Japan leitet Fukushima-Kühlwasser in den Ozean - Diplomatischer Supergau mit China

Vergangene Woche hat Japan damit begonnen, für die Atomruine in Fukushima verbrauchtes Kühlwasser in den Ozean zu leiten. Nun zeigt sich, wie sehr das Land damit auch in der Nachbarschaft zu kämpfen hat.

Luftaufnahme der Atomruine in Fukushima / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

So erreichen Sie Felix Lill:

Anzeige

Die Ansage, die die japanische Botschaft in Peking ihren Landsleuten gemacht hat, ist bezeichnend: Alle Japaner, die sich in China befinden, sollten sich so unauffällig wie möglich verhalten, möglichst nicht laut Japanisch sprechen. Drastischer formuliert: Alles, was darauf hindeuten könnte, dass man aus Japan kommt, möge man erst einmal lieber unterlassen. Schließlich ist die Lage in China gerade äußerst angespannt. Und da müsse man nicht noch Öl ins Feuer gießen.

Denn es wird gerade schon genug gegossen – und zwar belastetes Wasser. In Fukushima, an Japans Nordostküste, begannen die japanische Regierung und der Energiekonzern TEPCO am Donnerstag vergangener Woche, mehr als eine Million Tonnen Wasser, das für die Kühlung der Atomruine in Fukushima verwendet worden ist, in den Ozean zu leiten. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde und der japanischen Regierung ist der Vorgang sicher. Mehrere Nachbarländer Japans – allen voran China – haben über die vergangenen Jahre immer wieder Zweifel verlautbart. 

Japaner fürchten in China um ihre Sicherheit

Und in China ist die Situation nun so ernst, dass Japaner offenbar um ihre Sicherheit fürchten. Von einer japanischen Schule in Qingdao, in der Provinz Shandong, wurde berichtet, dass ein Stein geworfen wurde. Eine andere japanische Schule in Suzhou, in der Provinz Jiangsu, fand geworfene Eier vor. Japans Botschaft und Konsulate haben laut dem japanischen öffentlichen Rundfunksender NHK vermehrt belästigende Anrufe erhalten. Man habe daraufhin sein Sicherheitspersonal erhöht. Auf sozialen Medien wird behauptet, diverse japanische Produkte seien atomar verseucht.

So könnten auch japanische Unternehmen unter der Kontroverse leiden. Seit dem Atomdesaster vom März 2011, als nach einem Erdbeben und Tsunami das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi havarierte und Hunderttausende in Japan durch die Flutwelle ihr Zuhause verloren, hat China – wie auch Südkorea und bis vor kurzem ebenso Taiwan – Lebensmittelimporte aus der Region im Nordosten Japans untersagt. Nach der jüngsten Entscheidung, dass das in Fukushima verbrauchte Kühlwasser nun in den Ozean geleitet wird, sind Lebensmittelprodukte aus ganz Japan vom chinesischen Importstopp betroffen.

 

Mehr von Felix Lill:

 

Die ökonomischen Kosten für die japanische Volkswirtschaft werden sich erst nach einigen Monaten beziffern lassen. Der diplomatische Schaden zeigt sich bereits jetzt. Seit Jahren sind die Beziehungen zwischen China und Japan – der je zweit- und drittgrößten Volkswirtschaft der Welt – höchst angespannt. Die Konkurrenzsituation um die Vormachtstellung in Asien wird verhärtet durch Uneinigkeit, was die Unabhängigkeit Taiwans angeht, das Festlandchina als Teil des eigenen Staatsgebiets sieht. Zudem führen Japan und China Territorialstreitigkeiten um Inseln im Pazifik.

Auch die Kolonialvergangenheit – Teile Chinas waren bis 1945 unter Kontrolle Japans – belastet das Verhältnis immer wieder. Und die Angelegenheit rund um das Kühlwasser von Fukushima ist nun ein weiteres Problem – wobei auf japanischer Seite offenbar der Eindruck entsteht, dass die jetzigen Vorwürfe aus China auch politisch motiviert sind, um Japan international zu diskreditieren. Japans Außenministerium forderte Chinas Regierung am Wochenende auf, die chinesische Öffentlichkeit zur Ruhe aufzurufen. 

Anti-japanische Stimmung ist nichts Neues 

Anti-japanische Stimmung in der Region ist nichts ganz Neues. Das ostasiatische Land, das ab den 1930er Jahren und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 weite Teile des Pazifikraums kolonisiert und besetzt hatte, hat immer wieder mit Boykotten japanischer Produkte und Ähnlichem zu kämpfen. In Südkorea etwa litten japanische Unternehmen ab 2019 unter solchen Maßnahmen. Hintergrund waren Unstimmigkeiten zwischen Japan und Südkorea, was die Entschädigung koreanischer Zwangsarbeiter während der Kolonialzeit anging. 

Auch in China hat es solche Boykotte in der Vergangenheit schon gegeben. Im Jahr 2012, als die Regierung in Tokio angekündigt hatte, einem privaten Investor eine Insel abzukaufen, die auch China beansprucht, sah man in Peking seine Hoheitsrechte verletzt. Fortan sanken die Verkäufe von japanischen Unternehmen aus diversen Branchen – von Lebensmittelproduzenten bis zu Autobauern – auf dem chinesischen Markt beträchtlich. Nun könnte es wieder einen ähnlichen Lauf nehmen. 

Japan sieht keine Sicherheitsbedenken

Dabei sieht man die Sache mit dem Kühlwasser in Japan als sicher an. Anfang der Woche verkündete die Regierung, dass das in den Ozean geleitete Wasser sauber sei. Nachdem Wasser für das Kühlen der weiterhin radioaktive Strahlung abgebenden Atomreaktoren verwendet wurde, wird es durch ein Reinigungssystem geschleust, das 62 Radionuklide herausfiltert. Tritium kann allerdings nicht entfernt werden, weshalb das Wasser zunächst weiter verdünnt werde. Messungen haben laut der Regierung nun ergeben, im Wasser seien keine gefährlichen Spuren enthalten.

Wenn japanische Institutionen in der Vergangenheit von Boykotten betroffen waren, ließ sich das Problem meist nach einiger Zeit auf diplomatischer Ebene lösen. Diesmal könnte dies schwieriger sein. Denn der Prozess, das Wasser in Fukushima in den Ozean zu leiten, wird voraussichtlich 30 Jahre dauern. Und inmitten der ohnehin angespannten Beziehungen dürfte in China so schnell niemand nachgeben, was für Teile der japanischen Wirtschaft noch lange Zeit schmerzhaft bleiben würde.

Ole Döring im Gespräch mit Ralf Hanselle: 
„Noch haben wir es in der Hand, die Zukunft mitzugestalten“

Anzeige