Großbritanniens neue Regierungschefin - Von Thatcher zu Truss

Liz Truss wird die dritte Premierministerin Großbritanniens nach Margaret Thatcher und Theresa May. Tritt die bisherige Außenministerin in die Fußstapfen der Eisernen Lady oder in jene der glücklosen Übergangspremierministerin?

Liz Truss bei der Bekanntgabe ihres Vorwahlsieges am Montag in London / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Die glücklose Premierministerin Theresa May, die sich von 2016 bis 2019 am Brexit abarbeitete und daran scheiterte, erwähnt Liz Truss nie. Margaret Thatcher dagegen ist das erklärte Vorbild der neuen britischen Regierungschefin.

Die legendäre Iron Lady, die von 1979 bis 1990 lustvoll gegen Gewerkschaften kämpfte und Britannien privatisierte, wird in konservativen Kreisen nach wie vor sehr verehrt. Ob aus tief empfundener Liebe oder politischem Kalkül - Liz Truss inszeniert sich als Eiserne Lady 2.0 und kleidet sich sogar wie ihr Vorbild.

Zu einer Leadership-Debatte mit den anderen Kandidaten Mitte Juli erschien sie wie einst Margaret Thatcher 1979 in weißer Seidenbluse mit großer Seitenschleife und schwarzem Blazer. Truss greift auch ohne Scheu zu Kälbern, Panzern oder Pelzmützen am Roten Platz in Moskau, wenn sie damit Nähe zu ihrem Vorbild Maggie signalisieren kann.

Der Thatcherismus passt ihr auch inhaltlich. 1982 schickte Margaret Thatcher britische Kriegsschiffe ans andere Ende der Welt. Auf den Falkland-Inseln, die vom britischen Empire übriggeblieben waren, drohte die Übernahme durch Argentinien. Der kleine Krieg außerhalb des Landes half, ihre innenpolitischen Querelen aus den Schlagzeilen zu verdrängen. Thatcher gewann. In ihren Memoiren „Downing Street Years“ schrieb sie ein paar Jahre später: „Wenn man im Krieg ist, kann man sein Denken nicht von Schwierigkeiten dominieren lassen. Da brauchst du einen eisernen Willen.“

Eiserne Lady 2.0

Härte im Kriegsfall - an diesen Rat der Iron Lady hält sich Liz Truss heute gerne. Wenn sie als Außenministerin eines mächtigen Nato-Staates eindeutig für die Ukraine und gegen Russland Stellung bezieht, dann weiß sie das gesamte Vereinigte Königreich hinter sich. Auch der bisherige Regierungschef Boris Johnson stand dem ukrainischen Präsidenten Wolodimyr Selenskyj seit dem ersten Invasionstag am 24. Februar 2022 mit militärischer und diplomatischer Hilfe zur Seite. Die britische Regierung gibt an, dass sie bisher 4,5 Milliarden Euro für ökonomische und militärische Hilfe für die Ukraine ausgegeben hat.

Das klare Bekenntnis zum westlichen Militärbündnis wird britischen Politikern - und nicht nur den Konservativen - mit dem ersten Pint im Pub mitgegeben. Liz Truss ist da keine Ausnahme. Die Sanktionen, die Waffenlieferungen, die harte Linie gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin – all das trägt die Frau, die Britanniens neue eiserne Lady werden will, ganz selbstverständlich mit.

Schon bevor Putin über die Ukraine herfiel, ließ sie ihm bei einem Besuch in Moskau Anfang Februar durch ihren Amtskollegen Sergej Lawrow ausrichten: „Bei einem Einmarsch in der Ukraine werden die Konsequenzen schwerwiegend sein.“

Blick auf die Stammwähler

Der frauenfeindliche Machismo, mit dem Lawrow und Putin Frauen gerne behandeln und mit dem sie sich in Moskau konfrontiert sah, schien sie dabei nicht weiter zu kümmern. Liz Truss wird eine dicke Haut nachgesagt. Obwohl Lawrow sie aufs Glatteis führte und absichtlich in irreführende territoriale Diskussionen verwickelte, zeigte sie sich anschließend recht locker: „Sergej Lawrow und ich hatten ein sehr angenehmes Gespräch, er war sehr höflich“, sagte sie direkt nach ihrer Rückkehr aus Moskau zu Cicero. Gefühlspegel, zumindest nach außen hin: Null.

