Wer zahlt für die Ukraine? - Mr. Scholz goes to Washington

Nach dem Scheitern des im US-Senat verhandelten Gesetzes zur nationalen Sicherheit, in dem auch 60 Milliarden Dollar für die Ukraine vorgesehen waren, reist der Kanzler in die USA, um Präsident Biden seine Bedenken mitzuteilen. Doch dieser ist nicht der richtige Ansprechpartner.

Durch die Blume gesprochen: Olaf Scholz (l.) bei Joe Biden / dpa
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Shantanu Patni studiert Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin. 

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Bereits im Vorfeld seiner Reise nach Washington erschien im Wall Street Journal ein Appell von Olaf Scholz an die Amerikaner, „die Unterstützung für Kiew aufrechtzuerhalten“. Mit einer Veröffentlichung in der konservativen Wirtschaftszeitung glaubte der Kanzler vermutlich, sein Zielpublikum besser erreichen zu können, nämlich die US-Republikaner. Denn letztere sind es, die die Hilfsleistungen für die Ukraine blockiert haben, indem sie diese von einer konsequenten Schließung der US-Südgrenze abhängig machen. Aus ihrer Sicht muss die Biden-Administration dazu gezwungen werden, die seit ihrer Amtsübernahme in die Höhe schießenden illegalen Grenzübertritte zu unterbinden.  

Scholz wies in seinem Artikel darauf hin, dass entgegen der vorherrschenden Wahrnehmung nicht die USA, sondern die Mitgliedstaaten der EU die größten Unterstützer der Ukraine sind – darunter das oft gescholtene Deutschland mit Abstand auf Platz eins. Von den knapp 91 Milliarden US-Dollar (84,4 Milliarden Euro), die die EU-Staaten für die Ukraine bereitgestellt haben, stammen „mehr als 30 Milliarden US-Dollar“ (28,3 Milliarden Euro) von den Deutschen. Das macht Deutschland zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine nach den USA.

Verzweiflung und Ohnmacht

Den letzten Punkt erwähnt der Kanzler zweimal und betont: „Seit meinem Amtsantritt hat Deutschland seine Verteidigungsausgaben massiv auf zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts aufgestockt.“ Er gibt sich Mühe zu zeigen, dass die Europäer ihren Anteil leisten und keine Trittbrettfahrer sind. „Wir haben die Nato-Initiative ‚European Sky Shield‘ zur Stärkung der europäischen Luftverteidigungsfähigkeiten ins Leben gerufen und werden eine ganze deutsche Kampfbrigade in Litauen an der Nato-Ostflanke stationieren.“ Natürlich versäumte er auch nicht zu erwähnen, dass die EU gerade am Anfang des Monats weitere Hilfsleistungen für die Ukraine in Höhe von 54 Milliarden US-Dollar (50 Milliarden Euro) beschlossen hat, die das Land bis 2027 finanzieren sollen.

Werden die Republikaner sich beeindrucken lassen? Fraglich. Denn sie haben parteipolitische Prioritäten. Donald Trump hat sich mehrmals dafür ausgesprochen, ein Grenzabkommen kategorisch abzulehnen, solange die Republikaner nicht „ALLES bekommen, was nötig ist, um die INVASION von Millionen und Abermillionen von Menschen zu stoppen“. Die Republikaner hatten sich von den Verhandlungen im Senat distanziert und argumentierten nun, dass ein neues Gesetz gar nicht nötig sei, weil Biden bereits über sämtliche Instrumente verfüge, um die Situation an der Südgrenze unter Kontrolle zu bringen. Er solle die bestehenden Gesetze einfach nur anwenden und konsequent durchsetzen. Aus diesem Grund war ein „Nein“ zu dem im Senat verhandelten Gesetzespaket bereits vorbestimmt, bevor jemand das Gesetz überhaupt gelesen hatte.

Der Schrei der Entrüstung (neudeutsch: Shitstorm)

Der Senator aus Connecticut, Chris Murphy, Verhandlungsführer der US-Demokraten, veröffentlichte eine Zusammenfassung des lang erwarteten Abkommens auf Twitter/X. Er gab unter anderem an, dass der Präsident nun dazu verpflichtet wird, Asylanträge an die Einreisehäfen (ports of entry) weiterzuleiten, sobald mehr als 5000 Menschen pro Tag die Grenze überqueren. „Die Grenze wird nie geschlossen, aber die Anträge müssen an den Häfen bearbeitet werden. Das ermöglicht ein geordneteres und humaneres System der Asylbearbeitung.“ Die Formulierung „Die Grenze wird nie geschlossen“ sorgte bei den Republikanern erwartungsgemäß für Aufruhr.  

