Biden und die EU - Welcome, Mr. President – die EU spricht endlich mit einer Stimme!

Die EU hofft nach der Wahl von Joe Biden auf einen Neustart der transatlantischen Beziehungen. Berlin will einen „New Deal“, Brüssel setzt auf eine gemeinsame Agenda. Doch eine Rückkehr in die gute alte Zeit vor Donald Trump wird es nicht geben – die Europäer sind selbst nicht vorbereitet.

Die EU-Mitglieder setzen große Hoffnungen in Joe Biden / dpa
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Die EU-Politiker hatten es ungewöhnlich eilig. Noch bevor der künftige US-Präsident Joe Biden am Samstag seine mit Spannung erwartete Siegesrede gehalten hatte, kamen schon die ersten offiziellen Glückwünsche aus Berlin, Brüssel und Paris. Um 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit, so hatte es Kanzlerin Angela Merkel mit Ratspräsident Charles Michel verabredet, sollte die Ära Donald Trump zu Ende gehen. 

Und so kam es denn auch. Sieht man vom slowenischen Regierungschef Janez Jansa und einigen Nachzüglern ab, so lief alles nach Plan. Dass es gelang, fast gleichzeitig beinahe identische Bekenntnisse zur Freundschaft mit den USA und zur transatlantischen Partnerschaft zu übersenden, wurde als großer Erfolg verbucht. Welcome Mr. President, die EU spricht endlich mit einer Stimme!

Aus der Zeit gefallen

Was die Europäer zu sagen haben, klingt jedoch – abgesehen von der unüberhörbaren Erleichterung über das Ende der Trump-Ära – ein wenig aus der Zeit gefallen. Außenminister Heiko Maas versprach Biden einen „New Deal“, was eher an Franklin D. Roosevelt erinnert als an das 21. Jahrhundert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die „unprecedented transatlantic partnership” – ganz so, als hätte es Trump nie gegeben. 

Es war die Stunde der Transatlantiker und der frommen Wünsche. Von der Leyen hofft zum Beispiel, dass sich die USA dem europäischen Kampf gegen COVID-19 anschließen – dabei hat die EU selbst keine Strategie. Sie wünscht sich, dass Biden die „digitale Transformation für die Menschen“ vorantreibt – dabei ist Europa auf Gedeih und Verderb von US-Konzernen wie Amazon, Google & Co. abhängig.

Manch ein Vorschlag aus Berlin und Brüssel klingt so, als wolle man schnellstmöglich an die gelobte Zeit vor Trump anknüpfen – also an die in der Erinnerung verklärte Ära von Ex-Präsident Barack Obama und seinem Ex-Vize Biden. Doch ein „Back to 2015“ wird es nicht geben. Dies zeigte sich am schon Montag, als EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis in Brüssel neue europäische Strafzölle in Milliardenhöhe gegen US-Produkte ankündigte.

Konflikte werden bleiben

Dombrovskis reagiert damit auf einen Streit, der die EU und die USA bereits zu Obamas Zeiten beschäftigt hat. Es geht um staatliche Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing und um Schiedssprüche der Welthandelsorganisation WTO. Dass dieser Streit ausgerechnet jetzt wieder hochkocht, kurz nach Bidens Wahl, zeigt, dass die transatlantischen Beziehungen konfliktbeladen sind, unabhängig vom US-Präsidenten. 

Mit Biden werden die Konflikte nicht verschwinden – doch sie lassen sich womöglich leichter lösen. Genau darauf hofft die EU beim Subventionsstreit um Airbus, bei COVID-19 oder beim Klimaschutz. Wenn die USA wie angekündigt erneut dem Klimaschutzabkommen von Paris beitreten, wäre dies ein großer Erfolg. Doch das Klima wäre damit nicht gerettet. Die Zeit, die die USA unter Trump vertan haben, lässt sich nicht wieder aufholen.

Biden wird den Druck bei Nord Stream 2 und auf China erhöhen

Andere Konflikte könnten unter dem neuen Präsidenten sogar noch drängender und ernster werden. Im Streit um die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 etwa waren es Bidens Demokraten, die am lautesten nach US-Sanktionen gerufen haben. Sie dürften dies nach der Wahl nicht vergessen haben, sondern könnten versucht sein, den Druck auf Deutschland und die EU weiter zu erhöhen.

Auch der Handelskrieg mit China ist nicht vorbei. Er wurde zuletzt zwar vor allem durch Trumps bellizistische Rhetorik angeheizt. Doch auch eine Biden-Administration dürfte ihr Hauptaugenmerk auf China und den Handel legen. Auch dies wäre ein Problem für Deutschland. Schließlich wollte der deutsche EU-Vorsitz die Beziehungen zu China zu einem Schwerpunkt machen und auf eine neue Ebene heben.

Das scheiterte zunächst an COVID-19 und mangelnden Fortschritten bei den Verhandlungen mit Peking. Nun könnte auch noch frischer Gegenwind aus Washington hinzukommen. Die eilfertigen Offerten zur Zusammenarbeit aus Europa sind zum Teil auch auf diese Sorge zurückzuführen. Deutschland und die EU wünschen sich eine „positive Agenda“, bevor die alten Konflikte wieder aufbrechen.

EU und USA ziehen nicht an einem Strang

Es gibt aber auch noch ein anderes Problem. Amerika und Europa driften immer mehr auseinander, wenn es um die Außen– und die Wirtschaftspolitik geht. Die USA und die EU haben verschiedene, zunehmend divergierende Interessen. Doch nur die Amerikaner sind in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen – mal auf die harte Tour wieder unter Trump, mal auf die sanfte Art wie unter Obama.

Die Europäer hingegen haben in den vergangenen Jahren feststellen müssen, dass sie schlecht gerüstet sind. Auf die harten Handelskonflikte, die Trump vom Zaun brach, waren sie nicht vorbereitet. Auf das Steuerdumping von Amazon, Google & Co. haben sie keine Antwort gefunden. In der Coronakrise mussten sie zudem feststellen, dass sie auf Leben und Tod von China und Indien abhängig sind.

Der Wille ist da

Gewiss, die EU hat die Probleme erkannt und versucht gegenzusteuern. Zuletzt hat Ratspräsident Charles Michel sogar die „strategische Autonomie“ in wichtigen Bereichen wie der Gesundheit zum Ziel seiner Arbeit erklärt. Doch dieses Ziel, das zuerst Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ausgerufen hatte, ist umstritten; bis zu seiner Verwirklichung ist es noch ein weiter und harter Weg. 

Die EU geht geschwächt in die neue Phase internationaler Politik, die mit Biden beginnt. Ob es für einen Neustart reicht, muss sich zeigen. Klar ist nur eins: Eine Rückkehr in die gute alte Zeit vor Trump wird es nicht geben.

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