Verwendung deutscher Hilfsgelder für Palästina - „Solange die Hamas regiert, darf es keine Entwicklungszusammenarbeit geben“

Angesichts des Terrors gegen Israel fordert Christoph Hoffmann (FDP) eine Zeitenwende in der deutschen Entwicklungshilfe und eine wertorientierte Außenpolitik, die statt der bisherigen Kooperation mit autoritären Regimen auf enge Partnerschaften mit Demokratien setzt.  

Eine pro-palästinensische Kundgebung in Istanbul / picture alliance
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Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Nach dem Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten fordern Kritiker und nicht zuletzt die israelische Regierung ein Ende der europäischen Hilfszahlungen an Palästinenser. Während EU-Staaten wie Belgien bei einem Stopp der Hilfszahlungen eine humanitäre Katastrophe in der Region befürchten, mehren sich kritische Stimmen in Deutschland, die vor einer Zweckentfremdung der geleisteten Gelder durch die Hamas warnen.

Der Bundestagsabgeordnete Dr. Christoph Hoffmann (FDP) arbeitete von 2007 bis zu seiner Wahl in den Bundestag 2017 als Bürgermeister der Gemeinde Bad Bellingen und ist amtierender Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 

Herr Hoffmann, Deutschland hat den Palästinensern 2021 und 2022 mehr als 340 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklung überwiesen und gilt als größter Geldgeber für den Gazastreifen. Kritiker dieser Hilfen monieren, dass diese Gelder zweckentfremdet werden. Unterstützt Deutschland also indirekt die Hamas? 

Das kann man so direkt nicht behaupten. Die Projekte, die aus diesen Fördergeldern finanziert wurden, waren ausschließlich für humanitäre und entwicklungspolitische Zwecke gedacht. Trotzdem muss man festhalten, dass diese Gelder autoritäre Regime von ihren Pflichtausgaben entlasten. Indirekt kann es dazu führen, dass die verfügbaren Mittel von Terrororganisationen wie der Hamas für Waffen dadurch ansteigen.  

Haben Sie einen Überblick über die Gelder, die Deutschland den Palästinensern zukommen lässt?  

Christoph Hoffmann / Fuchs

Ja: Im Mai 2023 sicherte Deutschland circa 125 Millionen Euro pro Jahr als bilaterale Hilfe über die GIZ und KfW für 2023 und 2024 zu. Hinzu kommen rund 46 Millionen Euro als strukturbildende Übergangshilfe. Über NGOs, Stiftungen und internationale Organisationen wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) oder das Welternährungsprogramm kommen nochmal 25 Millionen Euro dazu. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) erhielt 2023 Zusagen über 93 Millionen Euro. Knapp 700 Millionen Euro an Hilfsgeldern erhielten die Palästinenser jährlich aus Brüssel; die EU und alle Mitgliedstaaten stellten insgesamt zwei Drittel der Hilfen für die palästinensischen Gebiete bereit.  

Sie merken, es handelt sich hier um hohe Geldbeträge. Alle durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierten Vorhaben wurden auf ihre außenpolitische Unbedenklichkeit geprüft, aber sobald es Mittelsleute vor Ort gibt, lässt sich eine eindeutige Unterscheidung gar nicht mehr gewährleisten. Der israelische Botschafter berichtete uns von einem Projektleiter für ein Klärwerk, der gleichzeitig auch Mitglied der Hamas war. Wie sollen wir das trennen und sagen, dass sein Gehalt nicht für andere Zwecke verwendet wird, es ist schlicht unmöglich. 

Ohne eine breite Unterstützung von außen hätte die Hamas einen derartigen Angriff nicht organisieren können. Welche Rolle spielen die aus Deutschland geleistete Finanzhilfen bei der Vorbereitung dieser beispiellosen Angriffswelle auf israelische Zivilisten? 

Wie schon gesagt: Die deutschen Gelder sind nicht der Hauptgrund, warum die Hamas diesen Angriff auf Israel durchführen konnte. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass regierungsfern über NGOs jeder Euro, der in solche Länder fließt, zur Stabilisierung dieser Regime beiträgt. Vor so etwas darf man nicht die Augen verschließen, diese Naivität muss aufhören.  

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, hat zuletzt betont, dass das Auswärtige Amt keine direkte Hilfe an die Palästinensische Autonomiebehörde leiste, dass die deutschen Finanzhilfen an Bedürftige flössen. Stimmt das? 

Grundsätzlich ist das unsere Intention. Zu 100 Prozent kontrollieren kann man das aber nicht. Ich war 2018 selbst in Israel und hatte den Eindruck, dass unsere Kontrollmechanismen nicht gut genug sind. Ein Beispiel: Zement, der ursprünglich für die Wasserversorgung genutzt werden sollte, wurde, wie sich später herausstellte, für Bunkeranlagen der Hamas zweckentfremdet. So etwas ist leider immer im Rahmen des Möglichen, von daher lässt sich die Aussage von Frau Amtsberg gar nicht überprüfen.

 

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Nach dem Angriff der Hamas fordern Sie einen vorübergehenden Stopp der Entwicklungshilfen an die Palästinenser. Welcher Zeitraum für einen Stopp der Lieferungen schwebt Ihnen vor? 

Bis sichergestellt ist, dass durch die Gelder keine kriegerischen Angriffe auf den israelischen Staat finanziert werden. Solange die Hamas regiert, darf es keine Entwicklungszusammenarbeit geben.  

An welche Bedingungen wollen Sie zukünftige Zahlungen an Palästinenser knüpfen? 

Es kann keine Zusammenarbeit mehr mit Regimen geben, die Terror fördern oder Menschenrechte grob missachten. Beispiele hierfür sind Afghanistan, Mali oder Palästina. Wir müssen auch in der Entwicklungszusammenarbeit eine Zeitenwende nachvollziehen. Es gibt genügend andere Staaten, die unsere Unterstützung dringend benötigen und gleichzeitig unsere Werte teilen. 

Rechnen Sie aktuell mit einer Einstellung aller von Deutschland aus geleisteten Hilfsmitteln für die palästinensischen Gebiete? 

Humanitäre Hilfen müssen auch weiter geleistet werden können. Die Flutkatastrophe in Myanmar zeigt, dass wir im Umgang mit autoritären Regimen akut humanitäre Hilfe leisten sollten, aber langfristig keine strukturelle Entwicklungsarbeit. Am besten nimmt man die Verteilung durch Organisationen wie das Welternährungsprogramm selbst in die Hand und bezieht keine staatlichen Akteure in der Region mit ein. Einen Fortbestand der Entwicklungszusammenarbeit in den palästinensischen Gebieten sehe ich mehr als kritisch, hier vertrete ich auch eine andere Meinung als Entwicklungsministerin Schulze.  

Hinter den Anschlägen auf Israel vermutet Israel auch schiitische Milizen wie die Hisbollah und den Iran selbst. Fordern Sie auch ein Umdenken in den außenpolitischen Handelsbeziehungen Deutschlands? 

Auf jeden Fall. Schon vor dem Angriff auf Israel hätte ich mir hier eine stärkere Reaktion des Auswärtigen Amtes gewünscht. Wir brauchen einen Schulterschluss mit der Haltung der USA und einschlägige Wirtschaftssanktionen gegen das Mullahregime. Unsere Position für die Zukunft muss lauten: Länder, die Terrororganisationen finanzieren und für solche Taten verantwortlich sind, kommen für eine Zusammenarbeit mit Deutschland nicht in Frage. Das muss die Basis einer wertebasierten Außenpolitik sein.  

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

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