Neue schwedische Partei „Folkslistan“ - Ein Ex-Krimineller will die Bandenkriminalität stoppen

Mit ihrer „Volksliste“ wollen ein ehemaliger Sozialdemokrat und eine ehemalige Christdemokratin bei der Europawahl Sitze gewinnen: Verschärfung des Asylrechts, Kampf gegen Bandenkriminalität und Eliten-Korruption. Ihre Chancen stehen nicht schlecht.

Glamouröses Vorbild-Paar für beide Geschlechter: Sara Skyttedal und Jan Emanuel / dpa
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Jens Mattern (Foto Ralph Weber) berichtet als freier Journalist für deutsche Medien aus Polen.

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Ein bärtiger Mann mit kräftiger Statur, Pferdeschwanz, goldener Uhr, Handgranaten-Tattoo auf dem Handrücken und seine Begleiterin mit wehenden blonden Haaren, flankiert von zwei Leibwächtern in Schwarz, steigen in einen Hubschrauber, winken den Außenstehenden noch mal kurz zu und entfliegen.  

Die Szene, die wie aus einer TV-Doku über einen Drogenbaron samt Gefährtin in Lateinamerika anmutet, war in Wirklichkeit ein Auftritt der führenden Politiker der schwedischen Partei „Folkslistan“ (die Volksliste). Jan Emanuel, ehemals Sozialdemokrat, und Sara Skyttedal, ehemals Christdemokratin, wollen bei den Europawahlen und darüber hinaus Sitze gewinnen. Und ihren Chancen stehen gut.  

„Politik, aber diesmal richtig“ lautet ein Slogan der Partei, die diese Woche gegründet wurde. Der „schwedische Trump“ wird Emanuel bereits von einigen Zeitungen genannt.  

Ähnlichkeiten mit dem lauten US-Politiker gibt es durchaus. Auch der 49-jährige Schwede wirkt als Multiunternehmer, auch er machte durch TV-Auftritte von sich reden. Das eigene Land zuerst, ein Swexit ist nicht ausgeschlossen, das Asylrecht soll „verschrottet“ werden, die Bandenkriminalität wie die Eliten-Oligarchie sollen bekämpft werden.  

Im Gegensatz zu dem reich geborenen Trump kam Emanuel von unten, hat sich wirtschaftlich hochgearbeitet, und er war jahrzehntelang in der Traditionspartei der Sozialdemokraten unterwegs, als Kommunalpolitiker wie im Nationalparlament. „Populismus mit einem Anknüpfen an die Arbeiterklasse kann Dynamit sein“, schreibt Daniel Suhonen, ein Autor der sozialdemokratischen Zeitung „Aftonbladet“ über die neue Partei.  

Beide wuchsen in einem Viertel mit hoher Kriminalität auf

Von der konservativen Seite kommt die 37-jährige Sara Skyttedal, die eine lange Erfahrung als Europapolitikerin mitbringt; sie war 2011 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der Jugendorganisation der Europäischen Volksparteien (YEPP).  

Die schwedischen Christdemokraten selbst sind eine Kleinpartei, die an der Mitte-Rechts-Regierung beteiligt ist und von der Vorsitzenden Ebba Busch stark dominiert wird. Busch lieferte sich mit Skyttedal Anfang des Jahres einen schmutzigen Machtkampf, offiziell ging es darum, dass die Europa-Abgeordnete zu nahe Kontakte mit den rechten Schwedendemokraten pflege. Diese tolerieren die Minderheitsregierung im Parlament, sind jedoch auch an der Gestaltung von deren Politik beteiligt.  

Als Nummer zwei der „Volksliste“ zieht die ehemalige Teilnehmerin eines Schönheitswettbewerbes richtig vom Leder, bezeichnet Politiker in den Sozialen Medien schon mal als „Volksverräter“, rudert dann zurück und wollte „Volksvertreter“ geschrieben haben.  

Sowohl Emanuel wie Skyttedal waren in ihren jeweiligen Parteien „bunte Vögel“, welche jüngere überzeugen sollten. Nun sind sie zusammen flügge geworden. Eine weitere Gemeinsamkeit: Die 37-jährige und der 49-jährige hatten eine schwierige Kindheit und wuchsen in einem Viertel mit hoher Kriminalität auf.  

Thema Nummer eins im Königreich ist der Bandenkrieg

Und dies ist entscheidend. Denn das Thema Nummer eins im Königreich ist der Bandenkrieg; im Kampf der Kriminellen zumeist ausländischer Herkunft um Drogenreviere werden Bombenanschläge verübt, Gegner und Unbeteiligte erschossen. Im vergangenen Jahr starben bei diesen Auseinandersetzungen 54 Menschen

Besonderes Aufsehen erregte der Fall eines 39-Jährigen, der diese Woche in einem Stockholmer Vorort vor seinem zwölfjährigen Sohn von einer Jugendgang erschossen wurde. Anscheinend hatte er sie zuvor zurechtgewiesen. Premierminister Ulf Kristersson besuchte am Donnerstag den Tatort und beklagte die „viehische Einstellung“ der Jugendlichen, versprach „alles zu tun“, um das Morden zu stoppen. Ein Auftritt der Hilflosigkeit.  

