Rebellion der Wagner-Truppe - Was wird aus Putin?

Schwer bewaffnete Kämpfer der Wagner-Söldnertruppe von Jewgeni Prigoschin sind am Freitagabend in die südrussische Millionenstadt Rostow am Don einmarschiert. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass diese Rebellion das Ende des Putin-Regimes einläutet. Vielmehr könnte Prigoschins nun unausweichlicher Sturz bedeuten, dass sich im Kreml die Falken in der Militärführung durchgesetzt haben.

Wagner-Panzer am Samstagmorgen in Rostow am Don / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Wladimir Putin hat den Daumen gesenkt. Er hat damit das politische, möglicherweise sogar das physische Ende des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin besiegelt. Kein Staatschef kann sich erlauben, dass eine Militäreinheit gegen die reguläre Armeeführung rebelliert, wie es nun im Süden Russland geschehen ist: Schwer bewaffnete Wagner-Leute waren am Freitagabend in die südrussische Millionenstadt Rostow am Don einmarschiert und hatten mehrere Gebäude der Zivilverwaltung sowie des regionalen Armeestabs besetzt.

Prigoschin drohte, er werde sie auf Moskau vorrücken lassen, falls sich Verteidigungsminister Sergej Schoigu nicht umgehend zu Verhandlungen in Rostow einfinde. Er schäumte, russische Einheiten hätten ein Feldlager der Wagner-Truppe mit Raketen beschossen. Mehrere Hundertschaften haben sich in der Tat auf den Weg gemacht, am Morgen hatten sie die fast auf halbem Weg nach Moskau liegende Millionenstadt Woronesch passiert.  

Kein Zweifel: In Moskau ist ein Machtkampf im Gange, ein Kampf, in dem Prigoschin indes von Anfang an nur eine Nebenfigur war. Allerdings spricht wenig dafür, dass Putin von dessen offenkundiger Rebellion bedroht wäre. Vielmehr dürfte es sich um einen Kampf um den Einfluss im Kreml handeln, der zwischen den miteinander konkurrierenden Machtstrukturen ausgetragen wird: der Inlandsgeheimdienst FSB, der Militärgeheimdienst GRU, die Präsidentengarde, die Polizei mit ihren Sondereinheiten, die Steuerinspektionen, die ein bewährtes Kampfinstrument gegen politische Gegner sind – alle rivalisieren miteinander und intrigieren gegeneinander. 

Erbe der Stalin-Zeit

Es ist ein Erbe der Stalinzeit, der Georgier im Kreml misstraute sowohl den eigenen Geheimdienstchefs als auch der Führung der Roten Armee, regelmäßig ließ er die Spitzenleute bei „Säuberungen“ umbringen. Dieses Prinzip der rivalisierenden und sich somit auch gegenseitig in Schach schaltenden Strukturen hat Putin reanimiert und somit seine Machtstellung gefestigt. Angesichts der aus Moskauer Sicht unbefriedigenden militärischen Lage wird ganz offensichtlich hinter den Kulissen nach Schuldigen gesucht.   

Im aktuellen Konflikt sieht offenbar der Inlandsgeheimdienst FSB die Chance, sich mit einem Haftbefehl gegen Prigoschin zu profilieren. FSB-Chef Alexander Bortnikow war am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar vergangenen Jahres bei einer Besprechung im Kreml von Putin bei laufenden Fernsehkameras gedemütigt worden; auch musste er sich seitdem anhören, dass seine Agenten ein völlig falsches Bild von der Stimmung im Nachbarland gezeichnet hätten: Die Ukrainer, so hieß es in internen Lageanalysen des FSB, würden die russischen Invasoren „mit Blumen und Kuchen“ als Befreier begrüßen.

Auch die Militärführung unter Verteidigungsminister Schoigu kann nun für die vielfältigen Beleidigungen, die Prigoschin in Videoclips verbreitet hat, Revanche nehmen. Dabei steht auch für kremltreue russische Militärblogger fest, dass der Söldnerführer in seinen Tiraden über Fehlentscheidungen und vor allem Korruption in der Generalität die Dinge sehr präzise beschrieben hat. Für seine Attacken auf Kommandeure, die Mittel zur Modernisierung ihrer Verbände veruntreut hätten, um sich Villen zu bauen, bekam er viel Zustimmung in den noch nicht der Zensur unterliegenden sozialen Medien.

Die eigenen Möglichkeiten überschätzt

Doch hat er selbst mit seinen Provokationen gegen Schoigu und den Generalstabschef Waleri Gerassimow seine eigenen Möglichkeiten weit überschätzt. So wurde seine Truppe, für die er mit ausdrücklicher Genehmigung Putins sogar Schwerkriminelle aus den Straflagern anwerben durfte, von der Armee mit Munition und Verpflegung beliefert. Hier „in die Hand zu beißen, die einen nährt“, wie man auch in Russland sagt, war ausgesprochen unklug. 

Auch gibt es nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass sich irgendwelche Generäle auf seine Seite schlagen könnten, im Gegenteil: Bei der Truppe war er von Anfang an verhasst. Auch hätten ein paar hundert, vielleicht sogar ein paar tausend Mann seiner schlecht ausgerüsteten Truppe keine Chance gegen die Putin treu ergebene Präsidentengarde, die über das Beste verfügt, was die russische Rüstungsindustrie zu bieten hat.

