Frans Timmermans - Europas grünster Genosse

EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans hat sich als Vater des „Green Deal“ viele Gegner gemacht – dennoch will er jetzt Regierungschef in den Niederlanden werden.

Frans Timmermans will niederländischer Regierungschef werden / laif
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Brüssel hat schon viele EU-Kommissare kommen und gehen sehen. Die meisten haben keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Doch an den Niederländer Frans Timmer­mans wird man sich noch lange erinnern. Denn kaum jemand hat sich Europa so sehr verschrieben wie der 62-Jährige aus Maastricht. Schon 1994 arbeitete er für den niederländischen EU-Kommissar Hans van den Broek in Brüssel. Dann wurde er Europa­staatssekretär in Den Haag, Außenminister – und 2014 schließlich selbst EU-Kommissar.

Seit 2019 betreute Timmermans in Brüssel die Klimapolitik. Seitdem hat er als „Mister Green Deal“ oder „Klimazar“ für Schlagzeilen gesorgt. Nicht immer waren sie positiv. Das Verbrennerverbot ist ebenso mit seinem Namen verbunden wie der Bauernaufstand in den Niederlanden. Auch wenn der prominente Sozialdemokrat nun nach Den Haag zurückgekehrt ist, wo er mit einem rot-grünen Bündnis bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Herbst antreten will: Europa lässt ihn nicht los, die Klimapolitik wird ihn auch in seiner Heimat verfolgen.

Reformer, kein Revolutionär

Bis 2050 reicht sein „European Green Deal“, der die Wirtschaft umwälzen und Europa klimaneutral machen soll. In Dutzenden EU-Gesetzen hat er das Ende des Kohlenstoffzeitalters vorbereitet. Ihre Wirkung werden sie erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten entfalten. Dass Timmermans so nachhaltigen Einfluss auf die Europapolitik nehmen konnte, hat er seinem Talent und seinem Standvermögen zu verdanken – aber auch Greta Thunberg und ihrer Klimabewegung. Die Fridays for Future hätten den grünen Genossen sogar beinahe zum EU-Chef gemacht.

Bei der Europawahl 2019 schwamm Timmermans ganz weit oben auf der Klimawelle. In seiner Heimat, den Niederlanden, konnte er so die Stimmenzahl seiner Partei verdoppeln. Doch auf EU-Ebene reichte es nicht; der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten kam nur auf Platz zwei. Timmermans musste sich mit dem Titel des „Executive vice president“ unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufriedengeben. Er durfte die Drecksarbeit bei den Klimagesetzen machen, von der Leyen heimste die Lorbeeren ein. Die Quittung folgte prompt: Schon kurz nach der Wahl wandte sich die Klimabewegung enttäuscht von Timmermans ab. Die CO2-Emissionen erst 2050 auf null zu drücken, sei eine „Kapitulation“, schimpfte Thunberg.

 

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Doch Timmermans ist Reformer, kein Revolutionär. Der vierfache Vater und Großvater kommt aus einer Diplomatenfamilie. Er kann gut, schnell und pointiert reden, sogar in sechs Sprachen, was ihm den Spitznamen „Fransrapid“ eingetragen hat. Aber die EU-Politik ist kein Schnellzug, und der Mann mit dem Hipster-Vollbart lässt sich Zeit. „Sie dürfen mich gern eine Schildkröte nennen“, sagte er mit einem Augenzwinkern im Interview mit Fabian Köster („heute-show“). „Aber ich bewege mich, niemand kann mich aufhalten.“ Wie zum Beweis schärfte er die europäischen Klimaziele für 2030 deutlich nach. „Was wir vorhaben, wird nicht einfach – es wird verdammt hart“, sagte er 2021 bei der Vorlage des Programms „Fit for 55“. Seitdem ist die Kritik aus der Klimabewegung etwas leiser geworden.

Sein „European Green Deal“ könnte ihm zum Verhängnis werden

Umso größer wurde der Widerstand in Wirtschaft und Politik. Der wohl härteste Schlag kam aus Deutschland: Auf Druck der FDP stoppte die Bundesregierung die EU-Beratungen über das Verbrennerverbot. Verkehrsminister Volker Wissing schickte einen Brandbrief nach Brüssel, Timmermans musste das Feuer löschen. Für böses Blut sorgte auch das Renaturierungsgesetz, ein wichtiger Pfeiler im „Green Deal“. Diesmal waren es nicht nur deutsche Politiker, die seinen Vorschlag als industrie- und bauernfeindlich brandmarkten.

Auch Parteien aus den Niederlanden gingen ihn frontal an. „Stoppen Sie Timmermans!“, forderte die Europäische Volkspartei, der auch CDU und CSU angehören, im Frühsommer. Von der Leyen sollte Farbe bekennen. Doch die CDU-Politikerin rührte sich nicht – und ließ ihren wichtigsten Mann im Regen stehen.
Nun kehrt Timmermans zurück nach Den Haag. Kann er dort den gescheiterten Premier Mark Rutte beerben und doch noch eine führende Rolle in Europa spielen, diesmal als Regierungschef? Erste Sondierungen gaben seinem Wahlbündnis PvdA/GroenLinks gute Chancen. Doch ausgerechnet sein größtes Werk, der „European Green Deal“, könnte ihm zum Verhängnis werden. Die Bauern laufen Sturm gegen die Umwelt- und Klimagesetze, die Bauernpartei BBB punktet, eine neue Anti-Establishment-Bewegung hat sich in Umfragen vor Timmermans’ Bündnis geschoben.

Am Ende dürfte es knapp werden. Timmermans gibt sich dennoch gelassen. „Es ist noch nicht alles fertig, aber der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, ist erreicht. Der Green Deal hat Bestand.“ Zumindest in Europa, das ist sicher, wird man ihn nicht so schnell vergessen.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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