Mögliche Reaktionen auf den iranischen Angriff - „Israel steht vor einem schwierigen Dilemma“

Die Weltöffentlichkeit fragt sich, ob und in welchem Umfang eine Reaktion Israels auf den iranischen Angriff erfolgen wird. Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg spricht im Interview über denkbare Szenarien und die Möglichkeit einer großen Eskalation.

Ein Mann nimmt an einer Solidaritätsdemo für Israel in Berlin teil / picture alliance
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Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zum Nahen Osten, politischen Islam und islamistischen Terrorismus.

Herr Steinberg, in der Nacht von Samstag auf Sonntag feuerte der Iran 300 ballistische Raketen und Drohnen auf Israel. Nun rätselt die Weltöffentlichkeit, ob und in welchem Umfang eine Reaktion seitens Israels erfolgen wird. Was erwarten Sie?

Bis jetzt kann ich verlässlich nicht sagen, wie die israelische Reaktion ausfällt. Es mehren sich in den letzten Tagen die Hinweise, dass die Israelis irgendeine Form von Reaktion wählen werden. Ich denke etwa an den Auftritt des Armeechefs auf der Luftwaffenbasis Nevatim in der Negevwüste, bei dem er Angriffe angekündigt hat. Das Problem bei den Israelis ist, dass sie mehrere Reaktionsmöglichkeiten haben und es bisher völlig unklar ist, was für ein Ziel sie wählen werden.

Welche Szenarien sind dabei denkbar?

Zunächst einmal stellt sich Frage, ob der Iran direkt angegriffen wird. Dafür spricht vor allem, dass die Iraner von ihrem Territorium aus israelisches Staatsgebiet angegriffen haben. Das würde Angriffe beispielsweise auf Stellungen der Revolutionsgarden im Iran folgerichtig und nachvollziehbar machen. Man könnte sich aber auch Angriffe auf iranische Stellungen und Angriffe auf Stellungen von mit dem Iran verbündeten Milizen im Irak und in Syrien vorstellen. Solche Angriffe hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben – weit über 1000. Jedoch spricht das auch dagegen, da solche Angriffe fast Routine darstellen. Außerdem kann man sich Angriffe der Israelis auf die libanesische Hisbollah vorstellen. Ganz einfach deshalb, weil an der israelischen Nordgrenze ohnehin bereits seit dem 8. Oktober ein Krieg auf niedrigem Level tobt.

Guido Steinberg / dpa

Dann hätte Israel neben dem anhaltenden Krieg in Gaza und der Auseinandersetzung mit der Hisbollah eine dritte Front, auf die sich das Militär konzentrieren müsste. Kann Israel ein Interesse daran haben?

Die Israelis stehen vor einem klaren Zielkonflikt. Seit dem 7. Oktober war es immer das Ziel der Hamas, ihre Verbündeten in den Krieg hineinzuziehen. Die Islamisten haben offenkundig erwartet, dass die Unterstützungen für sie über Solidaritätsbekundungen seitens der Hisbollah oder schiitischer Milizen im Irak oder Syrien hinausgeht. Doch das ist ausgeblieben. Wenn Israel jetzt einen größeren Vergeltungsschlag unternimmt, würde exakt das eintreten, was die Hamas immer wollte. Andererseits waren die Angriffe der Iraner von Samstag und Sonntag derart breit angelegt und so direkter Natur, dass zumindest einige in der israelischen Führung glauben, dass sie um eine unmittelbare Reaktion nicht herumkommen. Israel steht deshalb vor einem schwierigen Dilemma.

Für wie realistisch schätzen Sie derzeit das Worst-Case-Szenario ein? Also eine große kriegerische Eskalation, in der auch der Westen und Verbündete des Irans hineingezogen werden könnten?

Eine ganz große Eskalation ist eine Möglichkeit. Vor allem in dem Fall, wenn die Israelis sich entschließen, im Iran auf breiter Front anzugreifen, und dabei viele verschiedene Ziele zerstören. Das könnte die Iraner dazu verleiten, die Hisbollah loszuschicken. Die Hisbollah ist aus meiner Sicht für Israel gefährlicher als der Iran selbst, da sich die Hisbollah geographisch deutlich näher an Israel befindet und sie eine enorme Anzahl von Raketen, Drohnen und wahrscheinlich auch Marschflugkörpern besitzt. Darin bestünde die größte Gefahr eines israelischen Gegenschlages. 

