Großbritanniens Asylreform - Sunaks Vabanquespiel

Großbritanniens Unterhaus hat einem umstrittenen neuen Asylgesetz im ersten Entwurf zugestimmt. Wer unerwünscht einreist, soll zukünftig einen Monat lang interniert und abgeschoben werden können. Neben Kritik gibt es auch Lob – nicht nur von rechts außen.

Premier Sunak/ dpa
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Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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„Bravo“, „Gratulation“, „hart aber fair!“ Deutschlands AfD, Frankreichs vormaliger Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour und der Vorsitzende der italienischen Lega Matteo Salvini waren sich einig, als Premierminister Rishi Sunak diesen Monat den Inhalt des „Gesetzes zur illegalen Migration“ vorstellte, mit dem Großbritannien künftig einen ständig wachsenden Zustrom von Flüchtlingen stoppen will. Europas Rechtspopulisten sehen ihre Forderungen nach einem drastischen Kurswechsel im Umgang mit Flüchtlingen in der neuen britischen Regierungspolitik verwirklicht.

Das Unterhaus des Parlaments berät in dieser Woche Sunaks Vorlage, die das Recht auf Asyl all jenen verweigert, die mit Booten über den Ärmelkanal England erreichen. Wer die Landesgrenze ohne Erlaubnis übertritt, gilt demnach künftig als illegaler Einwanderer, dem kein Anspruch auf Asyl zusteht. Im vergangenen Jahr gelang die Überfahrt von Frankreich nach England 45.000 Menschen, ein Anstieg um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für 2023 werden 90.000 Menschen erwartet, darunter vor allem Afghanen, Pakistanis, Iraker, Kurden, Syrer und Eritreer.

Asyl auf Staatskosten

Derzeit werden Asylbewerber noch in Hotels untergebracht, bis über ihre Anträge entschieden ist. Den Steuerzahler kostet das jeden Tag mehr als acht Millionen Euro. Und die Rechnung für Herbergen steigt, weil die Fallbearbeiter der Asylbehörde mit 160.000 unbearbeiteten Anträgen hoffnungslos überfordert sind. Die Hotels werden in jüngster Zeit sogar zum Ziel von Protestzügen. In Sprechchören entlädt sich der Ärger über die Einquartierung. Die Polizei erlegt den Flüchtlingen derweil Ausgehverbot auf – vorsichtshalber, um Handgemenge mit Demonstranten und Schlimmeres zu vermeiden.

Konservative Parlamentsabgeordnete wie etwa Natalie Elphicke, die den Küstenwahlkreis Dover im Parlament vertritt, befeuern den Protest gegen Asylbewerber. Auf Twitter empört Elphicke sich: „Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen auf diese Weise in Großbritannien eindringen.“ Innenministerin Suella Braverman dreht die Rhetorik noch weiter auf und spricht von einer „Invasion.“ 100 Millionen Menschen, warnt sie, könnten im Vereinigten Königreich Asyl beanspruchen, wenn die alten Gesetze bestehen blieben.
 

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Rishi Sunaks neues Gesetz soll nun die radikale Kehrtwende bringen: Flüchtlinge werden bei ihrer Ankunft in Abschiebegewahrsam genommen. Gerichtlicher Rechtsschutz steht ihnen nicht zu. Das Innenministerium wird verpflichtet, die Flüchtlinge ohne Asylverfahren innerhalb von 28 Tagen in ihre jeweiligen Heimatstaaten oder Drittländer auszufliegen.

Ein Abkommen mit dem zentralafrikanischen Ruanda besteht bereits seit April vergangenen Jahres. Es sieht vor, dass Flüchtlinge von Großbritannien in die Hauptstadt Kigali ausgeflogen werden, wo sie einen Antrag auf Asyl stellen können. Zudem wird die britische Regierung künftig festlegen, wie vielen Asylbewerbern in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen eine legale Einreise ermöglicht wird.

