Gerichtsurteil Frankreich - Hausarrest für einen Ex-Präsidenten

Wegen unerlaubter Wahlkampfausgaben verurteilt ein Pariser Gericht den früheren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zu einem Jahr Haft – ohne Bewährung. Das Urteil bedroht die Kampagne der konservativen Republikaner im anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf.

Nicolas Sarkozy, ehemaliger Präsident von Frankreich, nach einer Anhörung vor Gericht im Dezember 2020 / dpa
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Das Pariser Strafgericht verurteilte Sarkozy zur Maximalstrafe, da er besonders schamlos vorgegangen sei. Sein Delikt: Überschreitung der Wahlkampfausgaben im Jahr 2012. Statt die Deckelung von 22,5 Millionen Euro einzuhalten, hatte Sarkozys PR-Agentur Bygmalion 42,8 Millionen ausgegeben. Mit falschen Rechnungen wurden die Mehrausgaben der konservativen Partei UMP überwiesen.

In der Gerichtsverhandlung behauptete Sarkozy, er habe von all dem nichts gewusst. Einer der 13 Mitangeklagten – die am Mittwoch ebenfalls mehrjährige Gefängnisstrafen erhielten – bekannte dagegen in der Einvernahme: „Alle waren auf dem Laufenden, von der Empfangsdame bis zu Nicolas Sarkozy.“ Die falschen Rechnungen hätten auf einer „kollegialen Entscheidung“ beruht.

Auch die Richterin sagte am Mittwoch, Sarkozy habe den gesetzlichen Grenzbetrag gekannt und die Ausgaben „gebilligt“. Mit der Maximalstrafe für das Delikt der Grenzbetragsüberschreitung übertrifft das Gericht sogar den Antrag der Staatsanwaltschaft, die für Sarkozy sechs Monate Haft gefordert hatte.

Berufung eingelegt

Sarkozys Anwalt legte umgehend Berufung ein. Die politische Unschuldsvermutung hat der ehemalige Staatspräsident aber bereits verloren. Schon im März war er in einer anderen Affäre wegen Korruption und passiver Bestechung zu drei Jahren Haft verurteilt worden, davon zwei Jahre auf Bewährung: Sarkozy soll versucht haben, einem Bekannten gegen eine vertrauliche Rechtsauskunft zu einem Gefälligkeitsposten in Monaco zu verhelfen.

In beiden Fällen wird der Mann der Chansonsängerin Carla Bruni seine Strafe nicht absitzen müssen, sondern im Hausarrest mit elektronischer Fußfessel verbringen können. Ein dergestalt bestückter Ex-Präsident wäre indes auch für Frankreich ein absolutes Novum. Ob die beiden Urteile rechtskräftig werden oder nicht – die Schwere der Anschuldigungen vereitelt jedes Comeback des 66-Jährigen. Denn die Frage im Hintergrund lautet: Kann jemand, der seine Finanzmittel so schlecht einsetzt, den öffentlichen Haushalt einer ganzen Nation kontrollieren? Offensichtlich nicht: Kein Präsident der Fünften Republik ließ die Staatschuld derart rasant ansteigen wie Sarkozy, kein Sozialist erwirtschaftete im Élysée so hohe Fehlbeträge wie der rasende Republikaner: 605 Milliarden Euro in einer einzigen Amtszeit. Unter Sarkozy stieg die Staatsschuld von 64 auf 90 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Gewiss fiel in seine Zeit auch die Finanzkrise von 2008; doch selbst in der Corona-Krise hat der amtierende Präsident Emmanuel Macron bisher weniger ausgegeben.

Macron und Le Pen sind angeschlagen

Sarkozy ist politisch nach aller Wahrscheinlichkeit erledigt – aber es geht nicht nur um ihn. Der Ziehsohn von Parteigründer Jacques Chirac verfügt in seiner Partei, die heute Les Républicains (LR) heißt, immer noch über viel Einfluss. Der „Königsmacher“, wie ihn der Radiosender France-Info am Donnerstag nannte, empfängt in seinem Büro unweit vom präsidialen Élysée-Palast regelmäßig LR-Vertreter zur Audienz. Sein Wort, hieß es bisher, entscheide darüber, wen die französischen Konservativen im kommenden April ins Präsidentschaftsrennen schicken werden: Xavier Bertrand, Valérie Pécresse oder Michel Barnier. Dieser Entscheid kann über die Wahl befinden. Die Kron-Favoriten Emmanuel Macron und Marine Le Pen sind heute angeschlagen; die konservativen Verfechter einer härteren Immigrationspolitik, wie sie auch Sarkozy verkörpert, sind dagegen landesweit im Aufwind.

Doch das Doppelurteil gegen den Paten der Republikaner droht, die Gewichte zu verlagern. Die drei LR-Bewerber drückten ihm im besten Fall ihre „Freundschaft“ aus – mehr nicht. Sie müssen befürchten, dass die harten Schuldsprüche der Justiz auf sie selber abfärben. Pariser Kommentatoren erinnern bereits an den Fall François Fillon: Der Ex-Premier hatte 2017 seinen sicher geglaubten Präsidentschaftssieg wegen brisanter Enthüllungen verpasst. Das Sarkozy-Lager unterstellt dem Gericht und namentlich der Finanzstaatsanwaltschaft (PNF) eine politische Stoßrichtung. Die PNF, die gegen Sarkozy ermittelte, war 2013 vom damaligen sozialistischen Präsidenten François Hollande im Zuge der Cahuzac-Affäre geschaffen worden. Die Konservativen bezeichnen sie ohne Umschweife als „links“.

Fixierung auf das Präsidialamt

Dieser Vorwurf zieht aber bei allen bürgerlichen Wählern. Enttäuschte Sarkozysten dürften die Republikaner eher wieder unter den verhassten Altparteien einordnen. Und stattdessen lieber auf Populisten oder abermals auf Macron setzen? Sarkozy wird sich jedenfalls hüten müssen, an vorderster Front Kampagne für sein „Fohlen“ (so der Pariser Politjargon) zu machen.

Besonnene Politologen, die nicht einfach in das Sarkozy-Bashing verfallen, kritisieren generell die totale Fixierung der französischen Politik auf das Präsidialamt und die Wahl dafür. Dies führe dazu, dass den Anwärtern alle Mittel recht seien. Der Sozialist François Mitterrand, der 1981 bis 1994 im Élysée regierte, hatte zu diesem Zweck sogar einmal ein regelrechtes Attentat auf sich selbst simuliert. Heute, da die Justiz zunehmend – und nicht immer mit gutem Recht – in die Politik eingreift, würde er deswegen wohl auch wegen Betrugs verfolgt.

Die Franzosen, die mental weit entfernt vom Pariser Machtzentrum leben, ärgern sich seit Langem über die unsauberen Politsitten der Linken wie der Rechten. Sie glauben, dass ihre Volksvertreter in der Hauptstadt „alle korrupt“ seien – „tous pourris“, wie der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen behauptete. Und das ist fatal: Sarkozys Affären nützen letztlich vor allem einer Person, die bereits in den Startlöchern für die Wahl 2022 ist: Marine Le Pen.

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