Stimmen iranischer Frauen in Deutschland - „Redet mit uns endlich über Freiheit und nicht über Islamophobie“

Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Amini gehen im Iran Tausende aus Protest gegen das Regime auf die Straßen. Auch iranische Frauen in Deutschland durchleben zurzeit eine tiefe Trauer und große Wut. Wir geben vier von ihnen eine Stimme gegen den Terror der islamistischen Diktatur, die Doppelmoral des westlichen Feminismus und für ihren Kampf um Freiheit.

Eine iranische Frau demonstriert in Frankfurt am Main mit dem Bildnis der verstorben Mahsa Amini. / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Im Iran gehen Tausende Menschen nach dem Tod einer jungen Frau in Polizeigewahrsam auf die Straßen. In der Nacht zum Donnerstag gab es laut dpa erneut gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Auf Videos, die nicht verifiziert werden konnten, wird auch von Schüssen mit scharfer Munition auf die Proteste berichtet. Gleichzeitig wurde das Internet massiv eingeschränkt und insbesondere mobile Netzwerke weitgehend abgeschaltet.

Auch iranische Frauen in Deutschland durchleben zurzeit eine tiefe Trauer und große Wut nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie haben Verwandte, Freunde und Bekannte im Iran und das unterdrückerische Regime oft selbst erlebt. Menschen werden verhaftet, gefoltert oder ins Gefängnis gesperrt. Manche verschwinden für immer. Vier Iranerinnen, die in Deutschland leben, lassen wir in diesem Beitrag zu Wort kommen, damit auch ihre Stimmen gehört werden. Ihre Namen wurden von der Redaktion geändert, da sie sich vor Verfolgungen durch den iranischen Geheimdienst fürchten.  
 

„Wir sind seit unserem ersten Tag an Gefangene“

Der größte Krieg für den Feminismus findet momentan im Iran statt. Nicht in Deutschland, nicht in Frankreich und auch nicht in den USA. Das grundlegendste Recht, die Wahl der eigenen Kleidung, wurde den iranischen Frauen bereits vor 40 Jahren genommen. Unsere Heldin Mahsa musste in der letzten Woche dafür sogar mit ihrem jungen, wertvollen Leben bezahlen. Die Menschen werden im Iran als Muslime geboren, ob sie wollen oder nicht. Frauen werden in meinem Heimatland immer auf ihr Geschlecht reduziert. Wir haben keine Freiheit. Wir sind seit unserem ersten Tag an Gefangene der sogenannten „Islamischen Republik“.

Als Mädchen kann man nicht einfach zur Schule gehen, wenn man keinen Hidschab trägt. Die Schulen für Jungen und Mädchen sind strikt getrennt und Männer dürfen nicht in Mädchenschulen unterrichten. Wir Frauen dürfen im Iran nicht ohne die Zustimmung unserer Männer einen Reisepass beantragen. Wir dürfen nicht ohne die Erlaubnis unserer Väter heiraten. Alles Freiheiten, die für deutsche Frauen selbstverständlich sind. Für uns iranische Frauen jedoch nicht.

Mahsa Amini (r.) mit einer Freundin / picture alliance

Wir Frauen haben überall auf der Welt den gleichen Sauerstoff um uns herum, aber nur ihr im Westen dürft ihn frei atmen. Uns iranischen Frauen stockt der Atem, wir leben seit unserer Geburt in Ohnmacht.

Was ist so verkehrt daran, endlich wieder in Freiheit leben zu wollen, als Frau wahrgenommen und gesehen zu werden? Es geht darum, dass wir in unserem eigenen Land wieder auf die Straße gehen können, ohne Angst davor haben zu müssen, erschossen zu werden.

