G20-Gipfel - Besser als nichts

Von Sanktionen keine Spur: Der saudische Prinz Mohammend bin Salman begrüßte den russischen Präsidenten mit einem High-Five - und wurde auch von den übrigen Gipfel-Teilnehmern kaum für den Fall Khashoggi zur Rechenschaft gezogen. Doch nicht nur er gehört zu den Gewinnern den Spitzentreffens

Nicht nur Trump feierte Erfolge, auch Putin und Mohammend bin Salman gehörten zu den Gewinnern des Gipfeltreffens/ picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Die Paradoxa und Ungleichzeitigkeiten der aktuellen Weltordnung zeigen sich, wenn man fragt: Wer ist aus dem G20-Gipfel in Buenos Aires eigentlich als Gewinner hervorgegangen?

Der größte Gewinner: Donald Trump

1. An erster Stelle der amerikanische Präsident Donald Trump: Schon bevor der Gipfel begann, konnte er zusammen mit dem mexikanischen Präsidenten und dem kanadischen Premierminister ein neues Freihandelsabkommen zwischen den drei Staaten unterschreiben. Nicht nur diese Zeremonie dominierte der amerikanische Präsident sichtbar, sondern auch den weiteren Gipfel. Erstens durch das was er tat; zweitens durch das, was er unterließ. Zu letztem gehörte das Gespräch mit dem russischen Präsidenten, den er auf diese Weise in die zweite Reihe stellte. Damit wurde aber auch der russisch-ukrainische Konflikt tiefer gehängt. 

Hingegen dominierten Trump und sein chinesischer Kollege Xi den Gipfel durch die Erwartungen an ihr Treffen. Als dieser schon beendet war, einigten sie sich darauf, die Eskalation ihres Handelskonfliktes für 90 Tage auszusetzen. Zwei Erfolge für Trump, die den Gipfel umrahmten.

Aber auch auf dem Gipfel selbst waren die amerikanischen Unterhändler nicht erfolglos. Die Abschlusserklärung trägt sichtbar ihre Handschrift. In den 31 Punkten, auf die man sich einigen konnte, findet sich nur einmal der Begriff „multilateral“ – nämlich bei der Erklärung, dass das multilaterale Handelssystem seine Ziele nicht erreicht und reformiert werden muss. Dass sich die USA auf einen Prozess der Verregelung einlassen und die Reform der Welthandelsorganisation WTO anstreben, heißt aus deren Sicht: weichere Regeln für nationale Handelspolitik. Das wird sich im nächsten Jahr zeigen.

In der Klimapolitik stehen die USA weiterhin alleine da. Aber das können sie erstens gut aushalten, und zweitens wird sich das wohl ändern. Man darf gespannt sein, ob in der Abschlusserklärung 2019 nicht nur Brasilien und die Türkei, sondern möglicherweise auch Russland an ihre Seite treten werden.

Abschlusserklärung als großer Erfolg

2. Der G20-Prozess selbst, denn anders als die Verhandlungen im G7-Format und bei der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) gab es zumindest eine Deklaration zum Abschluss. Man konnte sich also auf einen gemeinsamen Text einigen, auch wenn – wie stets in der internationalen Politik – ein jeder etwas anderes darunter versteht. Er stellt den größten gemeinsamen Nenner dar, und der ist zugegebenermaßen ziemlich klein. Aber in der Hauptsache setzt die Deklaration Programme fort, die den G20-Prozess tragen: Bildungspolitik, Veränderungen der Arbeitswelt, Gesundheitspolitik, Eindämmung ansteckender Krankheiten, Geschlechterpolitik und anderes mehr, wovon man rund um den Gipfel kaum etwas gehört hat.

In der Migrationspolitik, beim Handel und der Beschränkung des Klimawandels allerdings wurden nur die besonders diplomatischen Formulierungen akzeptiert, was nichts anderes heißt, als dass nichtssagend irgendetwas offenes geschrieben wurde. In der Politik ist das besser als nichts. Der G20-Prozess geht weiter, und die großen Mächte sehen ihn weiterhin als ein Feld ihrer Auseinandersetzung an. Das hätte auch ganz anders kommen können; und kann es immer noch.

G2 – China und die USA

3. Chinas Präsident Xi Jingping, der eine strikte Politik des „China First“ und „Make China Great Again“ verfolgt, kann auf dem Gipfel zwei Erfolge verbuchen. Erstens hat er den Abstand politischer Statur zum amerikanischen Präsidenten nochmals verringert, und beide haben die übrigen Teilnehmer, wenn man das so lapidar schreiben kann, ins Feld verwiesen. G2 – China und die USA – sind der Kern von G20. China hat, sieht man zehn Jahre zurück, als die G20 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs geboren wurden, enorm zu den USA aufgeholt.