„‚Die Grenze wird nie geschlossen‘ ist eine gute Zusammenfassung dieses Gesetzes und der Politik von Joe Biden“, sagte der Senator aus Ohio, J.D. Vance. „Ich kann mir nicht vorstellen, warum ein Republikaner dieses grauenhafte Gesetz unterstützen sollte.“ Ebenfalls stürzte sich der Senator aus Florida, Rick Scott, auf jenen Satz: „Für Sicherheit an der Grenze sorgt dieses Gesetz nicht.“ Stunden, nachdem das Oberhaus den vollständigen Text des Abkommens veröffentlichte, sprang der republikanische Sprecher des Unterhauses, Mike Johnson, ein, um das Gesetz in den schärfsten Worten zu kritisieren. Er schrieb auf Twitter/X, dass es „noch schlimmer ist, als wir erwartet haben“, und erklärte es im Repräsentantenhaus für „schon bei der Ankunft gestorben“.

Jenseits von Parteipolitik

Tatsächlich ist das Problem längerfristig. Unter den Republikanern hat sich ein mächtiger Flügel entwickelt, der fest davon überzeugt ist, dass die USA sich nicht mit Konflikten zu befassen haben, die sie nicht direkt betreffen. In der Praxis wenden sie dieses Prinzip jedoch sehr inkonsistent an. Denn derselbe Flügel ist bereit, Chinas Übergriffe im Südpazifik mit aller Macht zu ahnden. Weder mit den knapp über 7 Milliarden Dollar für Taiwan noch mit den über 14 Milliarden für Israel – alles Teil desselben Gesetzes – haben sie ein Problem.  

Auch gegen den Iran und seine pseudo-staatlichen Klienten wie die Hisbollah und die Huthi wünschen sie sich ein muskulöses Vorgehen. Gleichzeitig sehen sie nicht ein, dass Russland mit China und Iran in einer strategischen Allianz steht. Allein aufgrund dessen liegt es also sehr wohl in ihrem Interesse, den Europäern dabei zu helfen, Russland zu schwächen, damit sie sich auf China konzentrieren können. Knapp 300.000 Soldaten hat Russland bereits in der Ukraine verloren – während sich amerikanische Hilfsleistungen auf gerade mal 75 Milliarden Dollar belaufen. Das Kosten-Nutzen-Kalkül sollte an dieser Stelle nicht allzu schwierig sein. Die „Neo-Isolationisten“ denken aber weder konsistent noch strategisch.

Auch Geschichte und Geografie sind Baustellen

Der obengenannte J.D. Vance, republikanischer Senator aus Ohio, mahnte seinen Kollegen im Senat, nicht noch einmal eine Parallele mit Neville Chamberlain und dem Münchner Abkommen herzustellen. Stattdessen befürwortete er eine Analogie mit dem Ersten Weltkrieg. Dort hätten die Amerikaner die Gelegenheit nicht ergriffen, rechtzeitig zu de-eskalieren. „Warum glauben wir, dass Wladimir Putin einen Konflikt mit der Nato anstiften würde“, wenn er nicht einmal imstande sei, „ein Land unmittelbar in seinem Osten (sic!) zu erobern?“  

Bekanntermaßen liegt die Ukraine südwestlich der russischen Föderation. Das ist dem Senator wahrscheinlich egal. Doch ohne strategisches Denken kommt man in der Politik nicht aus. Der Schachzug der Republikaner – die Ukrainehilfe mit der Südgrenze zu koppeln, um dadurch die Biden-Administration unter Druck zu setzen – erweist sich als Eigentor. Wenn sie erhofft hatten, die Demokraten zu spalten, ist es ihnen nur gelungen, ihre eigene Spaltung sichtbar zu machen. Dabei setzen sie sich erneut dem Vorwurf aus, aus blinder Gefolgschaft zum Ex-Präsidenten politische Störenfriede zu sein.

Wenn Deutschland anstelle der USA einspringen müsste, würde der deutsche Haushalt die Bürde nicht aushalten können. Insofern war es richtig, sich einmal persönlich in Washington zu melden. Zu einer baldigen Auflösung der Blockade im US-Kongress führt Scholz’ Besuch jedoch sicherlich nicht. Was Letztere betrifft, kann man sich nur dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk anschließen, der sagte: „Ronald Reagan würde sich heute im Grabe herumdrehen. Schämen Sie sich!“  

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