Münchner Sicherheitskonferenz - „Das Umfeld ist sehr düster“

Ukrainekrieg, Hamas-Terror, US-Präsidentschaftswahl: Die diesjährige Sicherheitskonferenz dürfte spannend werden. Im Interview spricht SWP-Chef Stefan Mair über die drängendsten außenpolitischen Themen.

Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2023 / SiKo
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Autoreninfo

Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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Stefan Mair, Jahrgang 1963, leitet seit 2020 die Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie gilt als führende deutsche Denkfabrik für Außen- und Sicherheitspolitik und berät Bundestag, Bundesregierung und politische Entscheidungsträger internationaler Organisationen.

Herr Mair, die Münchner Sicherheitskonferenz findet dieses Jahr zum 60. Mal statt, und mehr Alarmismus war selten. Ukrainekrieg, Nahostkonflikt, Rivalität zwischen China und USA –  die Veranstalter zeichnen ein beängstigendes Bild der Lage, von einer geopolitischen „Lose-Lose“ Situation ist im Titel des Sicherheitsberichts die Rede, weil die Vorteile internationaler Zusammenarbeit von vielen Regierungen nicht mehr geschätzt würden. Teilen Sie die Besorgnis?

Das Umfeld ist tatsächlich sehr düster. Die Frage ist natürlich, wie man sich dazu verhält – ob man in Fatalismus verfällt oder den Blick auf die eigenen Optionen und Fähigkeiten lenkt. Wir haben in den letzten Jahren durchaus auch Resilienz im Umgang mit Krisen bewiesen. 

Die Idee der Sicherheitskonferenz ist, so sagt es der Vorsitzende Christoph Heusgen, „Frieden durch Dialog“ – also Konflikte durch Kommunikation zu lösen. Wie passt dazu, dass keine taiwanesischen Politiker eingeladen wurden? Zweifellos ist doch der Konflikt zwischen China und Taiwan einer der gefährlicheren für den Weltfrieden …

Ich glaube, dass die Idee dahinter tatsächlich ist, mit China im Gespräch zu bleiben. Die Einladung taiwanesischer Politiker hätte wohl zur Absage chinesischer Vertreter geführt, insofern kann ich die Entscheidung nachvollziehen.

Mit dem Ukrainekrieg und jetzt dem Krieg in Gaza ist die Konfrontation zwischen China und den Vereinigten Staaten, die sich ja in der Taiwan-Frage kristallisiert, etwas in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Ist die Gefahr geringer geworden?

Nein, sie ist letztlich gleichgeblieben. Die chinesische Führung hat auf das Ergebnis der Wahlen in Taiwan, die ja anders als für sie erhofft ausgegangen sind, bisher nicht mit einer Eskalation reagiert. Es gibt aber keinen Grund, sich in Sicherheit zu wiegen, die Lage kann sich in den nächsten Jahren schnell wieder verschärfen. Die Chinesen werden sehr stark wahrnehmen, wie der Konflikt in der Ukraine weitergeht, und werden daraus Schlussfolgerungen ziehen, ob, und wenn, wann es einen Zeitpunkt gäbe, eine Wiedervereinigung militärisch herbeizuführen. Zentral wird sein, welche Reaktion der USA China erwartet.
 

Passend zum Thema: 


In der Ukraine sieht es – trotz der Unterstützung durch die NATO-Staaten – derzeit nach einem mittelfristigen russischen Erfolg aus. Ist es ein Fehler, dass Vertreter Russlands ebenfalls nicht eingeladen wurden?

Nein. Es fehlen schlicht Zeichen aus Moskau, dass man überhaupt gewillt ist, zu verhandeln. Man setzt in Russland sehr stark auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November, und darauf, dass man bei einem Ausgang im russischen Sinne sehr viel bessere Karten hat, entweder eine weitere Offensive zu starten, oder letztlich die Bedingungen eines Waffenstillstands diktieren zu können. 

Macht man sich denn aus europäischer Perspektive Gedanken, wie es weitergehen kann? Oder herrscht da auch präventive Schockstarre angesichts der kommenden Wahlen vor? 

Es wird zweifellos eine Menge Hintergrundgespräche zur Ukraine geben, in denen man austestet, wie die Bereitschaft zu weiterer Unterstützung auf allen Seiten aussieht. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass die USA ihre Unterstützung unter einer erneuten Trump-Administration auf dem bisherigen Niveau aufrechterhalten werden.