Obwohl sie eine anstrengende Reise ohne nennenswerten Erfolg hinter sich hatte, wirkte sie bei einem Treffen mit EU-Medien erstaunlich gelassen. Anders als in ihren offiziell einstudierten Reden, in denen sie oft unsicher und kantig wirkt, muss sie sich in kleinem Rahmen nicht bemühen, aus dem großen Schatten der Vorgänger und Vorgängerinnen zu treten. Vielleicht sieht sie die internationale Bühne auch nicht als entscheidend an. Wer Downing Street im Blick hat, muss schließlich zu Hause in Mittelengland punkten.

Kein Poltergeist wie Johnson

Was ihr zu fehlen scheint, ist eine weit verbreitete Eigenschaft in der britischen Politelite, die sich vielleicht aus einem Minderwertigkeitskomplex speist: Arroganz. Diese hinterhältige Idee, etwas Besseres zu sein, tragen viele Briten noch in sich. Großbritannien war schließlich bis zum Ende des britischen Empires in den 50er Jahren Weltmacht. Seit dem Brexit ist es nicht mal in der EU mehr eines der großen, einflussreichen Mitglieder.

Die traurige Realität einer mittleren Macht in Europa kann man schon mit Arroganz und Ignoranz zu kompensieren versuchen. Bei Boris Johnson hat man das in donnernden Referenzen an einstige Größe während seiner Brexit-Kampagne und später als Premier oft erlebt.

Genützt hat ihm sein Charisma und seine Redekunst am Ende wenig. Boris Johnson wurde am 7. Juli wegen Charakterschwäche und größeren und kleineren Skandalen rund um Covid-Parties und Korruptionsaffären von den eigenen Abgeordneten gestürzt. Seine Nachfolgerin will jetzt vermitteln, was dem ehemaligen Volksliebling am Ende fehlte:  Disziplin, Durchhaltefähigkeit und Tatkraft.

Von 0.3 Prozent der Briten gewählt

All das wird sie auch brauchen. In Britannien muss es nicht zu Neuwahlen kommen, wenn ein Premierminister von den eigenen Abgeordneten verjagt wird. Nach dem Rücktritt des einstigen Volkslieblings gab es statt nationaler Wahlen einen Leadership-Contest innerhalb der konservativen Partei. So kamen auch Theresa May 2016 und Boris Johnson 2019 an die Macht. Liz Truss wurde jetzt nicht von allen Briten, sondern bloß von 172.437 konservativen Parteimitgliedern zur Chefin der Tories und der Regierung gekürt. Sie erhielt 81.326 Stimmen, ihr Konkurrent Rishi Sunak, der moderatere Ex-Finanzminister, bekam 60.399. Das sind nicht mal ein Prozent der Briten.
 

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Demokratisch gesehen steht Truss‘ Herrschaft deshalb auf tönernen Füßen. Inhaltlich auch. Den Sommer hat sie damit verbracht, ihren Wählern das Blaue vom Himmel zu versprechen. „Keine neue Steuern“, war ihre Kernaussage. Ob sie die mitten in einer schweren Wirtschaftskrise durchhalten kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

Bürgerliche Normalität als Schlüssel zum Erfolg

Liz Truss setzt den englischen Populismus ihres Vorgängers fort, allerdings fehlt ihr das Charisma. Dafür setzt sie auf mittelenglische Authentizität. Liz Truss ist Misses Middleclass. Die 47-jährige Engländerin, die in Leeds aufgewachsen ist, hat zwei Töchter und ist verheiratet. Diese bürgerliche Normalität ist ein Schlüssel zu ihrem Erfolg. Liz Truss strahlt aus, was auch Margaret Thatcher ins politische Geschäft mitbrachte und was später zum Titel einer ihrer Biographien wurde: Beide sind für ihre Wähler und Wählerinnen „One of Us“.

