Emmanuel Macron und Angela Merkel - Liebe und Kabale

Angela Merkel und Emmanuel Macron geben sich so vertraut wie nie. Doch hinter der schönen Fassade des deutsch-französischen „Paars“ hat sich ein Machtkampf entwickelt, der so gar nicht zu den wohlklingenden Sonntagsreden passt. Was bedeutet das für die Europawahl?

Angela Merkel und Emmanuel Macron bei der 100-Jahr-Gedenkfeier zum Ende des Ersten Weltkrieges in Compiègne / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Auf den ersten Blick ist alles in bester Ordnung. Emmanuel Macron und Angela Merkel geben ein perfektes Paar. Sie zelebrieren die historischen Gedenktage gemeinsam, fordern unisono eine „europäische Armee“ und preisen ihre Zusammenarbeit in höchsten Tönen. Bei einer Ansprache im Bundestag zum Volkstrauertag gab der französische Staatschef sogar eine ungewöhnliche Liebeserklärung ab. 

„Aufbruch für Europa“?

„Selbst wenn Sie nicht alle Worte verstehen, die aus Frankreich kommen – seien Sie sicher, dass Frankreich Sie liebt.“ So schmeichelte Macron den Deutschen und ihrer Kanzlerin. Die Bundestagsabgeordneten dankten es mit Standing Ovations, Kommentatoren lobten Macrons leidenschaftliche Rede und forderten gleichen Einsatz von Merkel. Hatte sie nicht einen „Aufbruch für Europa“ versprochen?

Doch der Aufbruch stockt, Macrons Liebe wird in der Praxis kaum erwidert. Als Merkel vor einer Woche ihre europapolitische Grundsatzrede im Europaparlament hielt, erwähnte sie das deutsch-französische „Paar“ mit keinem Wort. Die großen Visionen, die Macron vor einem Jahr in seiner Sorbonne-Rede entwickelt hatte, griff sie nicht auf. Von einem Neustart der EU war keine Rede mehr. 

Selbst da, wo es scheinbar voran geht, fehlt das wechselseitige Verständnis. So will Merkel die EU-Armee in der Nato verankern – Macron hingegen will sich militärisch von den USA und der Nato emanzipieren. Auch bei der Euroreform ziehen Berlin und Paris nicht an einem Strang. Den jüngsten Beleg liefert der Entwurf für ein Eurozonen-Budget, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire vorgelegt haben.

Von Macrons Plänen bleibt nichts übrig

Macron hatte vor einem Jahr gefordert, ein autonomes Budget für die Eurozone zu schaffen, mit ganz viel Geld, einem eigenen Finanzminister und parlamentarischer Kontrolle. Von all dem ist nichts übrig. Der aktuelle Entwurf enthält keine Zahlen, keinen Finanzminister, kein Euro-Parlament. Experten gehen davon aus, dass er nicht einmal zur Stabilisierung der Währungsunion taugt.

Warum lässt sich Macron auf derlei Kompromisse ein? Wieso gibt er sich mit viel Symbolik und noch mehr Pathos zufrieden? Das fragen sich viele in Paris. Der Frust über die wenig ergiebige Zusammenarbeit mit Berlin ist dort mit Händen zu greifen. „Das deutsch-französische Paar existiert nicht“, meint die Buchautorin Coralie Delaume. Macrons Inszenierung solle nur von der eigenen Schwäche ablenken und Frankreich auf neoliberalen Kurs bringen.

In Brüssel hört man andere Erklärungen. Hier sorgt man sich über die geschwächte Kanzlerin  – und begrüßt jede deutsch-französische Initiative, die Europa voranbringen könnte. Macron, so lautet eine Lesart, habe zwar viel mehr von Merkel erwartet. Doch er sehe auch, dass die Kanzlerin europapolitisch nicht mehr „liefern“ könne – der Aufstieg der AfD, der Streit mit der CSU und der Machtkampf in der CDU hätten sie geschwächt.

Vor diesem Hintergrund will Macron jeden Fortschritt „mitnehmen“  – und sei er nur symbolischer Natur. Es gilt, Pflöcke einzuschlagen, solange Merkel noch an der Macht ist. Tatsächlich hat die Erfahrung in Brüssel immer wieder gezeigt, dass aus scheinbar kleinen Kompromissen große Entscheidungen erwachsen können. Das Eurobudget kann zum Grundstein für etwas Größeres, Besseres werden, auch wenn es jetzt noch wie eine leere Hülle wirkt.

