Ex-BNDler über möglichen Gefangenenaustausch - „Die Russen versuchen, Gesprächsformate zu erzwingen“

Nach der Verurteilung einer US-Basketballspielerin in Russland verhandeln Moskau und Washington über einen Gefangenenaustausch. Auch Deutschland ist betroffen – denn der „Tiergarten-Mörder“ Wadim Krassikow steht auf der Transferliste. Im Interview erklärt Gerhard Conrad, Islamwissenschaftler und langjähriger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, welche Folgen daraus für die deutsche Bundesregierung entstehen könnten.

Neun Jahre Haft wegen Verstoßes gegen das russische Betäubungsmittelgesetz: US-Basketballerin Brittney Griner / dpa
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Marie Illner ist freie Journalistin. 

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Gerhard Conrad ist Islamwissenschaftler und war hochrangiger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. Über zehn Jahre hinweg war er als Vermittler in Geheimverhandlungen zu Geiselbefreiungen im Nahen Osten involviert. 

Herr Conrad, nach der Verurteilung der US-Basketballerin Brittney Griner zu neun Jahren Haft in Russland, hat der russische Außenminister Sergej Lawrow einen möglichen Gefangenenaustausch mit den USA angedeutet. Dabei haben die Russen unter anderem den Waffenhändler Viktor But auf die Transferliste gesetzt. Warum gerade ihn? 

Er ist aus geheimdienstlicher Sicht ein Schwergewicht. But muss als berüchtigter Transportunternehmer und Waffenhändler über ein breites Feld militärisch-industrieller Kontakte in der Sowjetunion und Russland verfügt haben. Er betrieb seine Geschäfte bis zu seiner Verhaftung in den USA im Jahre 2008 teilweise ungehindert, auch mit direkten Konfliktgegnern in Kriegen weltweit. Ob er Mitglied des KGB war, was er stets bestritten hat, oder für die Nachfolgeorganisationen FSB und SVR, eventuell ja auch für den russischen militärischen Nachrichtendienste GRU gearbeitet hat, dürfte relativ zweitrangig sein. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass er ohne die – wie auch immer im Einzelfall motivierte – Unterstützung der Dienste beziehungsweise einzelner Stellen seinen Geschäften nicht hätte nachgehen können.

Auf der Transferliste soll auch der „Tiergarten-Mörder“ Wadim Krassikow stehen. Warum will Moskau ihn ausgetauscht sehen?

Wie But hat auch der Tiergarten-Mörder Spezialwissen, das der Kreml nicht verraten wissen möchte. Im vergangenen Jahr gab es sogar Hinweise, dass Moskau ihn umbringen lassen wollte, damit er keine Aussagen treffen kann. Seitdem steht Krassikow unter besonderem Schutz. Das Motto  der russischen Dienste lautet wohl: „Man darf Freunde nicht hängen lassen, muss sie aber auch davon abhalten, in die Illoyalität abzugleiten.“

But wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt und sitzt in den USA ein, Krassikow muss eine lebenslange Haftstrafe in Deutschland verbüßen. Kann die USA überhaupt die russischen Forderungen erfüllen?

Im Fall But vermutlich schon. Er sitzt bereits seit 14 Jahren in Haft und hat damit mehr als die Hälfte seiner Haftzeit bereits abgesessen. Der Tiergartenmörder sitzt aber erst seit Sommer 2019 in Haft – und dies für ein Kapitalerbrechen, für das auch noch vom Gericht besonders schwere Schuld festgestellt worden war. So kurz nach Verurteilung würde kein Haftrichter eine Verlegung nach Russland genehmigen. Zur Abschiebung verurteilter Straftäter gibt es Regularien. Zu diesen gehört es auch, dass eine Haftverbüßung im Herkunftsland gewährleistet werden muss. Kommt dagegen die Abschiebung einer vorzeitigen Haftentlassung gleich, kommt diese nicht in Betracht. Dies dürfte im vorliegenden Fall mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben sein. Insoweit besteht aus meiner Sicht hier kein Handlungs- und Ermessensspielraum für deutsche Behörden. 

Was wollen die Russen dann damit bezwecken? Wissen sie nicht, dass die Forderungen gar nicht erfüllt werden können? 

