Proteste im Iran - Kein Regimewechsel in Sicht

Die aktuellen Proteste im Iran sind die größten seit der „Grünen Revolution“ von 2009. Sie sind für das Regime so gefährlich, weil sie gerade an den Rändern des Landes besonders starken Widerhall finden. Bisher scheinen die Sicherheitskräfte loyal zu Khamenei zu stehen, sodass sich kein Regimewechsel abzeichnet. Für die deutsche Politik sollten die Ereignisse Anlass sein, eine längst überfällige Iran-Strategie zu entwickeln.

Weltweit solidarieren sich Demonstranten mit den Protesten im Iran, wie hier in Istanbul vor dem iranischen Konsulat / dpa
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Autoreninfo

Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin u.a. zum politischen Islam und zum Terrorismus.

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Die seit Mitte September anhaltenden Proteste sind für die Islamische Republik nicht nur gefährlich, weil sie weite Teile des Landes erfasst haben und zeigen, dass die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik des Regimes weiter gesunken ist. Außerdem sind sie in den iranischen Kurdengebieten an der Grenze zum Irak besonders stark, wo bis zu 10% der iranischen Bevölkerung leben. Kurden werden in der Islamischen Republik als Nichtperser und Sunniten oft zweifach diskriminiert und stehen ihr deshalb besonders ablehnend gegenüber. Ähnliches gilt für die bis zu zwei Millionen Belutschen in der Provinz Sistan-Belutschistan an der afghanischen und pakistanischen Grenze im Osten Irans. Keine andere Region Irans wird von der Zentralregierung so weitgehend ignoriert, sodass Belutschistan seit Jahrzehnten als Armenhaus Irans gilt.

Das Regime ist sich bewusst, dass der Iran ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat ist und der Verlust der Kontrolle in einem von den Minderheiten bewohnten Landesteil zu einer Kettenreaktion führen könnte. Deshalb gehen Sicherheitskräfte in Kurdistan und Belutschistan mit besonders großer Brutalität gegen die Demonstrationen vor. Im belutschischen Zahedan erschossen sie am 30. September bis zu 100 Besucher der sunnitischen Zentralmoschee, nachdem einige gegen das Regime protestiert hatten.

Es gibt kaum noch eine organisierte Opposition

Dennoch ist es schwierig vorherzusagen, ob die Proteste das Regime wirklich gefährden können. Es gibt im Iran kaum noch eine organisierte Opposition, sodass die Demonstrationen trotz ihrer gegenwärtigen Stärke ins Leere laufen könnten. Sie haben nur dann eine Chance, Veränderungen zu erzwingen, wenn die Unterstützer Khameneis und des Regimes ihre bisherige Geschlossenheit aufgeben und die Repression daraufhin nachlässt. Zwar gibt es Hinweise auf Meinungsverschiedenheiten, wie mit den Protesten umzugehen ist, aber keine, dass die Anhänger der Islamischen Republik bereit wären, grundsätzliche Reformen vorzunehmen.

 

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Dies gilt besonders für den Obersten Führer Khamenei und seine starke Machtbasis im Sicherheitssektor, zu der neben den 125.000 Revolutionsgardisten etwa 600.000 Basij-Milizionäre, der starke Geheimdienst und weitere regimeloyale Einheiten gehören. Bei den Einsätzen in Kurdistan und in Belutschistan haben diese mehrfach gezeigt, dass sie bereit sind, massiv Gewalt anzuwenden, wenn es darum geht, die Islamische Republik gegen Feinde von innen zu verteidigen. Führende Revolutionsgardisten sollen zuletzt auch eine entschlossenere Niederschlagung der Proteste in den großen Städten gefordert haben. Solange diese Truppen geschlossen hinter der Führung um Khamenei stehen, muss sie keinen Machtverlust fürchten.

Die richtige Politik wäre die einer konsequenten Eindämmung des Irans

Für die deutsche Politik stellt sich vor dem Hintergrund der Proteste vor allem die Frage, was diese für die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm bedeuten. Das Abkommen von 2015 gilt zu Recht als großer Erfolg westlicher Diplomatie und seine einseitige Aufkündigung durch US-Präsident Donald Trump 2018 als ebenso großer Fehler. Die Verhandlungen nun von westlicher Seite zu beenden oder auszusetzen, wäre ebenfalls falsch, denn die Proteste in Iran ändern nichts an der Ausgangslage, die zu den Gesprächen führte. Es ging bei ihnen nie um die innenpolitische Situation in Iran und die blutige Unterdrückung von Protesten, die es bereits in der Vergangenheit häufig gab. Vielmehr war ihr Zweck, auf dem Verhandlungsweg zu verhindern, dass sich die Islamische Republik atomar bewaffnet. Dies ist seit zwei Jahrzehnten ein zentrales Ziel westlicher Nahostpolitik, und ein Atomabkommen könnte immer noch dazu beitragen, es zu erreichen.

Trotzdem sind die Proteste und die brutale Reaktion des Regimes ein erneuter Hinweis, dass sich deutsche Politik gegenüber dem Iran bisher zu sehr auf die Nuklearfrage beschränkt und die viel umfassendere Bedrohung durch die Islamische Republik ignoriert hat. So groß war in den europäischen Hauptstädten 2015 die Freude über den Deal, dass sie übersahen, dass der Islamischen Republik infolge der Aufhebung der Sanktionen plötzlich Milliarden zur Verfügung standen, die sie zu militärischen Abenteuern im Nahen Osten nutzen konnte. Die Folge waren gescheiterte Staaten im Irak, Syrien, Libanon und Jemen, wo von Iran unterstützte Politiker, Parteien, Milizen und Terrorgruppen ganze Länder in Geiselhaft halten. Hinzu kam, dass Teheran das Geld für sein Raketen-, Marschflugkörper- und Drohnenprogramm einsetzen konnte, mit denen Iran und seine Verbündeten ihre Nachbarn am Persischen Golf und Israel bedrohen.

Die richtige Politik jenseits der Atomverhandlungen wäre die einer konsequenten Eindämmung Irans, die die Islamische Republik als Feind identifiziert und konsequent gegen seine Expansion im Nahen Osten, sein Flugkörperprogramm und seine Unterstützung von Terroristen vorgeht. Ein Sturz des Regimes in Teheran mag zwar wünschenswert sein, aber Aufgabe der Iraner (und Iranerinnen) selbst. Ein strategisches Ziel kann ein Regimewechsel schon angesichts des Scheiterns ähnlicher Vorhaben im Irak und Afghanistan und dem Interesse an staatlicher Stabilität nicht sein. Zu groß ist die Gefahr eines Auseinanderbrechens des Iran.

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