 

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Seit Oktober 2022 regiert eine bürgerliche Minderheitsregierung, die sich von den rechten Schwedendemokraten im Parlament tolerieren lässt. Zwar füllen sich durch mehr „Law and Order“ die Gefängnisse, doch ein wirklicher Rückgang der Gewalt ist nicht abzusehen – die Gangs rekrutieren erfolgreich jüngere Mitglieder.  

Der muskelbepackte und tätowierte Politiker Jan Emanuel hat zu diesem Thema einen besonderen Draht – er war selbst kriminell. Als Mitglied der Teenager-Bande „Gottlunda Rude Boys“ in der Großstadt Uppsala prügelte er sich, nahm Drogen und klaute. Allerdings relativiert er heute: Geschossen habe man damals nicht. Doch wenn das so weiter gehe mit der Gewalt, dann sei Schweden „rein mathematisch“ bald verloren

Gegen den Bescheidenheitskult der Durchschnittsschweden

Die Grundprobleme seien jedoch die gleichen wie damals gewesen, er kennt die sozialen Probleme der Vorstädte, weiß, wie falsche Vorbilder funktionieren und der Kampf um Anerkennung mit Gewalt aussieht. Dies zeichnet er auch in seiner im Herbst erschienenen Autobiographie („Så var det med det“, etwa „So viel dazu“) nach, die als „Volksbildungsbuch“ wie seine populären Social-Media-Clips den Nährboden für die Partei „Volksliste“ bereiten sollte.  

Seiner Theorie nach haben die von 2014 bis 2022 regierenden Sozialdemokraten zu sehr auf Resozialisierung gesetzt, die jetzige bürgerliche Führung in Stockholm arbeite alleinig mit Abschreckung. Die Lösung wäre eine Kombination aus beidem. Längere Strafen und danach eine Betreuung des Ex-Häftlings durch den Staat.  

So war sein Weg – nach der Entlassung aus dem Gefängnis lernte er in der Volkshochschule (diese ist in Schweden weit umfassender als in Deutschland), sein kriminelles Denken zu hinterfragen, ging mit seinem ADHS-Syndrom in Behandlung und konnte später seine Fähigkeiten aufbauen, um mit seinen vielfältigen Geschäftstätigkeiten zu beginnen, bis hin zum Risikokapital-Investor. Die für ihn erfolgreichen Instrumente des Fürsorgestaats ließen ihn einen Sozialdemokraten werden; der Partei wirft er heute, wenig originell, einen „Verrat an der Arbeiterklasse“ vor.  

Gleichzeitig verkörpert er mit seinem Luxusstil die Sehnsüchte der jungen Menschen in den Brennpunkten – nicht als „Durchschnittsschwede“ einen Bescheidenheitskult zu pflegen, wie es der nordische Egalitarismus auch den Besserverdienenden nahelegt, sondern seinen Erfolg, seinen Reichtum offen zur Schau zu stellen. Wenn der Politiker mit seinem Porsche-Cabrio in den Brennpunkten vorfährt, scharen sich die männlichen Jugendlichen um ihn. Er ist so, wie sie mal werden wollen. Als Duo bilden Emanuel und Skyttedal ein glamouröses Vorbild-Paar für beide Geschlechter.  

Der Nationalismus der „Volksliste“ ist nicht ethnisch motiviert

Und der Nationalismus der „Volksliste“, zumindest der von Emanuel, ist somit nicht ethnisch motiviert, schließlich zielt die Partei auch auf eine Wählerschaft mit ausländischen Wurzeln, vielmehr soll eine Mauer um das bestehende Schweden hochgezogen werden, sodass Asylsuchende und EU-Dekrete nicht mehr eindringen können.  

Die Popularität der beiden wird durch den rechtslibertären Youtuber Henrik Jonsson gestützt, ein wenig Julian Reichelt ähnelnd, der primär gegen die Sozialdemokraten schießt. Auch sonst ist der Medienrummel groß, zumal da sich in der neu gegründeten Partei noch weitere Politiker mit Vorstrafenregister befinden.  

Andere sprechen von einer „Narzissten-Bewegung“ und glauben, dass das zu große Ego des 49-Jährigen einem erfolgreichen Aufstieg im Weg stehen würde; von „Rechts-Links-Ideologie-Mischmasch“ ist weiter zu lesen, oder von „genialer PR“. Als „Influencer“ im eigentlichen Sinn wird die Partei also bereits ernst genommen.  

 

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