Die „heimliche Gefahr im Kanal“

Menschenrechtsgruppen reden von Zynismus und werfen Sunaks konservativer Regierung vor, menschenverachtende Politik zu betreiben in der Hoffnung, mit Ressentiments eine Niederlage bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr abzuwenden. Die Verbündeten des Premierministers lassen die Kritik nicht gelten und verweisen ihrerseits auf humanitäre Motive. Den Schlepperbanden das Handwerk zu legen und die gefährlichen Überfahrten der Boote zu stoppen, ist seit Jahren die Absicht britischer Regierungen.

Um Großbritannien als Zielort für Flüchtlinge unattraktiv zu machen, verfolgte Theresa May als Innenministerin das Ziel, „hier in Großbritannien ein feindliches Umfeld für illegale Migration zu schaffen“, wie sie 2012 der Tageszeitung The Daily Telegraph erläuterte. Mays Nachfolgerin im Innenressort beauftragte einen Offizier der Royal Marines damit, die „heimliche Gefahr im Kanal“ zu bannen. Premierminister Boris Johnson, schon immer ein Freund skurriler Ideen, ließ die Installation von Wellenmaschinen prüfen, mit denen Boote von den Stränden ferngehalten werden sollten. Derweil formulierte Johnsons Innenministerin Priti Patel Instruktionen für die Küstenwache, Flüchtlingsboote vor den englischen Stränden aufzugreifen und wieder Richtung Frankreich zurückzuschleppen.

„Missbrauch des Asylrechts"

Die Maßnahmen blieben ohne Erfolg. Ihnen folgten weitere Ankündigungen und wieder neue, halbgare Initiativen. Unterdessen stieg die Zahl der Asylbewerber stetig weiter und erreichte 89.000 im Jahr 2022. Dass die Vergleichszahlen in Frankreich bei 156.000 und in Deutschland gar bei 244.000 lagen, mindert die Empörung und den Frust vieler Briten nicht. Sie stimmen Innenministerin Braverman zu, die von „Missbrauch unseres großzügigen Asylrechts“ spricht.

Zu dem Eindruck, die bisherige Flüchtlingspolitik sei zu lax, trägt nicht zuletzt Nigel Farge bei. Der frühere Anführer der Brexit-Kampagne gilt heute als populäre Ikone englischer Wutbürger. Denen zeichnet er eine neue Drohkulisse: „Flüchtlinge kommen in unser Land, lassen es sich auf Staatskosten in Hotels gut gehen, werden mit drei Mahlzeiten am Tag durchgefüttert, nutzen den staatlichen Gesundheitsdienst aus und arbeiten im Drogengeschäft und der illegalen Prostitution,“ warnt er im Gespräch mit dem TV-Sender GB-News. Farage droht: Wenn die Regierung Grenzschutz nicht ernst nehme, werde er in den politischen Ring zurückkehren. Die emotionalen Auftritte des meinungsstarken Brexit-Veterans lassen die Wahlkampfmanager im Hauptquartier der Tories erschaudern.

Das Problem ist nicht neu

Sunak braucht einen kühnen Befreiungsschlag aber nicht nur, um gegen Farage zu bestehen. Die Konservativen müssen bis zu den Wahlen einen Rückstand von rund 20 Prozent auf die oppositionelle Labour-Partei aufholen. Dafür erwarten sie von ihrem Parteichef einen Geniestreich, der nicht nur die Wähler der Tories motiviert, sondern auch unter den Anhängern von Labour Eindruck macht. Das erklärt, warum sich Rishi Sunak auf ein Vabanquespiel eingelassen hat.

Als solches sehen Rechtsexperten jedenfalls den Entwurf des „Gesetzes zur illegalen Migration“. Selbst die Beamten im Innenministerium geben dem ehrgeizigen Vorhaben bestenfalls eine fünfzigprozentige Chance, vor internationalem Recht zu bestehen. Das Problem ist nicht neu. Im vergangenen Jahr musste ein Flug nach Ruanda mit Flüchtlingen an Bord im letzten Moment noch abgesagt werden, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einem vorläufigen Urteil die Abschiebung stoppte.

