Midterm Elections in den USA - Demokratische Seifenoper

Die Midterms zeigen, dass sich bei den amerikanischen Wählern der Eindruck verfestigt hat, dass jede Stimme im demokratischen Kampf zählt. Gleichwohl deckten die jüngsten US-Zwischenwahlen wie eine Seifenoper alle Facetten der menschlichen Gefühlswelt ab.

TV-Arzt und überführter Quacksalber Oz / dpa
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Autoreninfo

Lisa Davidson ist Journalistin, freie Autorin und Podcast-Host. Sie lebt in Virginia, USA. 

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Ob auf kommunaler oder bundesstaatlicher Ebene – es ist fast schon Tradition, dass amerikanische Wahlen ein kunterbunter Wirrwarr sind. Doch Wahlzirkus und unglaubwürdige Kandidaten lassen die Bevölkerung nicht kalt. Anhänger beider Parteien fühlen eine Vielfalt an Emotionen, die von Vorfreude und Nervosität über Zweifel und Misstrauen bis hin zur Gleichgültigkeit reichen. Verdenken kann man es ihnen nicht, denn die jüngsten Midterms deckten wie eine Seifenoper alle Facetten der menschlichen Gefühlswelt ab. 

Mehr Bezug zur Realität

Der größte Sieg der Demokraten und die wohl peinlichste Niederlage der Republikaner geschah bei der Senatswahl in Pennsylvania. John Fetterman triumphierte nach einem Wahlkampf voller persönlicher Gesundheitsdebatten über den aus Fernsehkreisen bekannten und von Donald Trump unterstützten Promi-Arzt Mehmet Oz. Der Senatssitz wurde von dem in den Ruhestand gehenden republikanischen Senator Pat Toomey geräumt, wodurch der erste Senatssitz in Pennsylvania seit über einem Jahrzehnt frei wurde.

Ob überhaupt einer dieser zwei Kandidaten für die Position geeignet war, bleibt fraglich. Laut New York Times wird Fettermans Gesundheitszustand nach wie vor infrage gestellt, nachdem dieser wenige Tage vor seinem Sieg bei den Vorwahlen einen Schlaganfall erlitten hatte und einen Herzschrittmacher implantiert bekommen musste. Doch Oz, der erst seit 2020 im Bundesstaat lebt, war für viele aufgrund seiner wechselhaften Einstellungen kein ernstzunehmender Kandidat. 
 

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Oz, ein Herz-Thorax-Chirurg, stellte seinen medizinischen Hintergrund und seine beliebte Fernsehshow namens „Dr. Oz“ in den Mittelpunkt seiner Kampagne. Bei seinen Wahlveranstaltungen sprach er vor Bannern, auf denen „Dr. Oz“ und sein Wahlkampfslogan „Dose of Reality“ prangten. Dabei hätte ihm selbst etwas mehr Bezug zur Realität nicht geschadet.

Denn statt mit Enthusiasmus begegneten ihm sowohl die Wähler als auch die eigene Partei mit Skepsis, was auf seine Geschichte mit falschen Gesundheitsversprechen während seiner TV-Karriere zurückzuführen ist. Laut Washington Post bot Oz mit seiner Sendung, die von 2009 bis 2021 lief, eine Plattform für potenziell gefährliche Produkte und kontroverse Standpunkte. Diese Einschätzung wurde von medizinischen Experten, Organisationen des öffentlichen Gesundheitswesens und staatlichen Gesundheitsberatern bekräftigt. Die mangelnde politische Kompetenz von Oz tat ihr Übriges. 

Wer behält die Oberhand im Senat?

Doch trotz deutlicher Niederlage für die Republikaner in Pennsylvania ist die Kontrolle des Senats noch unentschieden. Wann sichersteht, wer die Nase vorne hat und somit die Oberhand über mindestens eine Kammer des US-Kongresses erhält, ist eine brennende Frage, die die Nation spaltet. Vor allem in Georgia herrscht unangenehme Ungewissheit. Dort führt der aktuelle demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock noch knapp vor Herschel Walker, Langzeit-Trump-Buddy und Ex-Football-Star.

