kriegszuges überzeugt zu sein und hält einen Waffenstillstand sowie ergebnisoffene Friedensverhandlungen für nicht zielführend.

Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen wäre das Einfrieren des Konfliktes nicht von Dauer. Der Kreml würde die Atempause dazu nutzen, um die angeschlagenen Truppen aufzustocken, auszurüsten, auszubilden und Offensivoperationen im Osten und Süden der Ukraine vorzubereiten. Die geplante Vertiefung der militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Iran zur Umgehung der internationalen Sanktionen und zur Stärkung des Offensivpotentials Russlands, so insbesondere die Vereinbarungen zwischen Moskau und Teheran über den Bau iranischer Kamikaze-Drohnen in Russland, liefern einen gewichtigen Indizienbeweis für die potenziellen Kriegspläne des Kremls.

Der Westen sollte sich nicht verunsichern lassen

Der Westen sollte sich durch Drohungen, in regelmäßigen Abständen erfolgenden Zusicherungen sowie scheinbare Dialogbereitschaft keinesfalls täuschen lassen. Russlands Führung benötigt weder eine Friedenslösung noch Sicherheitsgarantien, sondern schnellstmöglich eine längere Kampfpause. Ein Einfrieren des Konfliktes würde Wladimir Putin die Zeit zur Vorbereitung weiterer Offensivoperationen gewähren sowie letztlich die Möglichkeit eröffnen, sein Machtsystem zu stabilisieren und die – mittlerweile zu einflussstark gewordenen – radikalen Vertreter der sogenannten „Partei des Krieges“ (in erster Linie PMC-Wagner-Gründer Jewgenij Prigoschin und Tschetscheniens Diktator Ramsan Kadyrow) endgültig in die engen innenpolitischen Schranken zu weisen.

So verständlich und nachvollziehbar der Wunsch nach klaren „roten Linien“ auf westlicher und insbesondere deutscher Seite auch sein mag, gilt es zu beachten, dass jede Selbsteinschränkung vom Kreml als ein eindeutiges Zeichen der Schwäche ausgelegt wird und aus diesem Grunde nicht deeskalierend, sondern stark konfliktbefeuernd wirkt. Denn jede auf westlicher Seite rhetorisch gezogene „rote Linie“ ist willkommenes Wasser auf den Mühlen der auf Hochtouren laufenden russischen Propagandamaschine.

Uneinbringlichkeit weiterer Offensivoperationen

Eine nachhaltige diplomatische Lösung des Ukrainekrieges ist ausschließlich im Falle einer umfassenden militärischen Niederlage Russlands sowie der Uneinbringlichkeit weiterer Offensivoperationen vorstellbar. Doch sind ukrainische Befreiungsoffensiven ohne umfassende Unterstützung des Westens – inklusive einer schnellen Lieferung schwerer Panzer – kaum erfolgversprechend.

Nicht umsonst warnen die Militäranalysten des Institute for the Study of War (ISW), dass das potenzielle Scheitern der ukrainischen Offensivoperationen in den Wintermonaten den aktuell stark angeschlagenen russischen Streitkräften eine wertvolle mehrmonatige Atem- und Vorbereitungspause gewähren und damit auch den weiteren Verlauf des Krieges wesentlich beeinflussen könnte.

Insofern gilt nach wie vor der Grundsatz: Je länger und entschlossener sich die Ukraine mithilfe der westlichen Waffenlieferungen gegen Russland zu wehren vermag, desto schneller wird die Bedrohungswahrscheinlichkeit für weitere Eskalationen in und jenseits der Ukraine sinken und desto geringer wird der Preis sein, den die Ukraine und letztlich auch der Westen für den Frieden zahlen müssen.

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