Britischer Menschrechtskatalog

Für den Fall, dass die Richter in Straßburg erneut die Pläne der Regierung in London mit Verweis auf die Europäische Konvention für Menschenrechte durchkreuzen, fordern konservative Abgeordnete den britischen Austritt aus der Konvention. Dieser Schritt gilt allerdings als unwahrscheinlich, weil er gegen Verpflichtungen des Brexit-Abkommen verstieße. Viel wahrscheinlicher ist ein Gesetzesentwurf, der im Juni vergangenen Jahres vom Innenministerium vorgestellt wurde.

Darin werden britische Gerichte verpflichtet, bei Urteilen den Straßburger Gerichtshof zu ignorieren und sich stattdessen an einem modifizierten britischen Menschenrechtskatalog zu orientieren, der so formuliert ist, dass er dem neuen „Gesetz zur illegalen Migration“ einschließlich Abschiebungen nach Ruanda nicht im Wege steht.

Praktische Probleme

Gegner der Regierungspolitik sehen sich von der oppositionellen Labour-Partei alleine gelassen. Deren Vorsitzender Keir Starmer hat längst erkannt, dass auch viele seiner Wähler mit der rigiden Asylpolitik der Regierung sympathisieren. Um seinen Vorsprung in den Umfragen nicht zu gefährden, lehnt er das „Gesetz zur illegalen Migration“ nicht grundsätzlich ab, sondern bemängelt allenfalls, dass die angekündigte Rückführung der Flüchtlinge sich nicht verwirklichen lasse.

Die Labour-Abgeordnete Dame Diana Johnson, die dem Innenausschuss vorsitzt, kritisiert ebenfalls nur praktische Probleme mit den Plänen der Regierung: „Wir haben nur wenige Absprachen mit Herkunftsländern über die Rücknahme von Flüchtlingen und das Vorhaben, Menschen nach Ruanda zu fliegen, funktioniert bisher nicht.“ Der Frage, ob die grundsätzliche Zurückweisung von Menschen, wenn sie aus Kriegsgebieten fliehen, unethisch sein könnte, weicht sie im Interview mit dem Nachrichtensender Channel 4 aus.

Kritik hilft der Regierung

Ethische Bedenken hört man allenfalls von Menschenrechtsgruppen. Deren Kritik dürfte der Regierung sogar recht kommen, weil Bilder aufgebrachter linker Aktivisten die eigenen Anhänger mobilisieren. Ein ähnlicher Effekt ist von Warnungen der für Migration zuständigen EU-Kommissarin Ylva Johansson zu erwarten, die in einem veröffentlichten Telefonat die Innenministerin in London belehrte, sie verstoße gegen internationale Verpflichtungen, wonach Asylbewerber vor ihrer Abschiebung zumindest anzuhören und ihre Einzelfälle zu bewerten seien. Solche Töne aus Brüssel könnten die Allianz der Brexit-Wähler wieder um die konservative Regierung scharen.

Zudem ist man in Downing Street zuversichtlich, dass die Nachbarn auf dem Kontinent mittelfristig die Vorzüge der britischen Flüchtlingspolitik erkennen. „Die europäischen Staaten werden neue Mittel finden müssen, um mit der Herausforderung umzugehen“, ist sich Rishi Sunak sicher. Dabei wird er nicht nur an die konservativen Regierungen in Griechenland und Italien gedacht haben.

Dänemark hat bereits ein Gesetz beschlossen, das es erlaubt, Asylbewerber in einen Drittstaat zu bringen. Auch Verhandlungen Kopenhagens mit dem Präsidenten Ruandas folgen dem britischen Beispiel. Matthias Tesfaye, dänischer Minister und sozialdemokratischer Abgeordneter, gibt Premierminister Sunak recht: „Das gegenwärtige Asylsystem ist unhaltbar.“

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