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Frustbewältigung - So lachen die Ägypter über den Flugzeugentführer

Während das „Erdowie, Erdowo, Erdowan“-Video in der arabischen Welt kaum Reaktionen ausgelöst hat, lachen sich die Ägypter unter ‪#‎IWishIWasWithThem‬ noch immer über die Flugzeugentführung schlapp - und beneiden sogar die Passagiere

Autoreninfo

Riham Alkousaa ist eine syrisch-palästinensische Journalistin. 

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Noch bevor alle Insassen des gekaperten Flugzeugs befreit waren und das Selfie eines britischen Passagiers mit einem der Entführer viral ging, begannen sich Menschen überall in Ägypten über die Entführung lustig zu machen. Mehr als 34.900 Tweets wurden unter dem Hashtag #IWishIWasWithThem in ironischer Absicht abgeschickt.

Flug MS181 der Linie EgyptAir mit 55 Passagieren an Bord war am Dienstag von dem Ägypter Seif Eldin Mustafa entführt worden. In den sozialen Netzwerken reagierten die meisten User mit ironischen Kommentaren auf den Vorfall, selbst als noch nicht durchgesickert war, dass der Kidnapper den Piloten nur deshalb zwang, auf einem Flughafen in Zypern zu landen, um eine Nachricht an seine dort lebende Frau zu senden.

Sarkasmus als Frustbewältigung


So schrieb ein User verächtlich: „Die haben es verdient, entführt zu werden. Ernsthaft, wer kommt schon auf die Idee, für die Distanz Alexandria-Kairo das Flugzeug zu nehmen.“ Jemand anderes schrieb: „Die Passagiere der entführten Maschine würden gerne dem Kidnapper dafür danken, sie aus Ägypten rauszuholen.“ Ein Nutzer stellte ein Foto mit jubelnden Fluggästen ins Netz.

Viele Ägypter fragten in den sozialen Netzwerken, ob die Airline für den Zypern-Ausflug einen Zuschlag berechnen würde. Ein anderer fragte: „Könnt ihr euch vorstellen, wie schockiert die Leute waren, als sie hörten, dass sie wieder nach Hause geschickt würden?“ Selbst religiöse Parallelen wurden gezogen zu der Geschichte des Auszuges von Moses aus Ägypten auf der Suche nach einer besseren Heimat.

Hinter der Fassade des Sarkasmus in den Kommentaren verbirgt sich eine harsche Realität: 26 Prozent der ägyptischen Bevölkerung leben in Armut, sogar 49 Prozent des südlichen Teils von Ägypten können nicht mit ausreichend Nahrungsmitteln versorgt werden. Dies geht aus Untersuchungen der Central Egypt Agency for public mobilization and statistics aus dem vergangenen Jahr hervor. Diese sagen auch, dass mittlerweile 17 Prozent der Ägypter zwischen 15 und 29 Jahren den Wunsch haben, auszuwandern und ihrem Heimatland den Rücken zu kehren.

Der Wunsch der Auswanderung


Auswandern gestaltet sich für die meisten Ägypter jedoch als reichlich schwierig: Im vergangenen Jahr konnten ägyptische Staatsbürger nur in 49 Länder auf der Welt einreisen. Im Vergleich: Wer im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist, kann problemlos in 177 Staaten auf der Welt einreisen. Viele Ägypter versuchen ihren Frust mit Humor zu bewältigen. Glücklicher macht sie das auf Dauer jedoch auch nicht. Ägypten liegt auf Platz 120 von 157 Ländern auf der Welt-Fröhlichkeits-Liste. Selbst im Irak und in Libyen scheinen die Menschen glücklicher zu sein, was beweist, dass Glück nicht nur vom Einkommen abhängt, sondern vor allem auch von persönlicher, politischer Freiheit.

Ahmed Salem, 23, arbeitet in einem Touristik-Unternehmen im Ort Tanta, 93 Kilometer nördlich von Kairo. Er erklärt die Neigung vieler Landsleute zum Sarkasmus wie folgt: „Wenn wir darauf auch noch verzichten müssen, explodieren wir. Das Gerede über uns Ägypter als durchweg fröhliche Menschen ist eine Sache, aber oftmals sehen die Menschen nicht, was für ein Frust sich hinter dem Sarkasmus der Ägypter verbirgt.“

Krisengebeutelte Ägypter


Salem sagt auch, dass die Menschen in Ägypten in der Vergangenheit so oft mit Krisen, Nöten, Gewalt und Tod konfrontiert wurden, dass all diese negativen Erlebnisse langsam beginnen, den Effekt auf die Ägypter zu verlieren. Man hat sich an die Trauer und den Kummer gewöhnt.

„Ich weiß nicht, wie das Geschäft anderswo läuft, aber hier zu uns kommen nur noch die Leute von außerhalb, die religiöse Reisen nach Mekka buchen wollen. Einheimische kommen schon länger nicht mehr zum Urlaub zu uns,“ sagt Salem. Nichtsdestotrotz ist Verreisen ein großes Thema in seinem Land, insbesondere unter jungen Leuten. Die fahren aber alle nur noch nach Osteuropa, weil es da so viel billiger ist. Salem verreist nicht sehr oft, da er das Geld lieber spart, um in seine Ausbildung zu investieren.

President for sale


Was die Jugend in Ägypten sucht, ist ein Weg hinaus. Sei es durch ein entführtes Flugzeug oder durch eine gute Ausbildung, die bessere Job-Chancen ermöglicht. Auf dem Weg dahin ist Humor ein wichtiges Mittel, um einen Teil des Frusts und der Enttäuschung loszuwerden. In einem Land, wo der eigene Präsident auf E-Bay zum Verkauf angeboten wird, ist Humor ein Weg, um Armut, Korruption, Unterdrückung und nicht zuletzt Flugzeugentführungen auszuhalten.

Übersetzung: Nils Leifeld

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