Was werden die europäischen Politiker dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi, der ja auch kommen soll, zusagen können?

Man wird sicherlich signalisieren, dass die Ukraine weiter nachdrücklich unterstützt wird, allein schon um in Moskau keine falschen Hoffnungen zu wecken. Aber viel hängt tatsächlich von den amerikanischen Wahlen ab. Das gilt beispielsweise auch für den Konflikt in Gaza. Zweifellos werden auch hier mögliche Nachkriegsszenarien Thema in München sein, aber ich habe den Eindruck, dass auch die israelische Regierung auf eine Wiederwahl Trumps setzt. Unter seiner Präsidentschaft gäbe es wohl weniger Kritik und mehr vorbehaltlose Unterstützung für das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen. 

Das heißt, Sie erwarten, dass der Krieg mindestens noch bis November anhält?

Davon würde ich tendenziell ausgehen, wenngleich wahrscheinlich nicht auf gegenwärtigem Gewaltniveau. 

Eine weitere Krise, die sich derzeit am Horizont abzeichnet, ist ja auch die der NATO selbst. Der möglicherweise künftige US-Präsident Donald Trump hat auf einem Wahlkampfauftritt jüngst gesagt, er würde Staaten nicht verteidigen, die das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben nicht erfüllen, und hat damit die Beistandsverpflichtung im Angriffsfall in Frage gestellt. Ist das nur Wahlkampfgetöse? Oder ist das Bündnis wirklich in Gefahr?

Es gibt schon eine reale Gefahr für die NATO. Dabei geht es nicht darum, dass die NATO gleich zerfällt, wenn Trump gewählt wird. Aber es gibt Konzeptpapiere aus seinem Umfeld, die zum Beispiel von einer „dormant NATO“ sprechen, also davon, die NATO in eine Art Dornröschenschlaf zu versetzen, indem einfach die Prozesse innerhalb der NATO ausgesetzt werden. Darauf müssen wir uns einstellen. 

Verteidigungsminister Boris Pistorius hält es für möglich, dass ein NATO-Bündnispartner in fünf bis acht Jahren von Russland angegriffen werden könnte. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Ich bin da ein bisschen zuversichtlicher. Ich glaube zum einen, dass Russland noch auf längere Zeit erheblich in der Ukraine gebunden sein wird, egal in welcher Form. Selbst wenn es Russland gelingen sollte, große Teile der Ukraine oder es gar ganz zu besetzen, wird sich Russland auf einen Partisanenkrieg einstellen müssen. Und es ist ein sehr großer Unterschied, ob ich die Entscheidung treffe, ein Land wie die Ukraine, das zum Zeitpunkt des Angriffs ja als militärisch eher schwach galt, anzugreifen, oder ein Verteidigungsbündnis provoziere, was doch über erhebliche militärische Fähigkeiten verfügt. 

Angestoßen durch die Bedrohung durch Russland und die jüngsten Trump-Einlassungen gibt es aktuell auch wieder eine Debatte über atomare Bewaffnung. Christian Lindner hat zuletzt in der FAZ angedeutet, Deutschland müsse „einen Beitrag“ zu den „strategischen Fähigkeiten“ des Bündnisses leisten. Braucht die EU oder gar Deutschland als Führungsmacht eigene Atomwaffen?

Lindner ist nicht der erste, der hier einen Stein ins Wasser geworfen hat, und ich erwarte über die nächsten Monate eine intensive Debatte über dieses Thema. Wenn die USA tatsächlich ihre Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 der NATO relativieren, dann ist natürlich die Frage, welchen nuklearen Schutzschirm es in Europa gibt. Wir stehen ganz am Anfang der Diskussion. Prinzipiell gibt es drei Optionen: Entweder bekennen sich die Nuklearmächte in Europa, Frankreich und Großbritannien zu einem gemeinsamen Schutzschirm für die europäischen NATO Mitglieder. 

Emmanuel Macron hat vor einiger Zeit zudem angeboten, es könnte ein französischer Schutzschirm über Europa gespannt werden, der dann auch von den anderen Ländern materiell unterstützt werden müsste. Drittens gibt es die Option, dass weitere Länder nukleare Kapazitäten erwerben. Ich würde ausschließen, dass Deutschland so etwas alleine tun würde, wenn, dann beträfe das eine Gruppe europäischer Staaten, unter anderem Polen. 