Der Vater von Liz Truss war Mathematikprofessor an der Universität von Leeds, die Mutter Krankenschwester und Aktivistin für die Abschaffung von Atomwaffen. Die Tochter entwickelte in dem sehr politischen Elternhaus zwar Sinn für Politik, allerdings positionierte sie sich rechts von den progressiven Eltern. Zuerst ging Mary Liz, die schon früh ihren Mittelnamen dem Vornamen vorzog, zu den Liberaldemokraten und später zu den Konservativen. Den Vater grämte das. Die Mutter aber trat sogar als Wahlhelferin auf.

Politischer Wankelmut auch in EU-Fragen

Woran sie wirklich glaubt, ist dank ihres politischen Wankelmuts schwer zu sagen – außer man nimmt ihre Worte von heute ernst. Im Juli 2022 schwor sie, dass sie als Regierungschefin bis zum Ende des Jahres 2023 Tausende Gesetze, die Britannien aus der EU-Ära geerbt hat, aus dem britischen Gesetzbüchern streichen lassen werde, sollten sie wachstumsfeindlich sein. Ob das erfolgversprechend ist? Je weiter sich die Briten von EU-Regeln und Standards entfernen, umso mehr erschwert sich der Handel zwischen der Brexit-Insel und dem bisher größten Handelspartner.

In der Hitze des Gefechtes um Downing Street erschien im Wahlkampf jedes Mittel recht zu sein. Wie ihr Vorbild Maggie entwickelte sich Liz Truss in EU-Fragen von einer Befürworterin zur harten Kritikerin. Thatcher stimmte 1975 für den Beitritt, für die Errichtung des Binnenmarktes – dann aber gegen die Pläne für die gemeinsame Währung und weitere politische Integration.

Mitten in der Krise an die Macht

Margaret Thatcher im Sommer 2022 als Vorbild heranzuziehen - mit ihrem Sparprogramm, unter dem die britischen Arbeiter in den 80er Jahren stöhnten - ist ein gefährliches politisches Manöver. Die Briten kämpfen auch ohne eine neue eiserne Lady bereits mit gestiegenen Lebenskosten. Die Energiepreise explodieren, die Gehälter schrumpfen in der Inflation, Millionen Menschen, darunter 500.000 Kindern, droht im Winter nicht nur Kälte, sondern Hunger.

Doch weitere Austerität ist das Gebot der Stunde. Truss verspricht ein Wachstum von 2,5 Prozent, das sie mit Steuersenkungen erreichen will. Von den Steuersenkungen profitieren die reicheren Briten – und damit ihre Wähler. Beihilfen interessieren sie weniger. Denn die gehen an die Ärmeren im Land - und die werden bei den nächsten regulären Wahlen 2024 eher Keir Starmer von der Labour-Partei wählen.

Wegen dieser Schwächen, aber auch der enormen Anforderungen, könnte Liz Truss am Ende nicht als neue eiserne Lady, sondern als Übergangspremierministerin wie Theresa May in die britischen Geschichtsbücher eingehen. Die konservative Partei ist nun auch schon seit 2010 an der Macht, ein Wechsel selbst in einem konservativen Land wie dem Vereinigten Königreich ist deshalb nicht undenkbar.

Handkuss für die Queen

Bereits jetzt wird Liz Truss von Hohn und Spott verfolgt. Ihre Kritiker werden nicht müde, ihre oft holprigen Medienauftritte auf  „Trussismen“ abzuklopfen. Zum Twitter-Hit entwickelte sich zum Beispiel die Tatsache, dass sie den irischen Ausdruck für Regierungschef nicht richtig aussprechen konnte und den irischen Taoiseach  Micheál Martin als Teasock – als Teesocke – bezeichnete.

Nach der Kür durch die Parteimitglieder muss sich die neue Tory-Chefin noch den Segen der 96-jährigen Queen holen, die sich gerade auf ihrem schottischen Feriensitz Balmoral ausruht. Erst dann darf sie 56. Regierungschefin des Vereinigten Königreichs werden.

Wenn sie der Monarchin am Dienstag die Hand küsst, wird gleich noch ein anderes Video aus dem Jahre 1994 auf Twitter die Runde machen. Liz Truss, damals noch bei den Liberaldemokraten, erklärte damals beim Parteitag: „Es kann nicht sein, dass nur eine Familie zum Regieren geboren wird“. Die Monarchie, so forderte sie damals, gehöre endlich abgeschafft.

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