Das Eskalationsrisiko ist aber auch dann hoch, wenn die Israelis nur iranische Ziele im Irak und Syrien oder aber auch die Hisbollah auf breiter Front angreifen. In jedem Fall wäre es möglich, dass damit die gesamte „Achse des Widerstands“, also das von Iran angeführte Bündnis von vor allem schiitischen Akteuren, versucht zurückzuschlagen.

Schauen wir auf den Konfliktgegner Israels: Hat der Iran derzeit ein Interesse an einer möglichen Eskalation?

Nein, ganz deutlich nicht. Verschiedene Politiker und Beamte haben sich von iranischer Seite bereits geäußert und klargemacht, dass die Angelegenheit mit den iranischen Angriffen aus ihrer Sicht zunächst einmal erledigt ist. Außerdem muss man sagen, dass die Angriffe derart angelegt waren, dass Israel dabei letztlich keinen großen Schaden davontragen wird. Bereits die Art der Angriffe war aus meiner Sicht ein Indiz dafür, dass die Iraner keine größere Konfrontation haben wollten. Ihre Intention besteht insbesondere darin, Signale nach Innen setzen zu können. Das stimmt mit der Politik Irans seit dem 7. Oktober überein. Iran möchte, im Moment zumindest, keine große kriegerische Auseinandersetzung.

Auf welche Gründe ist dies zurückzuführen? Hat das Mullah-Regime möglicherweise auch Sorge vor einem abermaligen Aufstand im Inneren, der im Falle eines Krieges eintreten und eine Gefahr für die Autokratie darstellen könnte?

Die iranische Politik seit dem 7. Oktober ist es, eine direkte Auseinandersetzung mit Israel und den USA zu verhindern. Die Hamas wollte die Hisbollah und auch den Iran in einen Krieg gegen Israel hineinziehen. Das ist ihr vor allem deshalb nicht gelungen, weil beide Akteure eine direkte Auseinandersetzung nicht wollen. Auf iranischer Seite dürfte die ausschlaggebende Überlegung sein, dass der Iran den Israelis militärisch nicht viel entgegenzusetzen hat. Teheran spielt meiner Ansicht nach auf Zeit und hofft darauf, eines nicht mehr allzu fernen Tages vor einem Angriff Israels sicher zu sein – nämlich nach einer nuklearen Bewaffnung Irans. Das ist aus meiner Sicht das wichtigste Kalkül. 

Innenpolitische Erwägungen mögen auch eine Rolle spielen. Es hat Ende 2022 erst, wie Sie in ihrer Frage erwähnten, breite Demonstrationen in vielen Landesteilen gegeben. Trotzdem wird die innenpolitische Schwäche des Irans meiner Auffassung nach übertrieben. Man kann diese Demonstrationen natürlich derart lesen, dass das Regime unter Druck ist. Allerdings kann man die Ereignisse auch so lesen, dass das Regime innenpolitischen Widerstand nicht befürchten muss. Die Iraner hatten keine großen Schwierigkeiten, die Demonstrationen niederzuschlagen und gleichzeitig langsam auslaufen zu lassen.

 

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Wie wird der Konflikt zwischen Iran und Israel in der arabischen Welt wahrgenommen?

Man muss zwischen den Regierungen und den Bevölkerungen unterscheiden. Die Regierungen stehen überwiegend auf der Seite Israels. Dies konnte beobachtet werden, als Jordanien ebenfalls iranische Flugkörper abgeschossen hat. Saudi-Arabien hat sich faktisch auch auf die Seite Israels gestellt und seinen Luftraum für amerikanische Kampfflugzeuge geöffnet. Die meisten arabischen Staaten, angeführt von Saudi-Arabien, fürchten den Iran mehr als dass sie Israel ablehnen. Bei der Bevölkerung mag das allerdings anders sein, da dort die Feindseligkeit gegenüber Israel und die Ablehnung des israelischen Krieges im Gazastreifen doch überwiegen. Insgesamt führen die iranischen Angriffe dazu, dass Israel und einige arabische Nachbarn nach der Krise der letzten Monate wieder enger aneinanderrücken.