Aber man muss die Implikation davon sehen: Das wäre das Ende des Atomwaffensperrvertrags, was dazu führen würde, dass eine ganze Reihe von Ländern, die dazu die Fähigkeit haben, ebenfalls Atomwaffen erwerben würden. Für unwahrscheinlich halte ich, dass die Europäische Union selbst nukleare Fähigkeiten aufbaut. Diskutieren müssen wir im Übrigen auch über die konventionellen Fähigkeiten. Auch hier tut sich eine Lücke für den Fall auf, dass die Amerikaner ihre Beistandsverpflichtung relativieren.

Warum kommt die Diskussion überhaupt erst jetzt? Der Vorstoß von Macron liegt ja bereits einige Jahre zurück.

Wir tun uns mit der Frage der Verfügung über Atomwaffen außerordentlich schwer. Bis vor kurzem haben wir noch Diskussionen über die nukleare Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO geführt. Erst nach der russischen Invasion der Ukraine waren wir bereit, uns dazu erneut klar zu bekennen. Als Macron den Vorschlag 2020 gemacht hat, sah man keinen großen Bedarf, darauf einzugehen. Man wollte vielleicht auch nicht die transatlantischen Beziehungen dadurch belasten und hatte wohl auch Zweifel, ob ein nuklearer Schutz durch Frankreich ausreichend oder verlässlich ist. Trotzdem hätte die damalige Bundesregierung sehr viel offensiver auf diesen Vorschlag reagieren sollen, als sie es getan hat. Atomare Bewaffnung ist in der Öffentlichkeit kein Gewinnerthema, aber wenn wir es mit einer zweiten Trump-Administration zu tun bekommen, die die NATO in Frage stellt, dann werden wir uns damit auseinandersetzen müssen.

Stefan Mair / SWP

Wie könnte man denn die Amerikaner, speziell die Republikaner, wieder vom Wert des Bündnisses überzeugen? 

Wir müssen mehr in die eigene Sicherheit investieren. Das ist ja etwas, das nicht nur Trump signalisiert, sondern etwas, das immer schon von amerikanischer Seite vorgebracht wurde. Deswegen ist es so wichtig, das Zwei-Prozent-Ziel umzusetzen, aber darüber hinaus auch Bereitschaft zu zeigen, stabilisierend in anderen Regionen einzugreifen. 

Ein Thema, das aus meiner Sicht in der medialen Wahrnehmung vernachlässigt wird, ist, was gegenwärtig im Sahel passiert. Wir haben da eine Zone von Mauretanien bis Eritrea, die von Gewaltkonflikten, Bürgerkriegen und Staatszerfall geprägt ist. Da sehen wir zu wenig hin, und das ist mit Sicherheit einer der Bereiche, bei denen die Amerikaner auch zurecht erwarten, dass wir Europäer mehr Verantwortung übernehmen.

Wie stellen Sie sich das vor? Das zurückliegende europäische militärische Engagement etwa in Mali kann ja wohl nicht als Erfolg bezeichnet werden …

Wir müssen jetzt in die Nachbarländer der Krisenstaaten schauen, und dort unterstützen: in Ländern wie Nigeria, Ghana, Elfenbeinküste. In Mali, Burkina Faso und Niger gibt es momentan tatsächlich wenig Möglichkeiten. Aber man kann dabei helfen, die Ausbreitung der Konfliktzone zu verhindern, vor allem durch Ausbildung, Beratung und Stärkung der militärischen Fähigkeiten. Man kann darüber streiten, ob wir in den zurückliegenden Missionen entschlossen genug agiert haben. Klar ist aber, dass wir die Region weiter im Blick behalten müssen.

Ein Großteil der Ampelregierung wird bei der Münchner Sicherheitskonferenz anwesend sein. Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung? 

Ich würde mir wünschen, dass von der Konferenz ein Signal des Selbstbehauptungswillens der Europäer ausgeht. Die Botschaft, dass wir bereit sind, mehr für die eigene Sicherheit zu tun, und uns über Europa hinaus für Frieden und Sicherheit zu engagieren.

Das Gespräch führte Jakob Ranke.
 

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