Die europäischen Debatten über den Islam sind grundlegend falsch. Der Hidschab ist ein Symbol der feigen Unterdrückung. Mit eurem selbstgerechten Einsatz gegen die vermeintliche Islamophobie unterstützt ihr nur die Sklavenhalter und Peiniger in unserer Heimat. Die bärtigen Hassprediger, die das Leben und den Stolz der Frauen vernichten möchten.

Wir möchten nichts anderes als die Schönheit des Windes in unseren Nacken spüren können. Doch das geht mit Hidschab nicht. Das geht nicht mit dem Islam.

Doch wenn ihr aus dem Westen über die Diktatur im Iran und unsere verstorbene Heldin Mahsa weiterhin schweigt, solltet ihr auch nie wieder über Frauenrechte sprechen. Denn eines verspreche ich: Den Blick in den Spiegel werdet ihr nicht ertragen können.

Liebe Deutsche, bitte seht uns, helft uns, versteht unseren Schmerz. Denn es könnte der Schmerz einer jeden Frau sein. Es könnte auch euer Schmerz sein. Es könnte der letzte Schmerz eurer ermordeten Töchter sein.

Arezoo, 22 Jahre alt, Studentin

 

„Hat dir nicht der Islam das schöne Leben genommen?“

Es ist schon ein paar Tage her, dass sie Mahsa getötet haben. Ich kann nichts anderes tun, als jeden Tag die Nachrichten zu schauen. Ich bin weit weg vom Iran und weiß nicht, was ich hier tun soll. Ich fühle mich wütend und einsam. Seit vielen Jahren will die Islamische Republik uns Frauen nicht sehen und hier im Westen hat man Augen und Ohren verschlossen und geschwiegen. Man will die Unterdrückung der Frauen im Iran nicht sehen.

Mahsa Amini im Krankenhaus / picture alliance

Ich schließe meine Augen und denke an dich, ich spreche mit dir, Mahsa. Die 22-jährige Mahsa. Ich frage mich oft, warum sie dich auf diese Weise getötet haben? Für welches Verbrechen? Und warum spricht niemand über dich? Mahsa, was ist der Unterschied zwischen unseren Frauen und ihren Frauen? Was ist der Unterschied zwischen dem Tod unserer Frauen und dem Tod ihrer Frauen?

Aber ich weiß nicht mehr, was die Freiheit der Frau bedeutet. Ich öffne meine Augen und schaue wieder durch die deutschen Nachrichten und suche nach deinem Namen. Auch von meinen nicht-iranischen Freunden gibt es keine Nachrichten. Keiner fragt, was passiert ist, keiner sagt etwas.

Aber in der Zwischenzeit sehe ich Instagram-Accounts, deren Anliegen es ist, sexistische Wörter zu korrigieren, die gegen Frauen gerichtet sind. Aber was ist schlimmer als der Mord an dir? Warum schweigen sie? Ich scrolle weiter.

Ich sehe das Titelbild eines Magazins, das über Islamophobie im Westen berichtet. Aber hat dir nicht der Islam das schöne Leben genommen? Was bringt es, wenn du stirbst, aber man deinen Namen nicht nennen und nicht sagen möchte, was mit dir passiert ist? Was ist wertvoller als dein junges Leben? Auch darauf habe ich keine Antwort, ich kann es nicht verstehen.

Ich runzle die Stirn und schließe wieder und wieder die Augen. Ich denke an dein langes schwarzes Haar. Mahsa, wann werden diese dunklen Nächte vorüber sein?

Leyla, 27 Jahre alt, Ärztin

 

„Der Islam und seine Regeln rauben uns das Leben“

Deutschland ist ein freies und weltoffenes Land. Die Menschenrechte gelten für alle und die  Bürger können so leben, wie sie wollen. In Deutschland wird über Menschenrechte und Frauenrechte täglich gesprochen. Auch über meinen Körper, mein wertvolles Recht. Das liebe und schätze ich an Deutschland zutiefst.

