Praxistest für die finnische Rechte - Entzauberung durch Verantwortung

Finnland bekommt eine neue Regierung, an der auch die rechten „Basisfinnen“ beteiligt sind. Anders als in Deutschland wird die politische Rechte in Helsinki nicht ausgeschlossen, sondern in Verantwortung genommen – und damit einem Praxistest unterzogen.

Finnische Regierungsbildung: RKP-Vorsitzende Anna-Maja Henriksson (l), Petteri Orpo, Basisfinnin Riikka Purra und Sari Essayah, Vorsitzende der Christdemokraten / picture alliance
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Jens Mattern (Foto Ralph Weber) berichtet als freier Journalist für deutsche Medien aus Polen.

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Orpo Petteri, ein 53-jähriger mit typisch finnisch-zurückhaltendem Auftritt, wird am Dienstag im Nationalparlament von Helsinki zum Premierminister seines Landes gewählt. Elf Wochen lang hat der Vorsitzende der konservativ-liberalen Partei „Nationale Sammlung“ (KoK) zuvor mit den drei künftigen Koalitionspartnern um ein gemeinsames Regierungsprogramm gerungen, das am vergangenen Freitag vorgestellt wurde. 

Vor allem mit Riikka Purra wurde lange verhandelt. Sie ist die Chefin der „Basisfinnen“ (PS) und maßgeblich verantwortlich für den größten Wahlerfolg in der Parteigeschichte der Rechten. Mit 46 Mandaten hat ihre Partei im April nur zwei Mandate weniger als der Wahlgewinner erzielt. Getragen wird die künftige Regierung auch von der Schwedischen Volkspartei (RKP) mit neun Sitzen im Parlament und den Christdemokraten (KD) mit fünf Sitzen. Im finnischen Parlament sitzen insgesamt 200 Abgeordnete.

Starke Einschnitte bei Sozialleistungen

Die Handschrift der finnischen Rechten trägt etwa die geplante Senkung der Aufnahmequote von 1500 auf 500 Flüchtlinge pro Jahr. Zudem wird das Aufenthaltsrecht von Migranten, die aus einem EU-Land stammen, deutlich verschärft. Das Aufkommen von Bandenkriegen nach schwedischem Muster sowie Probleme im finnischen Gesundheitswesen und in der Pflege mit Ausländern, welche kein Finnisch können, waren Purras Erfolgsthemen vor der Wahl.

Linke Parteien, Gewerkschaften und Sozialexperten sind empört über das Regierungsprogramm und kündigen ein hartes Contra an. 
Für Aufregung sorgen jedoch nicht primär die Ideen der Rechten, sondern auch die geplanten sozialen Einschnitte, welche auf das Konto der wirtschaftsliberalen KoK gehen: Das Arbeitslosengeld soll gekürzt werden. Wer Arbeitsangebote oder Weiterbildung ablehnt, könnte künftig gar kein Geld mehr erhalten. Abzüge gibt es auch beim Wohn- und Kindergeld sowie bei weiteren Sozialleistungen. 

„Finnland befindet sich in einer schweren Situation“ erklärte Petteri in der vergangenen Woche die Grundlage seiner Politik, die immerhin Applaus von Arbeitgeberseite bekommt. Der Abbau der Haushaltsverschuldung von 140 Milliarden Euro war das große Wahlthema seiner Partei. Die damals sozialdemokratische Amtsinhaberin Sanna Marin, welche sich in der Pandemie als Krisenmanagerin bewährt hatte, warnte vor dem Abbau des Sozialstaats durch Petteri, wirkte jedoch bei Wirtschaftsthemen unsicherer – ein Grund für ihre knappe Niederlage im April

Die Bürde der Verantwortung

Ein Misserfolg könnte aber auch der rechten Regierungspartei PS drohen. Denn Purra wird als Finanzministerin die sozialen Schnitte mittragen müssen und zum Gesicht der umstrittenen Einsparungen werden. Die studierte Politologin verfügt allerdings nicht über Erfahrungen in der Finanzwelt.

Auch das Gesundheits- und Sozialministerium wird durch die Rechten besetzt sowie das Europaministerium, wobei es noch nicht lange her ist, dass die Partei den EU-Austritt forderte. So kann die Bürde der Verantwortung die Vertreter der „Basisfinnen“ schnell zu Buhfrauen und Buhmännern bei ihrer Wählerschaft machen, die eigentlich auf deutliche Verbesserungen ihres Lebens hoffen. 

Vielleicht ist gerade das sehr typisch für Finnlands Parteienkultur – Protestparteien werden in Regierungsverantwortung genommen und somit einem vierjährigen Verantwortungstest unterzogen. Die „Basisfinnen“ und ihre Vorgängerformation „Finnische Agrarpartei“ scheiterten bereits mehrfach an dieser Prüfung. 

Der schwärzeste Tag des Landes

Es lohnt darum ein Rückblick: Der immer noch verehrte Parteigründer Veikko Vennamo war ein Mensch der Tat. Der wortwörtliche
„Startschuss“ seiner Popularität war der Angriff der Roten Armee am 10. Juni 1944 auf Finnland. Unter dem Feuer der Artillerie, Panzer und Bomber brach die finnische Abwehr rasch zusammen. Die im Verbund mit den Deutschen im Jahr 1941 eroberten Gebiete in Ostkarelien wurden in drei Wochen von den Sowjets erneut eingenommen.
 

