Putsch im Niger - Die letzte Hoffnung der Europäer im Sahel stirbt

Im Niger haben Militärs die Macht übernommen und den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum abgesetzt. Der Machtkampf dürfte die westliche Militärkooperation schwächen oder zu Fall bringen. Gewinner werden Dschihadisten sein.

Anhänger der Putschisten halten eine russische Flagge hoch / dpa
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Autoreninfo

Ulf Laessing leitet seit Dezember 2021 das Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bamako (Mali). Zuvor hat er 13 Jahre als Auslandskorrespondent und Büroleiter bei der Nachrichtenagentur Reuters im Nahen Osten, Nordafrika und Afrika südlich der Sahara gearbeitet.

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In der Sahel-Region droht die Dauerkrise noch einmal zu eskalieren. Nach Putschen in Mali, im Tschad, in Guinea und Burkina Faso gibt es nun auch im Niger keine gewählte Regierung mehr. Hinzu kommt, dass Mali die Blauhelm-Mission – zu der die Bundeswehr gehört – aus dem Land wirft und die militärische Kooperation mit Russland sucht. Die Mali-Mission MINUSMA war so etwas wie die letzte Bastion gegen Dschihadisten, die immer mehr im Norden Malis expandieren und Flüchtlinge Richtung Niger treiben. Niger war aus Sicht der Europäer die letzte Hoffnung, mit einer demokratisch legitimierten Regierung zusammenzuarbeiten. Niger ist sehr besorgt über den Abzug der Bundeswehr. Die Hauptstadt Niamey liegt nur rund 200 Kilometer von der Grenze zu Nord-Mali entfernt, die teilweise de facto vom Islamischen Staat kontrolliert wird.

Deutschland und die Europäische Union hatten daher in den letzten zwei Jahren Niger mit Hilfe von Militärkooperationen, humanitärer Hilfe für Flüchtlinge und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit von Bildung bis Landwirtschaft überschüttet, um das Land quasi als Bollwerk gegen Dschihadisten aufzubauen.

Die größte Gefahr droht von Mali mit dem Abzug der Blauhelme

Doch mit dem Putsch dürfte dies hinfällig sein. Die Motive der Putschisten und ihr Rückhalt in der Armee und der Bevölkerung sind noch unklar, aber selbst wenn der Coup noch beendet wird und Bazoum zurückkehrt, dürften die Streitkräfte gespalten bleiben. Es werden weniger Ressourcen für den Kampf gegen Dschihadisten zur Verfügung stehen, wenn Offiziere in der Hauptstadt beschäftigt sind, ihre eigene Macht zu erhalten. Dies konnte man bereits im Nachbarstaat Burkina Faso nach dem zweiten Armee-Coup 2022 sehen. Armeepositionen im Norden Burkina Fasos, wo die Dschihadisten aktiv sind, wurden aufgegeben, und Kommandeure gingen in die Hauptstadt Ouagadougou, um dort am Machtkampf teilzunehmen.

 

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Die größte Gefahr droht von Mali mit dem Abzug der Blauhelme. Die Militärregierung in Bamako setzt auf eine Kooperation mit Russland und sieht die UNO-Mission MINUSMA als lästiges Instrument des Westens. Malis Entscheidung, die Mission loszuwerden, birgt viel sozialen Sprengsatz: Tausende lokale UNO-Mitarbeiter werden nun ihre Jobs verlieren; einige werden sich vermutlich mangels Alternativen den Dschihadisten anschließen. Diese sind im Norden seit dem Abzug der französischen Armee 2022 auf dem Vormarsch. Bis Jahresende muss die Bundeswehr aus Mali raus. Binnenflüchtlinge, die bisher am Bundeswehrstandort Gao Zuflucht gesucht haben, dürften nach Niger weiterziehen – eine enorme Belastung für das bitterarme Nachbarland, das an der Fluchtroute zum Mittelmeer liegt.

Zeit für eine Bilanz

Der Putsch in Niger ist auch Gelegenheit für die westlichen Partner, Bilanz unserer Kooperation in der Sahel-Region zu ziehen. Deutschland und die EU-Partner haben zu lange geglaubt, dass sie mit massiver Hilfe von Militär bis zur Entwicklungszusammenarbeit viel bewirken können. Niger war immer ein Land mit schwachen Institutionen und regelmäßigen Putschen. Schon in Mali hatten wir 2013 nach der Rückeroberung des Nordens durch die Franzosen gedacht, man könne das Land mit massiver Hilfe in eine Art Schweiz verwandeln. Etwas mehr Realismus wäre auch in Niger angebracht gewesen.

Ein weiteres Problem war und ist die Koordinierung unter den Partnern. In Niger übertrafen sich Geber mit Zusagen für Projekte, doch es fehlte an der Abstimmung. Die Europäische Union hatte Anfang des Jahres eine neue Ausbildungsmission für den Niger gestartet: Es geht darum, auf kleinen Erfolgen der Bundeswehr bei der Ausbildung von Spezialkräften in Niger in den vergangenen Jahren aufzubauen. Geplant war, eine Aufklärungstruppe zu trainieren und eine technische Schule zu bauen. Passiert ist bislang noch nicht viel. Etwa zehn Offiziere sind in Niamey angekommen. Die Mission befindet sich noch in der „Findungsphase“, um sich innerhalb der 27 Mitgliedstaaten abzustimmen.

Teil des Problems ist auch die häufige Rotation, die es schwierig macht, zu koordinieren. Der italienische Kommandeur, der erst im Frühjahr angekommen ist, wollte wohl im Herbst wieder gehen. Dann sollte für den Rest des Jahres ein weiterer Italiener übergangsweise kommen, bis die Deutschen im Januar übernehmen. Der häufige Personalwechsel nervt auch Niger.

Zu viel Hilfe weckt immer auch die Erwartung der Bevölkerung, dass sich die Lage schnell bessert. Das hat in Mali für Enttäuschung und zum Stimmungsumschwung gegen die Blauhelme gesorgt. In Niger hatte Bazoum das gleiche Problem. Es wurde viel angekündigt, aber wegen der Gegebenheiten vor Ort wenig erreicht – die Menschen sahen nur Inflation und wie die Mieten in Niamey stiegen, weil immer mehr gutverdienende Entwicklungshelfer und Militärs dorthin zogen.

Ulf Laessing ist Autor des Buches „Understanding Libya Since Gaddafi“ (C. Hurst & Co., 2020).

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