Nach Cicero-Recherchen - Baerbock setzt Aufnahmeprogramm für Afghanen aus

Eigentlich wollte die deutsche Außenministerin von den Taliban verfolgte Afghanen nach Deutschland holen. Doch ihr gut gemeintes Bundesaufnahmeprogramm wird offenbar von Islamisten missbraucht. Darüber hat Cicero exklusiv berichtet. Nun zieht Annalena Baerbock die Notbremse.

Annalena Baerbock auf dem Weg nach Afghanistan / dpa
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Außenministerin Annalena Baerbock hat ihr humanitäres Aufnahmeprogramm für bedrohte Afghanen wegen Missbrauchs- und Täuschungsversuchen vorübergehend ausgesetzt. Dieser Schritt ist eine Reaktion auf Recherchen von Cicero. Wir hatten mehrfach über den Missbrauch des neuen Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan und dessen Vorläuferprogramm berichtet. Die Bundesregierung will bis zu 1000 Afghanen im Monat auf legalem Weg nach Deutschland holen, um sie vor der Verfolgung durch die Taliban zu retten. Zusätzlich zu jenen Afghanen, die illegal einreisen, um in der Bundesrepublik Asyl zu beantragen.

Auswärtiges Amt und Innenministerium arbeiten bei der Auswahl der schutzbedürftigen Afghanen mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie „Pro Asyl“, „Mission Lifeline“ oder „Kabul Luftbrücke“ zusammen. Diese Organisationen treffen eine Vorauswahl, in dem sie als sogenannte „meldeberechtigte Stellen“ die Daten von angeblich bedrohten Afghanen an die Bundesregierung weitergeben. Wer nach einer ersten Überprüfung eine Aufnahmezusage erhält, kann dann in einer deutschen Botschaft ein Visum beantragen.

Weil Deutschland seit der Machtübernahme der Taliban keine offizielle Auslandsvertretung mehr in Afghanistan hat, geschieht dies meist in Islamabad (Pakistan) oder Teheran (Iran). Aus der deutschen Botschaft in Islamabad erreichte das Auswärtige Amt im Februar ein eindringliches Schreiben, über das Cicero exklusiv berichtete.

Die deutsche Botschaft in Islamabad warnte

In dem vertraulichen Bericht warnte der Botschafter vor einem gezielten Missbrauch der Aufnahmeprogramme durch Islamisten. Konkret ging es ihm um eine spezielle Gruppe: afghanische Juristen, die während des westlichen Militäreinsatzes am Aufbau eines rechtsstaatlichen Gerichtswesens beteiligt waren und deshalb nun von den Taliban verfolgt werden. So lautet zumindest die offizielle Begründung, weshalb sie nach Deutschland wollen.

Während der Visaverfahren ergeben sich dem Botschafterbericht zufolge jedoch häufig Zweifel daran. „Etwa 50 Prozent dieser Gruppe sind nach Erfahrungen der Botschaft keine Richter und Staatsanwälte mit klassischer Ausbildung“, schreibt der Diplomat aus Islamabad darin, „sondern Absolventen von Koranschulen, (…) geschult in der Sharia, im religiösen Rechts- und Wertesystem des Islam.“ Er warnt deutlich: „Die Erteilung von Aufnahmezusagen für Sharia-Gelehrte unterstützt die Unterwanderung unserer Rechtsordnung durch islamistische Kreise.“

 

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„Eine fundierte juristische Ausbildung, die im Gegensatz zu der in der Koranschule vermittelten Rechtsauffassung steht, ist hier nicht festzustellen“, schreibt er weiter. „Dies wird auch im Auftreten der Antragsteller und der Familienangehörigen im Visaverfahren deutlich: Frauen erscheinen beispielsweise komplett mit Burka/Niqab verschleiert und weigern sich bisweilen, zur Identifizierung ihren Schleier zu lüften.“ Besonders auffällig sei zudem, dass „die Personengruppe keinerlei Probleme bei der Beschaffung von Dokumenten/Pässen oder Visa für Pakistan hat“.

Namentlich aufgeführt werden in dem als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Schreiben zehn Einzelfälle. Neben den aufgelisteten Männernamen, die jeweils mit bis zu zehn Familienangehörigen in die Bundesrepublik wollen, gibt es Vermerke wie „Mullah mit Verbindung zu Taliban“, „Scharia-Richter“ oder „Mullah mit möglichem IS-Bezug“. Als gefährdet gemeldet wurden sie der Liste zufolge nicht nur von deutschen NGOs, sondern auch von Bundestagsabgeordneten.

Das Verfahren soll überarbeitet werden

Nachdem Cicero über dieses Schreiben berichtet hatte, erklärte das Auswärtige Amt: „Wenn im Visumverfahren sicherheitsrelevante Informationen bekannt werden, kann die Aufnahmezusage rückgängig gemacht werden. Für eine der in dem Bericht genannten Personen hat das Auswärtige Amt das BMI bereits um Rücknahme der Aufnahmezusage gebeten.“

Was der Botschafter in seinem Bericht schreibt, klingt allerdings nicht nach Einzelfällen, sondern nach systematischem Missbrauch. Denn er betont: „Des weiteren liegen Hinweise von Dritten vor, dass die Gefährdungsanzeigen mglw. über Mittelsmänner und gegen Geldzahlung verfasst und gestellt wurden.“ Cicero wollte daher vom Auswärtigen Amt wissen, um welche Hinweise es sich handelt und ob die Bundesregierung diese Hinweise auch an Ermittlungsbehörden weitergeben hat. Man äußere sich grundsätzlich nicht zu den Inhalten von internen, als Verschlusssache eingestuften Dokumenten oder Berichten, lautete die ausweichende Antwort. „Wir können daher nur darauf hinweisen, dass das Auswärtige Amt den in der Berichterstattung erwähnten Hinweisen nachgeht.“

Im März reiste eine Delegation des Auswärtigen Amts und des Innenministeriums nach Islamabad, um mit den Botschaftsmitarbeitern die Probleme zu besprechen. Auch Vertreter des für Extremismusabwehr zuständigen Bundesamts für Verfassungsschutz waren dabei. Offenbar waren die Erkenntnisse dieser Reise so eindeutig, dass man sich nun zu Konsequenzen entschlossen hat.

Das Verfahren soll überarbeitet werden. Man habe sich unter anderem auf die Einführung einer zusätzlichen Sicherheitsbefragung verständigt, um Täuschungsversuche zu unterbinden, heißt es in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, die das Auswärtige Amt gegenüber Cicero bestätigte. Es sei angestrebt, das Verfahren in den nächsten Tagen wieder aufzunehmen, sobald die zusätzliche Befragung umgesetzt sei.

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