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Mit diesem Vorstoß setzte die Flucht von insgesamt 400.000 Menschen nach Westen ein, es waren die schwärzesten Tage des Landes. Der 31-jährige Vennamo war als Notar des Landwirtschaftsministeriums gefordert, ihre Versorgung und Unterbringung zu organisieren. Als Ostkarelier aus gutbürgerlichem Hause und stark antikommunistisch, strukturierte er die finnische Landwirtschaft um – der Staat kaufte privaten Landbesitz auf, um es den Flüchtlingen zu geben, so dass sie als Kleinbauern überleben konnten.

„Ich habe einen Bürgerkrieg verhindert“, meinte er rückblickend wenig bescheiden. Vennamo wurde 1945 zusätzlich Parlamentarier, Mitglied in der Partei „Landbund“ (später „Zentrum“), welche die Interessen der Landwirte in Finnland vertrat, zu der auch Urho Kekkonen gehörte, der bis 1981 die Geschicke des Landes vor allem als Staatspräsident prägte. Doch die Kooperation Helsinkis mit Moskau – Finnland hatte im September 1944 einen Waffenstillstand aushandeln können – wollte Vennamo nicht mittragen. 

Die Ehrlichen gegen die Herablassenden

Im Jahre 1959 gründete er schließlich eine eigene Partei, die „Finnische Kleinbauernpartei“, die er später in „Finnische Agrarpartei“ umbenannte. Er wandelte sich als Parteichef zu einem Rhetoriker, den man heute als „populistisch“ charakterisieren würde. Sein Finnlandbild: Auf der einen Seite die ehrliche hart arbeitende Landbevölkerung, auf der anderen Seite die regierende herablassende Elite, die sich vom Volk entfernt hatte. 

Obwohl selbst aus gutem Hause, wurde nun seine Sprache scheinbar zu der des einfachen Volkes und wirkte spontan. In Wirklichkeit soll er zusammen mit seiner Ehefrau Sirkka, einer Werbetexterin, lange an seinen Reden gebastelt haben. Für Kekkonen war der einstige Weggefährte ein steter Stachel im Fleisch, der aufgrund seiner antisowjetischen Einstellung in den 60er- und 70er-Jahren nicht integrierbar war und an den Rand gedrängt werden musste. Dies änderte sich, als Sohn Pekka eine wichtige Rolle in der „Finnischen Agrarpartei“ in den Achtzigern übernahm, eine eher bräsige und uncharismatische Persönlichkeit. 

Stimmung gegen EU-Hilfe für Portugal

Im Jahre 1983 wurde die Partei dann in eine von Sozialdemokraten geführte Koalition integriert, bezeichnenderweise wurde Pekka Vennamo das Finanzministerium übergeben, ein Parteifreund stand dem Arbeitsministerium vor. Das Versprechen, die Arbeitslosigkeit rasch zu beseitigen, konnten sie nicht umsetzen. Unter der folgenden Regierung, geführt von einem Konservativen, hielt Pekka Vennamo noch zwei Jahre als Transportminister durch, 1990 wurde die Partei von den Konservativen aus der Regierungsverantwortung gedrängt, zerfiel und löste sich 1995 überschuldet auf. 

Der zweite Vorsitzende Tino Soini gründete daraufhin die nachfolgenden „Basisfinnen“, die nun in Regierungsverantwortung kommen. Eine Formation, die lange unbeachtet blieb, bis vor den Wahlen 2011 eine Korruptionsaffäre der regierenden Zentrumspartei Finnland erschütterte und Soini Stimmung gegen das geplante EU-Hilfspaket für Portugal schüren konnte. Das alte Feindbild verschob er nach Westen, eine „reiche Sowjetunion“ sah er in der Europäischen Union, welche er bald näher kennenlernen sollte.

Im Mai 2015 wurde Soini Außenminister – und glücklich sah der beleibte Familienvater, der nur Parteiarbeit kannte, bei den damaligen Presseterminen nicht aus. In dieser Position konnte er seine Ideen der gesellschaftlichen Veränderungen nicht umsetzen. Angesichts der Flüchtlingskrise im Herbst vermochte er auch keine radikale Begrenzung der Aufnahme von Asylsuchenden durchzusetzen, noch fand seine Forderung Gehör, sein Land solle nur Christen aufnehmen. 

Anderen Parteien war er zu radikal

Soinis Beliebtheit sackte ab, allerdings konnte die Partei mit dem neuen, deutlich ausländerfeindlicheren Vorsitzenden Jussi Halla-aho 2019 das Wahlergebnis von 2015 wiederholen (mehr als 17 Prozent). Für eine Kooperation mit anderen Parteien war er zu radikal. Schließlich konnte sich 2021 mit Riikka Purra eine Frau durchsetzen, wohl auch, um in dem Land, wo Feminismus Staatsdoktrin ist, dem Image einer Partei frustrierter Männer entgegen zu wirken. 

Die 44-Jährige verkörpert die bodenständige Finnin, als Lehrerin tätig, Vegetarierin, die gerne mal Smoothie-Rezepte in den Sozialen Medien teilt. Als Mutter zweier Kinder mache sie sich laut eigener Aussage Sorgen über den Zustand des Landes und war deshalb geradezu gezwungen, sich politisch zu engagieren. So weit, so sympathisch. Doch warten vier harte Jahre auf die einkommensschwachen Finninnen und Finnen, die einen großen Teil der rechten Wählerschaft bilden. Ihrer Partei steht nun ein weiterer Praxistest bevor. 

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