Zeigt die Unterstützung mancher arabischer Länder wie Jordanien und Saudi-Arabien in den vergangenen Tagen für Israel nicht auch, dass der Konflikt mit der schiitischen Führungsmacht Iran in Wahrheit als deutlich wichtiger empfunden wird als die Palästinenser-Frage?

Es gab seitens vieler arabischen Regierungen immer wieder Signale, dass sie große Sympathien haben für den Kampf der Israelis gegen die Hamas. Die Regierungen in Kairo und Riad sind keine Freunde der Muslimbruderschaft und auch keine Freunde der Hamas – die der palästinensische Ableger dieser Organisation ist. Beide Regierungen würden es begrüßen, wenn die Hamas zerschlagen wird. Das konnten sie in der Stimmung nach dem 7. Oktober allerdings nicht derart offen sagen, wie sie das vielleicht gerne getan hätten. In der jetzigen Situation, in der es nicht mehr nur um die Palästinenser geht, sondern auch um die Konkurrenz mit dem Iran, wird sehr deutlich, dass Israel und Saudi-Arabien mit Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit einigen Abstrichen auch Ägypten ganz ähnliche Interessen haben.

Wie nehmen Sie die Reaktion der Bundesregierung wahr? Wird Deutschland im Nahen Osten noch als relevanter Player betrachtet?

Ich habe wahrgenommen, dass die deutsche Reaktion und die Reaktionen vieler anderer europäischer Staaten sehr routiniert und mechanisch daherkamen. Es wurde wie so oft vor einer weiteren Eskalation gewarnt. Ich glaube, dass es der Bundesrepublik und den Europäern insgesamt an genauen Zielvorstellungen und Strategien für den Nahen Osten mangelt. Immerhin scheint die Bundesregierung insgesamt der Meinung zu sein, dass die Hamas zerschlagen werden sollte. Aber unsere Ziele in Bezug auf die Hisbollah, den Iran und eine nukleare Bewaffnung des Irans sind mir in den letzten Jahren nicht mehr klar. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung etwas mehr Substanz zu bieten hätte als lediglich eine Warnung vor einer Eskalation. Deutschland ist geopolitisch im Nahen Osten kein Akteur.

Der israelische Außenminister Katz wirbt unter seinen westlichen Verbündeten für eine „diplomatische Attacke“ gegen den Iran. Welche Schritte würden Sie Deutschland und den europäischen Staaten empfehlen, die sie als Reaktion auf den Beschuss Israels gegen den Iran unternehmen könnten?

Deutschland sollte gemeinsam mit seinen Verbündeten im Westen und im Nahen Osten auf eine konsequente Eindämmung des Irans setzen. Die Diskussion könnte man mit einigen symbolischen Schritten gegenüber dem Iran einleiten. Es gibt in Deutschland und in Europa die Debatte über die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisationen. Das halte ich für falsch, da die Revolutionsgarden reguläres Militär sind und keine terroristische Organisation. Aber man könnte die Revolutionsgarden auf andere Sanktionslisten setzen und weitere Sanktionen gegen führende Revolutionsgardisten verhängen.

Auch könnte die Quds-Brigaden der Revolutionsgarden auf die europäische Terrorliste setzen. Das wäre ein ebenfalls ein weitgehender Schritt, da sie auch zum iranischen Militär gehören, aber sie sind derjenige Teil der Revolutionsgarden, welche die Hisbollah und andere terroristische Akteure in der Region aufbauen, finanziell unterstützen und ausbilden. Auch die Huthi-Rebellen gehören nach ihren Angriffen auf die Schifffahrt im Roten Meer auf die Terrorlisten. Das wäre ein erstes Zeichen aus meiner Sicht, in gewisser Weise ein Fanal, dass die Europäer bereit sind, das bisherige Appeasement Irans zu beenden und stattdessen auf eine aggressivere Eindämmungspolitik zu setzen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

Guido Steinberg im Gespräch mit Alexander Marguier:
„Die Bundesrepublik hat überhaupt kein politisches Gewicht“ 

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