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Großbritannien schottet sich ab - Flucht vor der Solidarität

Großbritannien steht der EU skeptisch gegenüber. Ihre Flüchtlingspolitik heißt sie nicht gut und treibt die eigene Abschottung von Kontinentaleuropa voran. Dabei hatten die Briten mal das Image eines weltoffenen, multikulturellen Landes

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Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

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„Niemand ist eine Insel“ hieß ein Buchtitel von Johannes Mario Simmel, eines Bestsellerautors, der fast schon in Vergessenheit geraten ist. Die Mahnung lautete: Insel-Dasein tut der Seele nicht gut.

Die Briten empfinden das offensichtlich ganz anders. Sie sind stolz, eine Insel zu sein, fern und möglichst unbeteiligt an den Händel des Kontinents, still damit beschäftigt, die eigene, zuweilen eher eigenwillige Identität zu pflegen. Entschlossen erklärte Premier David Cameron am Sonntag im „Bericht aus Berlin“: „Wir haben den natürlichen Vorteil unserer Meeresgrenze. Wir nutzen sie nicht nur, sondern haben sie sozusagen verdoppelt durch Grenzkontrollen auf der gegenüber liegenden französischen Seite. Das bedeutet, wir können mehr dafür tun, dass die Leute nicht zu uns kommen als viele andere Länder auf der Welt.“

Die Briten sind verunsichert
 

Damit bedient er eiskalt die Ängste der Briten: Für 45 Prozent ist laut einer Umfrage des Migration Observatory vom Juni 2015 Einwanderung/Rasse das wichtigste Thema. Nur 26 Prozent der Befragten nannten die Wirtschaft. Das ist, man kann es nicht anders sagen, die etwas vornehmere und gleichzeitig präventive Variante von „Ausländer raus“, oder in diesem Fall eher: „Ausländer gar nicht erst rein“.

Was ist nur geschehen, mit den Briten, den Erfindern der „Magna Charta“ und damit der universalen Idee, dass allen Menschen gewisse Rechte zustehen, den liberalen Fackelträgern der Demokratie und Offenheit auch in dunklen und schwierigen Zeiten?

Sie sind ganz offensichtlich verunsichert, und das nicht erst seit heute. Dem „polnischen Klempner“, den Frankreich und Deutschland nach der EU-Erweiterung so fürchteten, nahm man in Großbritannien noch gerne auf - und nicht zu Großbritanniens Nachteil! Aber schon nach dem Inkrafttreten der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2014 fürchteten die Briten, von rumänischen und bulgarischen Arbeitsuchenden überschwemmt zu werden.

Dem Schengen-Abkommen hat Großbritannien sich ohnehin nie angeschlossen, weshalb es auch das einzige EU-Land bleibt, das EU-Bürger in den stets überfüllten Flughäfen durch die „Immigration“ jagt. London will seine Einwanderung alleine steuern.

Erst Weltläufigkeit, nun Abschottung
 

Woher nur diese Angst? Großbritannien ist schließlich nicht Polen, oder eines der zentral-europäischen Länder, deren Wirtschaftskraft nach Jahrzehnten des Kommunismus immer noch ein ganzes Stück hinter den westlichen Ländern liegt. Staaten übrigens, die in ihrer Geschichte „Auswanderungsländer“ waren und deren Gesellschaften sich erst an den Gedanken gewöhnen müssen, seit ihrer EU-Mitgliedschaft zu attraktiven Einwanderungsländern geworden zu sein.

Nun wird man nicht behaupten können, dass den Briten die Integration der Einwanderer aus den Commonwealth-Ländern besonders gut gelungen ist. Dennoch: Großbritannien war Einwanderungsland. Und es hatte sich Einiges eingebildet auf seine Weltläufigkeit und Diversität.

Aber es waren wohl eher die ohnehin globalisierten Eliten, die sich mit dem Thema Migration anfreunden konnten, und das auch nur, weil ein Migrant für sie der hoch qualifizierte Banker in der City of London oder höchstens der nett lächelnde Besitzer des chinesischen Restaurants in Richmond upon Thames ist. Randständige Bezirke mit einem hohen Anteil aus Pakistan oder Bangladesch stammender Einwanderer sehen auch sie nur in Filmen oder in den Nachrichten, wenn es mal wieder knallt.

Große EU-Skepsis
 

Man kann es wohl nur vermuten: Aber Großbritanniens brutales Ausscheren aus irgendeiner europäischen Solidaritätsverpflichtung gegenüber Flüchtlingen hat wohl sehr viel zu tun mit Großbritanniens EU-Skepsis im Allgemeinen. Wie viele andere fürchten sich auch die Briten vor der Komplexität der Globalisierung, die Machtverhältnisse verschiebt und immer schnellere Anpassungsleistungen verlangt. Vor einer Digitalisierung, die unsere Ökonomien in einer neuen und noch viel rasanteren industriellen Revolution komplett verändern wird.

Wie auch andere sehen sie die Krisen und Mängel in unseren Systemen, sowohl der Demokratie als auch der Marktwirtschaft. Allerdings gibt es in Großbritannien mit seiner Geschichte des „nur nicht in die Probleme des Kontinents hineinziehen lassen“ ein einfache Antwort auf diese komplexen Umstände: Die EU hat an allem Schuld. UKIP singt es vor und die Torys unter David Cameron tanzen zu dieser Musik. Die Abschottung ist nicht allein eine gegen Flüchtlinge. Es ist eine gegen den Solidaritätsdruck, gegen Brüssel.

London aber hat eines noch nicht begriffen: Es verrät damit seine eigenen Ideale.

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