An einem schlichten kontrafaktischen Gedanken lässt sich das erkennen: Was wären die G20, falls die USA und China den Kreis verließen? Sie würden über kurz oder lang in die Bedeutungslosigkeit fallen. Nicht zuletzt daraus erwächst der Verhandlungserfolg dieser beiden Staaten. Die angeblichen Spitzen gegen Chinas Handelspolitik, die in das Abschlussdokument gelangten, mögen die Exegeten politischer Lyrik verzücken. Real sind sie ohne Bedeutung.

Schließlich konnte der chinesische Präsident mit seinem amerikanischen Kollegen nicht nur die weltweite Wirtschaft in Atem halten, sondern auch zum hörbaren Aufatmen bringen: erst einmal keine neuen Zölle, dafür die Suche nach Wegen, wie das Handelsungleichgewicht zwischen den beiden Großen verringert werden kann. China will mehr amerikanische Agrar- und Industrieprodukte kaufen und auch eine  Firmenübernahme neu bewerten. Ob das alles gut geht, wird man im nächsten Jahr sehen. Aber mit jedem Gipfel schließt China einen Schritt mehr zu den USA auf. 

High-Five von Putin und Mohammend als Salman

4. Präsident Putin und Kronprinz Mohammed bin Salman konnten den Gipfel nutzen, um vor aller Welt zu dokumentieren, dass sie im Kreis der ganz Mächtigen willkommen sind. Das war in beiden Fällen, die völlig unterschiedlich gelagert sind, nicht so eindeutig zu erwarten. Vor dem Gipfel wurde vermutet, dass der saudi-arabische Kronprinz nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi einen schweren Stand haben dürfte. Dem war nicht so. Er führte Unterredungen mit dem französischen Präsidenten, der britischen Premierministerin und klatschte sich mit dem russischen Präsidenten sichtbar gut gelaunt ab. Beim Familienfoto ließ ihn kaum einer links liegen. Die geopolitische Lage Saudi-Arabiens, sein Öl, seine Infrastrukturinvestitionen und Rüstungskäufe sind schlagkräftige Argumente. Was wiederum nur Donald Trump so offen gesagt hat.

Wladimir Putin wurde wegen der Vorfälle in der Straße von Kertsch und dem Krieg in der Ostukraine kritisiert. Aber außer Donald Trump schnitt ihn niemand. Und dieser auch, da hat die russische Seite völlig recht, vor allem wegen Robert Muellers Ermittlungen. Auf dem Gipfel entwickelte sich auch keine Frontstellung gegen Putin. Im Gegenteil. Der russische Präsident konnte dem französischen Präsidenten und auch Bundeskanzlerin Merkel anschaulich erklären, was eigentlich vorgefallen ist. 

Im Ergebnis heißt das, dass Präsident Putin erneut getestet hat, wie weit er gehen kann, ohne auf irgendeine Gegenwehr zu treffen. Nicht nur das: Er kann das Ganze auch noch als Coup des ukrainischen Präsidenten darstellen, der Krieg braucht, um nicht aus dem Amt gewählt zu werden. Hinter verschlossenen Türen wird die Freude groß gewesen sein.

G20-Homestories für alle

5. Alle anderen. Sie können sich alle zu den Mächtigen zählen lassen. Sie bekamen alle schöne G20-Homestories. Sie konnten alle die gewünschten Bilder nach Hause senden lassen. Nur Präsident Macron griff mehrfach daneben: Begrüßung durch eine Gelb-Weste. Extrawünsche beim Abendessen. Aber die Nachrichten aus Paris hätte er sowieso mit schönen Bildern aus Buenos Aires nicht übertrumpfen können. Bundeskanzlerin Merkel konnte hingegen nachempfinden, wie sich Passagiere von Lufthansa lange Zeit fühlten.

Zieht man Zwischenbilanz, so muss man feststellen: Die G20 sind ein guter Maßstab dafür, dass die internationale Ordnung komplexer, ungleichzeitiger und zerklüfteter wurde. Sie sind ein brauchbarer Gradmesser dafür, wie stark sich die großen Mächte noch einbinden lassen. Und sie sind eine Richtschnur dafür, welche multilateralen Verfahren noch effektiv und belastbar ordnungspolitische Leistung erbringen können. Auf den Punkt gebracht: Die Bindungswirkung internationaler Vereinbarungen lässt nach, und die großen Mächte handeln zunehmend an eng definierten nationalen Interessen orientiert. Dass man gerade deshalb einen multilateralen Prozess wie die G20 dringend braucht, rundet die Paradoxa der gegenwärtigen Weltordnung ab.
 

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