Deutsche Truppen in Syrien - Flucht in völkerrechtliche Vernebelung

Im gemeinsamen Kampf gegen den Islamischen Staat haben die USA die Bundesregierung um Unterstützung deutscher Soldaten bei Bodeneinsätzen in Syrien gebeten. Durch die unreflektiert behauptete „Völkerrechtswidrigkeit“ vermeidet die deutsche Spitzenpolitik eine dringend notwendige politische Debatte

Kämpfer einer kurdischen Rebellengruppe patrouillieren während einer Operation zur Befreiung einer Provinz vom IS / picture alliance
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Autoreninfo

Philipp Dürr ist Jurist und promotionsbegleitend als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Bereichen des Staats- und Völkerrechts an der Rheinischen Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn tätig. Er forscht unter anderem zu Fragen des kollektiven Sicherheitsrechts und der interdisziplinären Symbiose von Völkerrecht und Politikwissenschaft.

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Kaum war die Bitte nach der Übernahme neuer Aufgabenbereiche im Kampf gegen den Islamischen Staat auf syrischem Boden übermittelt, kamen Absagen aus diversen Parteizentralen der Republik. Rasch wurde mit der Einstufung eines möglichen Einsatzes deutscher Bodentruppen als „klar völkerrechtswidrig“ (Grüne) zum rechtlichen Holzschnitt angesetzt. Der SPD-Fraktionschef sprach sich ebenfalls für zivile Lösungen aus und gegen etwaige, über das derzeitige Mandat hinausgehende, militärische Handlungsoptionen.

Dies veranlasste Ralph Brinkhaus wiederum zu einem politischen Offenbarungseid: Er war einst angetreten, um als Unions-Fraktionschef den parlamentarischen und innerfraktionellen Diskurs zu stärken. Jetzt begründet er seine ablehnende Haltung mit dem Verweis auf fehlende parlamentarische Mehrheiten für den Einsatz von Bodentruppen im Kampf gegen den IS. Mut zu konstruktivem Nachdenken sieht anders aus.

Bedrohungen gehen auch von privaten Akteuren aus

Derartige Behauptungen ohne stichhaltige völkerrechtliche Argumente ersticken eine Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt im Keim. Eine reifere Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht zeigt, dass es aus rein völkerrechtlicher Perspektive durchaus eine rechtliche Grundlage für einen Bundeswehreinsatz in Syrien gibt. Dies eröffnet eine Palette weiterer staatlicher Handlungsoptionen. Politische Scheu und nicht das Recht verhindern einen offenen Meinungsaustausch.

Herrschte früher noch ein klassisches Verständnis von Bedrohungsszenarien vor, in denen Gefahren für den Weltfrieden einzig von staatlichen Akteuren zu befürchten waren, so hat sich dies im Laufe der Zeit gewandelt. Mittlerweile gehen derartige Bedrohungen auch von privaten Akteuren aus, wie bereits die Entwicklungen seit dem 11. September 2001 gezeigt haben.

Private Akteure befinden sich dabei naturgemäß auf dem Territorium eines Staates. Relevant ist also die völkerrechtliche Vereinbarkeit der Wahrung von territorialer Integrität des Aufenthaltsstaates einerseits, mit der effektiven Bekämpfung terroristischer Vereinigungen andererseits.

Ende der Diskussion?

Grundsätzlich sind Forderungen nach einem Mandat der Vereinten Nationen nachvollziehbar. Es gilt gemeinhin das Gewaltverbot gemäß Artikel 2 (4) UN-Charta, wonach Staaten in ihrer territorialen Integrität nicht verletzt werden dürfen. Dem ausdrücklichen Wortlaut der UN-Charta sind dabei jedenfalls zwei Ausnahmen zu entnehmen, wonach entweder durch eine ausdrückliche Ermächtigung gemäß Artikel 39 fortfolgend UN-Charta oder durch das Selbstverteidigungsrecht eines Staates gemäß Artikel 51 UN-Charta Gewalt auf dem Staatsgebiet eines Staates (und natürlich auch gegen einen Staat) erlaubt ist.

Eine solch ausdrückliche Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat liegt mangels Einigung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht vor. Zwar gibt es mit Resolution 2249 aus dem Jahr 2015 einen Aufruf zu Maßnahmen gegen den IS. Mangels sprachlicher Klarheit stellt sie aber wohl keine ausdrückliche Ermächtigung für kriegerische Maßnahmen auf dem Gebiet Syriens gegen den IS dar, wenngleich die Bundesregierung die bisherigen Einsätze der Bundeswehr unter anderem auch auf diese Grundlage stützt.

