Japans Premierminister - Sektensumpf und Homophobie

Beim G-7-Gipfel in Hiroshima will Japans Premierminister Fumio Kishida sein Land als weltpolitisches Schwergewicht platzieren – dabei ist fraglich, ob er bis dahin im Amt bleibt.

Japans Premierminister Fumio Kishida (r.) während eines Besuchs des südkoreanischen Staatschefs Yoon Suk Yeol / dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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Anfang Februar stand der Premier mal wieder wie einer da, der seinen Laden nicht im Griff hat. „Diese Aussagen stehen im totalen Widerspruch zur Politik der Regierung“, beteuerte Fumio Kishida mit äußerst gereiztem Blick gegenüber der Öffentlichkeit. Wenige Tage zuvor hatte einer von Kishidas engsten Mitarbeitern erklärt, er hätte ein Problem damit, ein gleichgeschlechtliches Paar als Nachbarn zu haben. Es war eine Äußerung, die dieser Tage kaum vorgestriger hätte wirken können: Ende 2022 hat ein Tokioter Gericht das Verbot der Homo-Ehe für verfassungswidrig erklärt. 

Aber Kishidas Mitarbeiter hatte auch noch behauptet, die Mehrheit der Regierung teile dessen Haltung. Dem 65-jährigen Premier blieb also kaum etwas anderes übrig, als so zu reagieren, wie er es in ähnlichen Situationen schon mehrmals getan hat: Er entließ den Mann und distanzierte sich. Kishida wolle schließlich eine Gesellschaft prägen, die für Diversität und Respekt stehe. Mehrere Umfragen zeigen ohnehin, dass längst eine breite Mehrheit für die Legalisierung der Homo-Ehe ist. Japan aber ist das einzige G7-Land, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht voll anerkennt.

Der Teufel liegt im Detail

So steht der Konservative Fumio Ki­shida unter Druck. In diesem Jahr hat Japan nämlich den Vorsitz der G7 inne. Und wenn im Mai der Hauptgipfel der Regierungschefs steigt, will der Premier eigentlich so glänzen, wie er seine Heimat gern sieht: traditionsbewusst, aber zukunftsgewandt, friedlich, aber resolut, bei den großen globalen Fragen unverzichtbar. Und eigentlich müsste die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt diesen Status auch ohne Weiteres haben. Kritiker aber betonen: Der verzagte Umgang mit der Homo-Ehe offenbare das Gegenteil.

Als Fumio Kishida im Oktober 2021 sein Amt antrat, versprach er Modernisierung. Dem über die vergangenen Jahrzehnte ungleicher gewordenen Land kündigte er einen „neuen Kapitalismus“ an, bei dem es insbesondere um gerechte Verteilung gehe. Später erklärte er bessere Bedingungen für das Kinderkriegen zur „höchsten Priorität“, um das Altern der Bevölkerung aufzuhalten. Im Dezember verkündete Kishida dann eine historische Verdopplung des Wehretats auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

 

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Doch während all diese Beschlüsse im Großen und Ganzen mehrheitsfähig sind, hakt es an Details: Kishida, der in der übermächtigen Liberaldemokratischen Partei (LDP) als Konsenspolitiker und Reformer gilt, bleibt Konkretisierungen schuldig, was die Gestaltung seines „neuen Kapitalismus“ angeht, ebenso in Bezug auf die Fertilitätspolitik. Über die Finanzierung der Aufrüstung läuft eine Debatte. Kishidas Idee breiter Steuererhöhungen halten Kritiker für unüberlegt: Vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Lohnstagnation und akuter Inflation würden höhere Steuern Schaden anrichten.

Aufrüstung in Hiroshima

Immer wieder wirkt Fumio Kishida wie einer, dessen Regieren vor allem aus Reagieren besteht. So auch im Nachspiel des Attentats auf Ex-Premier Shinzo Abe im Juli 2022. Zwei Tage nach dem Mord errang die LDP, die Partei von Abe und Kishida, noch einen deutlichen Wahlsieg. Danach aber kam heraus, dass Abes Mörder den Ex-Premier erschossen hatte, weil dieser in Kontakt mit einer Sekte gewesen war, die die Mutter des Attentäters mit hohen Spendenaufforderungen in den Ruin getrieben hatte. Shinzo Abe, dem Kishida kurz nach dessen Tod ein Staatsbegräbnis widmete, hatte der Sekte in einer Grußbotschaft für deren Bemühungen um traditionelle Familienwerte gedankt. Damit nicht genug: Knapp die Hälfte der LDP-Abgeordneten und mehrere Minister hatten Wahlkampfhilfen oder andere Unterstützung von der Sekte erhalten und im Gegenzug offenbar beide Augen zugedrückt, was das Gebaren der Sekte anging. Einen Monat nach Abes Tod bildete Kishida sein Kabinett um: Nur fünf Minister behielten ihre Posten.

Seither kämpft Fumio Kishida ums politische Überleben; nur noch ein Drittel der Befragten sind mit dessen Arbeit zufrieden. Lokalwahlen im April könnten ihn weiter schwächen, Neuwahlen noch in diesem Jahr gelten als gut möglich. 
Beim G7-Gipfel im Mai steht Kishida vor einem weiteren Balanceakt: Seine Gäste wird er für eine stärkere militärische Abschreckung gegenüber Japans Rivalen China gewinnen wollen, wobei man sich im aufrüstenden Tokio als führende Kraft versteht. Als schwierig aber dürfte es sich erweisen, dies der Öffentlichkeit zu erklären. Es stellt sich nämlich nicht nur die Frage, wie Japan seine Aufrüstung finanzieren soll. Ebenso wird es um Symbolik gehen: Das wichtigste G7-Treffen steigt in Hiroshima, jener Stadt, die 1945 von einer Atombombe zerstört wurde und sich seither als Ort von Abrüstung vermarktet. Bilder jedoch, die aus Hiroshimas ikonografischem Friedenspark eine Geste militärischer Abschreckung gegenüber China dokumentieren, sähen allen Umständen zum Trotz seltsam aus.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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