Überdies ist Prigoschin kein Volkstribun und auch kein Wallenstein, der nicht nur Charisma hatte, sondern auch politisch dachte, sondern ein pöbelnder Ex-Knasti, der in den Wirren nach dem Zerfall der Sowjetunion Kontakt zum Umfeld Putins gefunden hat. Eine Chance, selbst in den Kreml einzuziehen, wie einige seiner Leute nun tönten, hat er nicht. 

In seiner Borniertheit hatte er auch den verhängnisvollen Fehler begangen, mit manchen seiner temperamentvollen Ausbrüche vor den Kameras seiner PR-Leute offensichtlich auch den Kremlherrn zu meinen, ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen. Einmal sprach er von einem „glücklichen Opa“, der Befehle gebe, ohne Ahnung von der Lage an der Front zu haben, ein anderes Mal benutzte er das Schimpfwort „Mudak“, das durch die deutschen Medien in der kuriosen Übersetzung „Arschgeige“ ging. Doch das russische Wort bedeutet viel mehr, wie aus den einschlägigen Wörterbüchern hervorgeht. Ein „Mudak“ ist demnach ein Mensch, der nicht nur schlechte Entscheidungen trifft, sondern der dabei völlig rücksichtslos handelt und bar moralischer Skrupel ist.

Prigoschin ruderte zwar zurück, er habe Generalstabschef Gerassimow gemeint, doch im Kreml ist angekommen, dass nicht nur russische Blogger, sondern auch die Medien im Ausland von einem beispiellosen Angriff auf Putin schrieben.

Für diesen war Prigoschin, der mit seinem Catering-Unternehmen für Schulen und die Armee zum Multimillionär geworden war, in doppelter Hinsicht lange ein nützlicher Helfer gewesen: Zum einen übernahm die Wagner-Truppe, deren Namen angeblich von der Begeisterung eines ihrer Führer für den martialischen Walkürenritt aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ herrührt, bei Auslandseinsätzen Drecksarbeiten: Mord, Totschlag, Plünderungen sowie Enteignungen, die vom Völkerrecht verboten sind; auf diese Weise konnten diese Kriegsverbrechen nicht der Militärführung, somit dem Kreml, angelastet werden. Vorbild war dabei der „militärische Dienstleiter“ Blackwater, den US-Präsident George W. Bush im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg einsetzen ließ.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Zum anderen sollte die ohne Rücksicht auf eigene Verluste vorgehende Wagner-Truppe schon durch ihre schiere Existenz die Militärführung unter permanenten Druck setzen. Auch ging von Prigoschin ein Signal für die gesamte Moskauer Elite aus: Verräter werden gnadenlos bestraft, ein Video, das die Hinrichtung eines angeblichen Deserteurs mit einem Vorschlaghammer zeigte, ging viral, Kremlpropagandisten machten zynische Witze über „Prigoschins Hammer“, der alle Gegner treffen werde.

Dieses positive Echo in den vom Kreml gesteuerten Medien hat bei ihm offenbar alle Sicherungen durchbrennen lassen. Anfang Juni nahmen Wagner-Leute einen Oberstleutnant fest, der angeblich in der Schlacht um Bachmut der Truppe den Rückzug verwehren wollte. Prigoschin ließ das Verhör mit dem offenkundig angetrunkenen Offizier filmen und Ausschnitte im Internet verbreiten, es war eine beispiellose Demütigung für die Armee. Vor wenigen Tagen erklärte er sogar, die offizielle Begründung für den russischen Einmarsch in die Ukraine sei gelogen: „Die Ukraine und die Nato wollten Russland überhaupt nicht angreifen!“

Damit hatte er ein unverzeihliches Sakrileg begangen, nämlich Putin der Lüge bezichtigt, auch wenn er ihn erneut nicht beim Namen nannte. Dieser senkte nun den Daumen. In einer kurzen Fernsehansprache am Samstagmorgen nannte er seinen einst ergebenen Gefolgsmann einen Verräter, der der eigenen Armee „den Dolch in den Rücken stößt“. 

Prigoschins unausweichlicher Sturz kann allerdings auch bedeuten, dass sich im Kreml die Falken in der Militärführung durchgesetzt haben, die von Anfang an eine noch brutalere Kriegsführung gefordert hatten – so wie es Prigoschins Truppe vorexerziert hatte. Dies würde die Stellung Putins durchaus stärken, das russische Volk stellt sich nun einmal traditionell hinter Führer, die Härte gegen Gegner zeigen. 

Prigoschin wäre dann nicht mehr gewesen als die „Fliege, die man ausspuckt, wenn sie einem in den Mund geflogen ist“. Mit diesen Worten hatte Putin Repressalien gegen Kritiker umschrieben. Auch wenn die Nachrichten aus Rostow und Woronesch sich sehr dramatisch anhören, so spricht doch viel dafür, dass es Fußnoten im russisch-ukrainischen Krieg bleiben – und der „Mudak“ noch länger im Kreml bleiben wird.

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