Europa in der Sackgasse

Außerdem wirft die Europawahl ihre Schatten voraus. Merkel hat sich bereits positioniert – und den CSU-Europapolitiker Manfred Weber zum Spitzenkandidaten für die Europäische Volkspartei nominiert. Macron hingegen ist in Verzug geraten. Noch im Frühjahr hatte er angekündigt, mit einer eigenen Bewegung in die Wahl zu ziehen. „L’Europe en marche“, das wäre ein griffiges Motto gewesen. Doch die Pläne verliefen im Sande, Macrons Europa ist in einer Sackgasse gelandet.

Der Präsident hat Merkel bisher nicht viel entgegenzusetzen. Seine Partei LRM („La République en Marche“) will sich im Wahlkampf nun den europäischen Liberalen anschließen, was zu bizarren Konstellationen führt. Denn damit sitzt Macron plötzlich mit FDP-Chef Christian Lindner in einem Boot, der vor einem Jahr noch als sein schärfster Gegner galt. Gemeinsam wollen sie den europäischen „Altparteien“ den Garaus machen und verhindern, dass Weber zum Chef der EU-Kommission gewählt wird.

Machtkampf im Europaparlament

Da zeichnet sich ein Machtkampf ab, der so gar nicht zu den wohlklingenden Sonntagsreden passt. Es geht dabei nicht nur um Weber, sondern auch um eine Neuordnung des europäischen Parteiensystems, das seit Jahren de facto von der Europäischen Volkspartei – und damit von Merkel  – dominiert wird. Um die deutsche Dominanz zu brechen, scheint Macron sogar zu ungewöhnlichen Manövern bereit.

Im Europaparlament munkelt man, dass Macron und die Liberalen eine „feindliche Übernahme“ der EVP planen  – oder zumindest jener Angeordneten, die mit dem Kurs von Weber unzufrieden sind. Im Kern geht es um die Zusammenarbeit der EVP mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und dessen Fidesz-Partei. Weber möchte mit Orbán und Fidesz nicht brechen, doch viele Christdemokraten und Konservative sind unzufrieden mit diesem Schmusekurs. Sie könnten Gefallen an einer Allianz mit den Liberalen und den Macron-Leuten finden, heißt es im Parlament. Doch auch Sozialdemokraten und Grüne werden heftig umworben. Auch sie sind mit Weber unzufrieden  – und denken über eine „progressive Allianz“ nach, die auch die Liberalen einschließen könnte. Das ist zwar noch keine „Ampel gegen Merkel“, wie der Spiegel titelt. Aber es ist der Versuch, der Kanzlerin und ihrer EVP etwas entgegenzusetzen.

Strategiewechsel von Macron

Für diesen Versuch hat Macron sogar seine Rhetorik verändert. Noch vor wenigen Wochen stellte er das Ziel  eines liberalen, weltoffenen Europa heraus - eine Kampferklärung an Nationalisten und Populisten vom Schlage Orbáns. Doch neuerdings spricht er lieber vom „Progressisme“, also einer „fortschrittlichen“ Politik. Damit will sich Macron von den Konservativen und Christdemokraten absetzen – und bei Sozialdemokraten anbiedern.

Ob dieser Versuch gelingt, bleibt abzuwarten. Vor allem die deutschen Grünen dürften am Ende eher zu Merkel neigen, wie schon 2017. Auch die SPD hängt an der Groko in Berlin. Klar ist aber schon jetzt, dass sich hinter der schönen Fassade des deutsch-französischen „Paars“ ein Machtkampf entwickelt hat. 

Vordergründig versuchen Merkel und Macron, gemeinsam Pflöcke für Europa einzuschlagen. Im Hintergrund ringen sie aber schon um die Macht im neuen Europaparlament und in der nächsten EU-Kommission. Es ist wie im Theater – „Kabale und Liebe“ hat die EU-Bühne erreicht. Möge das Publikum die richtigen Schlüsse für die Wahl ziehen. 

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