Innenministerin Priti Patel - Großbritanniens neue eiserne Lady

Ob Brexit oder Migration, die britische Innenministerin Priti Patel macht seit zehn Jahren mit harten politischen Positionen Politik. Nun will sie Julian Assange an die USA ausliefern lassen und Flüchtlinge künftig per Flugzeug auf Nimmerwiedersehen nach Ruanda schicken. Das und mehr bringt ihr aber nicht nur Kritik ein. Die konservative Parteibasis, aber auch so mancher Labour-Wähler schätzt sie dafür.

Immer am rechten Rand und trotzdem sogar von manchem Labour-Wähler geschätzt: Priti Patel / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Es ist nicht immer angenehm, Priti Patel zu sein. Die britische Innenministerin gilt als Hardlinerin in Boris Johnsons Brexit-Kabinett und wird oft auf der Straße und im Internet für ihre harten Positionen angegriffen. Als sie aber am 16. Juni ins nordenglische Städtchen Wakefield fuhr, um dort im Wahlkampf zu helfen, traf sie laut Daily Telegraph auf überraschend viel Sympathie für ihre politischen Positionen. „Machen Sie weiter so!“, rief ihr jemand zu. „Ich bin dabei! Es ist unfassbar, was los ist!“, antwortete Patel.

Dabei ist Wakefield ein Wahlkreis, in dem traditionell die Labour-Partei gewinnt. Erst 2019 stimmte dieser Ziegelstein in der Roten Mauer in Nordengland für Boris Johnsons Konservative. Am 23. Juni muss dort jetzt außertourlich gewählt werden, weil der bisherige Abgeordnete Imran Ahmad Khan im Mai zurücktreten musste, nachdem er wegen sexueller Belästigung eines Jungen verurteilt worden war. Dem konservativen Nadeem Achmed droht allen Umfragen nach eine harsche Niederlage.

Dass Patel als Wahlhelferin für den konservativen Kandidaten eingespannt wurde, spricht Bände: Teile der Arbeiterbewegung sympathisieren mit ihren hart rechten Positionen in der Immigrationspolitik. Sie hat sich dafür seit ihrem Eintritt als Innenministerin in Johnsons Kabinett im Juli 2019 einen Namen gemacht.

Vom Zeitungsshop ins Regierungskabinett

Das war ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Die 50-jährige Innenministerin wurde als Tochter indischer Einwanderer aus Uganda geboren. Die Patels sind Hindus. Sie wuchs in Hertfordshire auf, ihre Eltern besaßen einen Zeitungsladen. Als junge Frau fühlte sie sich zwar von Margaret Thatcher inspiriert, begann aber ihre politische Karriere erst bei der Referendum Party, die sich schon Anfang der 90er-Jahre für den Austritt aus der Europäischen Union aussprach.

 

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Nach ihrem Studium an der Universität Essex arbeitete sie zuerst einige Jahre als PR-Beraterin. 1997 wechselte sie zu den Konservativen und arbeitete im Presseteam von William Hague. Dann wurde David Cameron auf ihr politisches Talent aufmerksam, empfahl sie als Kandidatin für einen Parlamentssitz, den sie 2010 prompt gewann und 2015, 2017 und 2019 erfolgreich verteidigte. In Camerons Kabinett zog sie als Staatssekretärin für Arbeit ein.

Lebenslange Brexitierin

Schon damals galt sie als sozial konservativ. 2011 trat sie in einer Fernsehdebatte für die Todesstrafe ein. 2012 publizierte sie mit einigen ihrer jetzigen Kabinettskollegen das Buch „Britannia unchained“, in dem sie eine Abschlankung des Wohlfahrtsstaats propagierte. Man zählte sie zur Generation der neuen Rechten in der Tory-Partei. Doch die große Zeit der lebenslangen EU-Skeptikerin begann mit dem Brexit-Referendum. Patel wurde 2015 eine der führenden Stimmen in der Vote-Leave-Kampagne: „Ich war schon mein ganzes Leben Brexitierin“, sagt sie heute.

Unter Theresa May avancierte Patel zur Ministerin für internationale Entwicklung. Einen Posten, den sie mit großem Enthusiasmus antrat und schnell wieder verlor. Sie brach den „ministeriellen Code“ – die Benimmregeln für Regierungsmitglieder – weil sie Treffen mit israelischen Ministern nicht gemeldet hatte. Sie musste zurücktreten. Doch Boris Johnson holte die loyale Ultrabrexitierin dann im Juli 2019 als Innenministerin in sein Kabinett – als eine der fünf wichtigsten Ministerinnen ist sie eine treibende Kraft hinter dem prononciert rechten Kurs der Regierung.

Assange soll in die USA ausgeliefert werden

Vorigen Freitag erregte sie international mit der Entscheidung Aufmerksamkeit, Julian Assange nach Amerika ausliefern zu lassen. Der kämpft seit 2012 gegen seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten. Die von ihm mitgegründete Plattform Wikileaks ist auf die Publikation von anonym geleakten Dokumenten spezialisiert. 2010 hatte IT-Spezialistin Chelsea Manning an Assange Diplomatendepeschen weitergegeben. Damals hieß Chelsea Manning noch Bradley, inzwischen hat sie eine Geschlechtsumwandlung vollzogen.