Doch, auf russischer Seite dürfte das alles zum etablierten Wissen zählen, doch kann man mit solchen Forderungen erst einmal Sand ins Getriebe streuen und bargaining chips auf den Tisch legen, die man später wieder als Scheinkonzession zurückziehen kann. Das ist eben leider alles Standard in dieser Art von Kuhhandel. Gleichzeitig signalisiert jedoch die russische Regierung mit der Forderung nach Krassikow konkludent eine Solidarisierung mit seiner Tat. Der Tiergarten-Mörder hat – so ja auch das Gericht – im Auftrag des FSB gehandelt, auch wenn das bislang immer vom Kreml abgestritten wurde. 

Ein taktisches Spielchen also?

Ja. Eines, welches auch Symbolwirkung nach innen in Richtung der Geheimdienst-Community hat. Der Schachzug sagt: „We care. Wir kümmern uns um unsere Lieben, aber der Westen macht eben nicht mit.“ Gegenüber dem FSB signalisiert Putin also zumindest guten Willen, auch wenn die Chancen der Realisierung zunächst einmal nicht allzu gut stehen. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass Griner am Ende gegen But ausgetauscht wird. Mehr aber wohl nicht. 
 

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Neben Brittney Griner wollen die Amerikaner auch den Ex-Soldaten Paul Whelan freibekommen. Die Russen werfen ihm Spionage vor und haben ihn zu 16 Jahren Haft verurteilt. Wieso aber steht beispielsweise nicht der Amerikaner Mark Fogel, der ebenfalls wegen des Besitzes von medizinischem Marihuana verhaftet wurde, auf der US-Liste für einen möglichen Gefangenenaustausch?

Da bin ich etwas ratlos. Ich habe den Eindruck, dass der Arme letztlich das Pech hatte, nicht ausreichend prominent gewesen zu sein. Griner hatte hier Glück. Der seit Ende 2018 inhaftierte Whelan trägt wiederum schon länger das Etikett „wrongfully detained US citizen“ und steht damit auf der Prioritätenliste des Außenministeriums. Fogels Fall wurde auch von der Familie bis zur Urteilsverkündung „low profile“ gefahren, in der Hoffnung, auf diese Weise ein mildes Urteil zu erwirken. Dies ist nun bekanntlich mit der Urteilsverkündung im Juni 2022 nicht geschehen, und so mag nun die Zeit für Public Pressure gekommen sein. Laut CNN hält sich das Außenministerium auch in diesem Fall bewusst alle Optionen offen, doch wird es eben auch darauf ankommen, das „Ticket“ nicht zu überfrachten. 

Sie bezeichnen die Fälle der Amerikaner, die in Russland in Haft sitzen als „missbräuchliche justizielle Geiselnahmen zum Zweck der Freipressung“. Müssen auch deutsche Staatsbürger so etwas fürchten?

Wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind und irgendetwas Kompromittierendes dabeihaben, dann: ja. Eine peinlichst genaue Beachtung aller Regeln ist zu empfehlen, damit man nicht versehentlich den Anlass für eine Inhaftnahme produziert.

Könnte Russland auch in die Fußstapfen von Nordkorea und dem Iran treten – also Geiseln ganz ohne tatsächlichen Gesetzesverstoß in Haft nehmen?

Ausschließen kann man das nicht. Zwischen der realen und der behaupteten strafrechtlichen Qualität der Fälle gibt aber bereits eine riesige Diskrepanz: Mord und illegaler Waffenhandel in großem Stil gegenüber individuellen Verstößen gegen das russische Betäubungsmittelgesetz oder behaupteter, wenngleich offenbar nie bewiesener Spionage. Es wäre nur ein weiterer Schritt, auch Anlässe für Inhaftnahmen frei zu erfinden, wenn dies für opportun gehalten werden sollte. Bekanntlich soll dies dem Vernehmen nach im Fall Wheler ohnehin schon so geschehen sein.

Als wie wahrscheinlich erachten Sie es, dass der Kreml nicht nur Gefangene fordert, sondern bei einem Austausch auch Sanktionen fallen sehen will?

Das könnte ich mir zumindest als ein Scheinargument vorstellen. Die Russen versuchen ja bereits, Gesprächsformate zu erzwingen, indem sie Top-Kontakte für den Gefangenenaustausch fordern. Die Fälle sollen nur auf Spitzen-Ebene verhandelt werden – ein diplomatischer Schachzug, um Direktkontakte herbeizuführen. Bereits jetzt spricht Sergej Lawrow mit Anthony Blinken über den Gefangenenaustausch. Der Kreml hat damit die gegnerische Regierung erfolgreich auf Leitungsebene in Gespräche gezogen. Die Vermittlung bei den Getreideexporten wurde ähnlich genutzt. 

Die Fragen stellte Marie Illner. 
 

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