Neben wenig politischer Erfahrung zeichnet sich Walker vor allem durch eine turbulente Wahlkampagne aus. Laut Associated Press habe Walker beispielsweise wiederholt das Leben seiner Ex-Frau bedroht. Zudem soll er, als jetziger Vertreter einer strikten Anti-Abtreibungsplattform, während seiner Football-Karriere für diverse Abtreibungen bezahlt haben. Doch man wundert sich nicht mehr über Kandidaten wie Walker, denn Dreck am Stecken zu haben, scheint im amerikanischen Wahlkampf einfach dazuzugehören. Das Rennen scheint auf eine Stichwahl am 6. Dezember hinauszulaufen. 

Laut Politico sind Arizona und Nevada zwei weitere große Fragezeichen, da in beiden Staaten noch eine beträchtliche Anzahl von Stimmen ausgezählt werden muss. Ob Republikaner oder Demokraten – wenn eine Partei beide Staaten gewinnt, wird sie die Kontrolle über den Senat übernehmen, unabhängig davon, was im nächsten Monat in Georgia passiert.

Der Schlüssel zum Repräsentantenhaus

Genauso umstritten wie die Mehrheit im Senat ist die im Repräsentantenhaus. Vor der Wahl hatten die Demokraten dort noch die Oberhand mit einer Mehrheit von 220 zu 212 Sitzen. Um die Kontrolle zu übernehmen, müssten die Republikaner 19 umkämpfte Sitze gewinnen.

Auch wenn das Endergebnis noch nicht feststeht, werden sie nach wie vor als Favorit gehandelt. Doch der Vorsprung scheint geringer zu sein als erwartet. Die Times prognostiziert, dass die Republikaner am Ende mit 224 Sitzen knapp über den 218 Sitzen liegen werden, die zur Sicherung der Mehrheit erforderlich sind. Ein kleiner Sieg? Vielleicht, doch das Ergebnis wäre das schwächste Abschneiden einer gegnerischen Partei des Präsidenten bei einer Zwischenwahl seit 2002. Es kann also mit Gewissheit gesagt werden, dass sich die Republikaner die Nacht der Midterms anders vorgestellt hatten. 

„The show must go on“

Doch was bedeutet ein von Republikanern kontrolliertes Repräsentantenhaus für Joe Biden? Es ist anzunehmen, dass Biden den Rest seiner Agenda mit einer gespaltenen Regierung in den Wind schlagen kann und Stillstand droht. Denn selbst mit der Mehrheit in einer Kammer könnten die kommenden zwei Jahre ohne wirklichen Fortschritt vorüberziehen, da Republikaner Gesetzentwürfe schlichtweg blocken können.


Stefan Bierling im Cicero-Podcast über die Midterms:


Getreu dem Motto „The show must go on“ konzentriert sich die Bevölkerung während gebanntem Warten auf die Highlights der Zwischenwahlen – und da gab es viele. Immerhin wurde gleich in mehreren Teilen des Landes Geschichte geschrieben. Die Demokratin Marcy Kaptur gewann die Wiederwahl in ihrem Bezirk in Ohio. Sie wird damit die dienstälteste Frau in der Geschichte des US-Kongresses sein. Mary Peltola, Anhängerin der Demokraten und erste gebürtige Alaskanerin, die in den Kongress gewählt wurde, lag vor den Republikanern Sarah Palin und Nick Begich.

Und auch in Vermont und Florida werden die Wahlen in die Geschichtsbücher eingehen. Die progressive Demokratin Becca Balint nimmt den einzigen Sitz im Repräsentantenhaus für Vermont ein. Damit ist Vermont der letzte US-Bundesstaat, der eine Frau in den Kongress sendet. Der 25-jährige Demokrat Maxwell Frost konnte hingegen einen Sitz in Florida für sich behaupten und ist damit das erste Kongressmitglied der Generation Z.