Die amerikanische Regierung sieht in Assange nicht einen der absoluten Transparenz verschriebenen Aktivisten und Journalisten, sondern schlicht einen Verbrecher, der durch seine Veröffentlichungen die Sicherheit von hunderten Mitarbeitern des CIA gefährdet haben soll. Assange soll in 18 Punkten angeklagt werden, einer davon betrifft den Espionage Act. Für die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

Patel bekennt einmal mehr Farbe

Menschenrechtsorganisationen in Europa und Amerika sind entsetzt: „Die USA müssen alle Anklagepunkte gegen Assange fallenlassen“, fordert Amnesty International in einer Petition. Die Presse- und Meinungsfreiheit sei gefährdet, weil investigativer Journalismus damit kriminalisiert werde. Assange selbst drohe ein unfairer Prozess – die amerikanische Öffentlichkeit sei seit Jahren gegen ihn beeinflusst worden.

Priti Patel konnte das nicht erkennen, als sie die Lage vor ihrer Entscheidung prüfen ließ. „Die britischen Gerichte halten es nicht für ungerecht, Assange auszuliefern“, heisst es in einer Stellungnahme der Innenministerin. „Es widerspricht auch nicht seinen Menschenrechten – sein Recht auf ein faires Verfahren ist nicht gefährdet, auch ist nicht anzunehmen, dass er in den USA schlecht behandelt werden könnte, was seine Gesundheit beeinträchtigen könnte.“

Patel bekennt damit einmal mehr Farbe: Als Innenministerin ist ihr Geheimhaltung von klassifizierten Dokumenten wichtiger als die Meinungsfreiheit für Whistleblower. Außerdem liegt dem Kabinett Johnson an freundlichen Beziehungen mit Washington. Besonders jetzt, wo Brüssel nicht mehr die erste Adresse für Allianzen darstellt. Für Julian Assange heißt das: Seine Anwälte wollen zwar Berufung einlegen, aber sie haben nur vierzehn Tage Zeit. Die Aussicht auf Erfolg ist nicht sehr groß.

Asylwerber ohne Rückflugticket nach Ruanda

Priti Patel stieß jüngst auch mit einer anderen Initiative auf deklarierten Widerstand. Seit Großbritannien die EU 2020 verlassen hat, ist die Kooperation zwischen Franzosen und Briten hinsichtlich der Kontrolle des Schlepperwesens im Kanal weitaus schwieriger geworden. 2022 sind bereits 10.000 Migrantinnen und Migranten mit Schlauchbooten von Frankreich aus an der englischen Küste gelandet.

Schon 2020 hatte die Innenministerin die Idee, die Boote mit Wellenmaschinen zurück aufs offene Meer zu treiben. Da dies gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstieß, erfand sie kürzlich eine neue Initiative: Asylwerber sollen nach Ruanda ausgeflogen werden und müssen ihre Anträge künftig von dort aus stellen. Die britische Regierung hat mit der Regierung in Kigali eine Vereinbarung getroffen – und dafür 140 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Kosten für einen Charterflug für die Abschiebung der Flüchtlinge in das afrikanische Land liegen bei 350.000 Pfund.

Der Erzbischof von Canterbury Justin Welby, Labour-Chef Keir Starmer und Expremierministerin Theresa May hielten mit ihrer Kritik an Patels Plan nicht zurück: Die Initiative sei laut Starmer „unethisch“, die Regierung wolle von der Steigerung der Lebenserhaltungskosten ablenken. Knapp vor dem ersten Flug urteilte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass „ein Risiko für bleibenden Schaden“ bestünde, sollte der irakische Asylwerber an Bord der Maschine tatsächlich nach Kigali geflogen werden. Alle anderen Flüchtlinge hatte man schon vorher nach Einsprüchen von Anwälten wieder aus dem Flugzeug geholt. Priti Patel sagte daraufhin nicht etwa die umstrittene Asylinitiative ab: „Illegale Immigration ist nicht zu entschuldigen“, ließ sie verlauten. Sie überlegte viel mehr, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten. Das haben bisher nur Russland und Belarus getan.

Harte Positionen, harsche Chefin

Auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fasst Patel nicht mit Samthandschuhen an. Im November 2020 kam eine Untersuchung des Cabinet Office, dem Premierminister-Büro, zu dem Schluss, Priti Patel habe den ministeriellen Code in drei verschiedenen Regierungsabteilungen gebrochen. Als Chefin habe sie Mitarbeiter schlecht behandelt, sie unter Druck gesetzt und beschimpft. Mehrere Rücktritte waren die Folge. Allerdings nicht von Patel selbst. Einer ihrer Kabinettchefs warf das Handtuch, klagte gegen die Regierung und wurde später mit 400.000 Euro abgefunden. Patel selbst wies alle Vorwürfe zurück: „Ich wollt niemanden kränken.“ Boris Johnson stand ihr zur Seite und drückte ihr sein vollstes Vertrauen aus.  

In der Parteispitze selbst wird sie wegen ihrer harten politischen Positionen und ihres harschen persönlichen Stils nicht als potentielle Nachfolgerin von Boris Johnson gehandelt. Innerhalb des Kabinetts haben Außenministerin Liz Truss, Verteidigungsminister Ben Wallace und Finanzminister Rishi Sunak mehr Gewicht. Ihre persönlichen Umfragewerte bei Tory-Mitgliedern haben sich allerdings in diesem Frühsommer stark verbessert. Lag sie im März in der Skala der Webseite Conservative Home noch ganz am Ende der Beliebtheitsskala, hat sie es jetzt ins Mittelfeld geschafft. Grund dafür ist ihre Ruanda-Initiative. Der sehr konservativen Parteibasis gefällt die Idee, Asylwerber auf Nimmerwiedersehen nach Afrika auszufliegen.

 

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