Selbstverteidigung: Ein kollektives Recht

Anders stellt sich die Lage mit Blick auf die zweite Ausnahme der UN-Charta dar. Gemäß Artikel 51 darf sich ein Staat bei einem bewaffneten Angriff selbst und mit Hilfe anderer verteidigen, bis sich der Sicherheitsrat der Angelegenheit annimmt. Bewaffnete Angriffe kennzeichnet die Überschreitung einer gewissen Intensitätsschwelle. Dabei hat der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1373 aus dem Jahr 2001 im Hinblick auf die Anschläge des 11. September bekräftigt, dass auch private Akteure einen bewaffneten Angriff vornehmen und somit das Selbstverteidigungsrecht im Sinne der UN-Charta auslösen können.

Ein solches Selbstverteidigungsrecht gegen den IS besteht nach den Anschlägen vom 13.11.2015 in Paris mit 130 Toten und unzähligen Verletzten für Frankreich. Der anschließend ausgerufene Bündnisfall nach Artikel 42 VII des EU-Vertrags ermächtigt auch deutsche Operationen im Rahmen der kollektiven Sicherheit im Kampf gegen den IS.

Irak hat zu gemeinsamer Bekämpfung eingeladen

In Anbetracht der kriegerischen Akte des IS und der teilweisen Gebietseroberung hat der Irak im Gegensatz zu Syrien die Anti-IS-Koalition – unter Beteiligung der USA, Großbritanniens und anderer Staaten – ausdrücklich zu der gemeinsamen Bekämpfung des IS auf seinem Staatsgebiet eingeladen.

Stimmen, welche den IS mittlerweile als besiegt ansehen und etwa einen erneut „unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriff“ zur Betätigung des Selbstverteidigungsrechts einfordern, verkennen, dass dem Selbstverteidigungsrecht ein etwaiges Verfallsdatum fremd ist. Solange der IS eine ernsthafte Gefahr darstellt, darf dieser also auch bekämpft werden.

Hat Assad das letzte Wort?

Umstritten ist weiterhin, ob Syrien als souveräner Staat Kampfhandlungen fremder Staaten auf seinem Staatsgebiet dulden muss, ohne selbst eine Einladung ausgesprochen zu haben. Die Wahrung der staatlichen Integrität ist dabei insbesondere mit Blick auf die Akzeptanz des Völkerrechts in der Staatenwelt von hoher Bedeutung. So schützt die souveräne Gleichheit der Staaten etwa vor unliebsamer Einmischung von außen und dient dem innerstaatlichen Machterhalt.

Dennoch ist auch dieser völkerrechtliche Befund im Lichte moderner Bedrohungsszenarien durch private Akteure zu betrachten. Staaten, die ihrerseits nicht in der Lage sind, operative Maßnahmen und Operationszentren von Terroristen auf ihrem Staatsgebiet effektiv zu bekämpfen, müssen nach einer vordringlichen Rechtsauffassung Gegenmaßnahmen durch die angegriffenen Staaten jedenfalls in jenen Regionen dulden, welche der eigenen staatlichen Kontrolle nicht mehr unterliegen.

Ob Syrien in einigen Teilen des Staatsgebiets gegenwärtig tatsächlich unfähig ist, effektive Maßnahmen gegen den IS zu ergreifen, wird Gegenstand künftiger Feststellungen sein. Und folglich entscheidend für die Beurteilung der Völkerrechtsmäßigkeit eines möglichen Einsatzes deutscher Bodentruppen in Syrien im Kampf gegen den IS.

Völkerrecht: kein Zufluchtsort vor strategischer Debatte

Die Antwort auf diese Frage ist dabei wesentlich komplexer als die verfrühten Festlegungen mancher Politiker nahelegen. Sie bedarf gründlicher Überprüfung durch Bundesregierung und Parlament, auch im Hinblick auf eine mögliche Mandatsverlängerung mit neuen Aufgabenbereichen im kommenden Oktober.

Zu Recht fordert Alexander Graf Lambsdorff (FDP) umfassende politische Lösungen für Syrien unter europäischer Beteiligung. Insbesondere die regionalen Besonderheiten und Konflikte wie etwa die Situation der Kurden im Norden Syriens oder auch die Sorge vor einem Vakuum ohne Baschar al-Assad müssen bedacht werden.

Der vorschnelle Ausschluss jeglicher militärischer Handlungsoptionen mit dem Verweis auf eine behauptete „Völkerrechtswidrigkeit“ jedenfalls mag für so manche einen bequemen Weg der Vermeidung rechtlicher und politischer Diskussionen bieten. Tatsächlich aber verpasst Berlin wieder einmal den Anstoß für eine breite strategische Debatte über die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands in der Welt.

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