Ich bin froh in Deutschland zu leben. Doch mein verwundetes Herz wird immer meinem Heimatland Iran gehören. Im Iran werden die Frauen aber wegen der Zwangsverschleierung in der Öffentlichkeit festgehalten, bestraft, gefoltert und ermordet. Das ist, was wir iranischen Frauen aufgrund der islamischen Diktatur und den religiösen Regeln jeden Tag ertragen müssen.

 

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Zurzeit geht es in unserem Kampf gar nicht um Islamophobie, worüber in den westlichen Ländern so oft ahnungslos und unwissend diskutiert wird. In Wirklichkeit geht es um unser tiefes, lebenslanges Trauma mit dem Islam. Der Islam und seine Regeln rauben uns jeden Tag mehr das Leben. Wenn ihr uns wirklich helfen möchtet, redet mit uns endlich über Freiheit und nicht über die vermeintliche Islamophobie. Denn auch wir haben es verdient, frei zu leben. Wir möchten unser Leben endlich selbst in die Hand nehmen und bestimmen. All das, was ihr längst habt. Ist das zu viel verlangt?

Saba, 24 Jahre alt, Studentin

 

„Meine Seele wird sich niemals von der korrupten Diktatur befreien können“

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Dieses Thema löst bei mir eine Menge aus. Es macht mich gleichzeitig traurig, wütend und deprimiert. Ich erinnere mich, dass ich die Universität in Teheran besuchte, die weniger konservativ war als die meisten anderen Universitäten. Eines Tages ging ich nach dem Unterricht mit einer Freundin in ein Café, das man von außen nicht einsehen konnte. Unsere Körper waren nicht vollständig verschleiert.

Eine iranische Demonstrantin / picture alliance

Plötzlich kam ein verdächtiger Lieferwagen. Ich erinnere mich, dass wir uns vor lauter Angst in einem Laden versteckten. Als sie uns entdeckten, wollten die Polizisten uns in den Wagen zerren. Aber ich habe mich geweigert und 45 Minuten flehend gebettelt, damit sie mich verschonen. Das ist nur eine dieser täglichen Erfahrungen, bei der ich Glück hatte, dass die Moralpolizei mich nicht mitgenommen hat. Stell dir vor, wie würdelos ich mich fühlte, einen Fremden anbetteln zu müssen. Und das nur, weil mein Mantel zu kurz war.

Jede iranische Frau kann voller Wut und Schmerz tausende solcher Geschichten erzählen. Sie sind unser iranischer Alltag, unsere finstere islamische Realität. Wir alle könnten die ermordete Mahsa Amini sein. Wir alle könnten unsere letzten Sekunden als junge Frau auf der Intensivstation eines Krankenhauses verbringen. Wir werden als Frauen in einer islamischen Diktatur lediglich geduldet, wertgeschätzt und geliebt allerdings nicht. Das verbietet unser Geschlecht.

Obwohl ich nach Deutschland gekommen bin und auch hier arbeite, werde ich nicht als gleichwertige Frau betrachtet. Das tut weh, um ehrlich zu sein. Warum kämpft ihr nicht mit uns für die gleichen Rechte, die für euch selbstverständlich sind? Warum behandelt ihr uns nicht als wären wir eine von euch? Nur das bisschen verlangen wir. Aber es bedeutet uns die ganze Welt.

Meine Tage vergehen mit Gedanken an die getötete Mahsa Amini, an mein tieftrauriges Heimatland und meine geliebte Familie dort. Ich kann nicht aufhören, an all die unschuldigen Mädchen im Iran zu denken. Ich dachte, wenn ich ins Ausland gehe, fühle ich mich endlich frei. Doch ich werde immer eine erniedrigte Frau bleiben. Eine Frau des islamischen Diktats. Meine Seele wird sich niemals befreien können von dieser korrupten Diktatur, die uns Frauen jeden Tag demütigt, schlägt oder sogar tötet.

Rojin, 29 Jahre alt, Künstlerin

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