Gouverneur oder Präsidentschaftskandidat?

Im Gegensatz zu den heiß umkämpften Sitzen im US-Kongress brachten die Gouverneurswahlen für viele Amerikaner eine Erleichterung, denn hier gab es wenige Überraschungen und teils deutliche Ergebnisse. Drei hochrangige republikanische Gouverneure – Ron DeSantis in Florida, Greg Abbott in Texas und Brian Kemp in Georgia – wurden wiedergewählt. Sarah Huckabee Sanders, Trumps ehemalige Pressesprecherin, wird die erste Gouverneurin von Arkansas, während die Demokratin Maura Healey Gouverneurin von Massachusetts und gleichzeitig die erste offen lesbische Gouverneurin des Landes wird. Maryland wählte den Demokraten Wes Moore zum ersten afroamerikanischen Gouverneur – Erfolgsgeschichten, die das Herz der Amerikaner höher schlagen lassen.

Ein besonderes Augenmerk sollte allerdings auf die Wahl in Florida gelegt werden. Während die Wiederwahl von DeSantis keine Überraschung war, ist die Art und Weise seines Sieges dennoch bemerkenswert. DeSantis gewann selbst in historisch demokratischen Teilen des Staates und bescherte seiner Partei damit ein ungewöhnlich starkes Ergebnis.

Viele Republikaner sehen ihn daher als klaren Präsidentschaftskandidaten für 2024, da Trump in vielerlei Hinsicht mittlerweile als Belastung angesehen wird. Während DeSantis die konservative Grundeinstellung vieler Republikaner vertritt, steht er für Trumps Ansichten ohne dessen Extremismus. Um es in den Worten Bidens ehemaliger Pressesekretärin zu sagen: „Die Demokraten haben ein Florida-Problem, aber die Republikaner haben ein Trump-Problem.“

Die Zukunft der amerikanischen Demokratie

Die vorübergehende Bilanz der Midterms? Auch wenn viele Ergebnisse noch nicht feststehen, wurde deutlich, dass Amerika die Zwischenwahlen als gespaltenes Land verlässt, das in einem engen Bereich des politischen Spektrums verankert bleibt. Kleine Siege wurden dennoch eingefahren: Biden konnte sich beispielsweise darüber freuen, weitaus weniger Sitze im Kongress verloren zu haben als im historischen Durchschnitt, wie der Historiker Mark Updegrove der Times erzählte. 

Doch der wirkliche Gewinner ist die amerikanische Demokratie. Die Midterms zeichneten sich durch eine enorme Wahlbeteiligung aus, die verdeutlicht, dass beide Seiten denken, dass jede Stimme tatsächlich zählt. Vor allem junge Leute fanden den Weg zur Wahlurne. Laut NPR zeigen die ersten Einschätzungen, dass die Wahlbeteiligung junger Wähler die zweithöchste bei einer Zwischenwahl in den letzten 30 Jahren war. Während eine Analyse der Washington Post zeigt, dass die allgemeine Wahlbeteiligung etwas geringer als die letzten Midterms ausfiel, übertraf die Wählerbegeisterung in besonders umkämpften Staaten wie Pennsylvania den Höchststand von 2018.

Appell an die Selbstbestimmung

Dies kann wohl auch auf den allgegenwärtig deutlichen Druck der vergangenen Wochen, den Weg zur Wahlurne zu finden, zurückzuführen sein. Ob SMS von der lokalen Regierungsstelle, E-Mail vom Arbeitgeber oder zweifelhafte Fernsehwerbung – Amerikaner wurden von allen Seiten mit stetigen Erinnerungen an die Midterms und Aufforderungen zum Wählen bombardiert. Mit Erfolg. Der Aufruf zum Wählen war allseits zu hören und hat an die Selbstbestimmung und -verwirklichung der Amerikaner appelliert. Und das funktioniert normalerweise immer.

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