Baerbock in Kiew und Moskau - Konfrontationen oder Glaubwürdigkeitsfalle

Bei ihren Besuchen in der Ukraine und Russland soll Annalena Baerbock im Auftrag der Kanzlerpartei SPD Deutschland als Brückenbauer zwischen Ost und West darstellen. Doch das entspricht nun gerade nicht der Haltung der EU, die der Ukraine Solidarität zusichert. Ob das ein Schritt in die Richtung der russischen Position ist, wird sich schon bald zeigen.

Unterwegs in Sachen Brückenbau: Annalena Baerbock / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Die Reisen von Außenministerin Annalena Baerbock innerhalb von zwei Tagen nach Kiew und Moskau sind in Inhalt und Stil eine ganz besondere Herausforderung. Zum ersten, weil die Erwartungen in der Ukraine und Russland an die Entscheidungen der Bundesregierung diametral unterschiedlich sind und Frau Baerbock entweder in Konfrontationen oder in eine Glaubwürdigkeitsfalle läuft. Zum zweiten, weil sie die Reisen in beide Staaten direkt miteinander verbindet, so als gehörten sie zusammen. Und drittens ist bemerkenswert, worauf die deutsche Außenpolitik dabei Bezug nimmt. Hier deutet sich eine Änderung an, die erhebliche Wirkung entfalten könnte. Sie müsste in EU und Nato zu Besorgnis über die Ausrichtung der Ostpolitik Deutschlands führen.

So wurde Baerbock von ihrem Koalitionspartner SPD mit auf die Reise gegeben, dass Deutschland „traditionell die Rolle als Brückenbauer zwischen Ost und West“ einnehme und diese Konzeption ihre Gespräche leiten solle. Das ist historisch zwar gleich mehrfacher Unsinn – zuletzt wurde die Rolle als Brücke von Jakob Kaiser in den 1950er-Jahren propagiert, die Ostpolitik von Brandt und Bahr griff gerade nicht auf das Brückenkonzept zurück – und legt zugrunde, dass Deutschland eben nicht im Westen verankert ist, sondern da nur einen Brückenkopf von zweien hat. Es überschätzt nicht nur die Fähigkeiten Deutschlands, sondern unterschätzt auch den Argwohn der Nachbarstaaten, sollte dieses Konzept handlungsleitend werden. Doch leitet es die ostpolitischen Vorstellungen der Partei an, die derzeit den Bundeskanzler stellt. Deshalb sind auch fundamental abwegige Positionen relevant, solange sie von Bundeskanzler Scholz nicht geräumt werden.

Die Bundesregierung hält an Nord Stream 2 fest

Sollte Baerbock vom Brückenbau zwischen Ost und West her denken, wird sie der Ukraine nicht versichern können, dass ihre territoriale Souveränität und Unabhängigkeit von Deutschland vollumfänglich unterstützt wird, so wie es der EU-Außenbeauftragte Borrell nach der Sitzung der EU-Außenminister in Brest verkündet hat. Der ukrainische Botschafter in Berlin hat die Bundesregierung zu Waffenlieferungen aufgefordert. Robert Habeck hatte im Wahlkampf erklärt, dass Deutschland der Ukraine die Lieferung von defensiven Waffen nicht verweigern könne. Aus der SPD wird überlegt, Helme und Schutzwesten zu senden. Sollte es so kommen, wie die größte Regierungspartei verlautbart, wissen nicht nur die Ukraine, sondern auch die Nato-Partner Deutschlands, dass man sich auf diese Bundesregierung außenpolitisch nicht verlassen kann. Denn dem Jubel über die Einheit der vereinbarten Prinzipen – jedes Land wählt seine Bündnispartner selbst, es werden nicht über die Köpfe betroffener Staaten Einflusszonen vereinbart – folgte dann ... nichts.

Das betrifft auch das zweite Thema, bei dem die deutsche Außenpolitik ein Alleinstellungsmerkmal im westlichen Bündnis hat. Bei aller Betonung von westlicher und europäischer Geschlossenheit resultiert auch aus dieser Solidarität ... nichts. Denn die Bundesregierung hält an Nord Stream 2 fest, obwohl alle anderen Staaten (außer Russland) darin einen Hebel zur geopolitischen Erpressung sehen. (Die Bundesregierungen haben sich dies selbst zuzuschreiben, weil sie die geopolitische Dimension der deutschen „Energiewende“ nicht kalkuliert haben. Inzwischen ist es freilich egal, durch welche Pipeline das dringend benötigte russische Erdgas fließt. Die anderen Pipelines schwächen die potentielle direkte Drohung nur leicht ab.) Wie immer also Nord Stream 2 bewertet wird, es ist ein spezifisch deutsches Interesse, das in der Ukraine als Sicherheitsbedrohung des Landes, in Russland als Sicherung der dringend benötigten Einnahmen aus dem Energiegeschäfte bewertet wird. Baerbock kann sich hier nicht auf eine allgemeine Position zurückziehen, sie müsste konkret werden. Das wird sie zu vermeiden versuchen.

Was ist eine entschlossene Reaktion?

Vor der Abreise drohte Baerbock: „Wir sind entschlossen, zu reagieren, wenn Russland... den Weg der Eskalation geht.“ Das ist nichtssagend und soll es wohl auch sein. War es schon eine Eskalation, dass mutmaßlich russische Hacker die Webseiten der ukrainischen Regierung zerstört haben? War es schon eine Eskalation, dass Russland die Dislozierung von Nuklearwaffen in Lateinamerika ins Spiel brachte? War es schon eine Eskalation, dass Russland Cyberangriffe von München bis Michigan androhte, falls seine Forderungen nach einer Einflusszone in Europa nicht erfüllt werden? Diese Ankündigungen waren direkt auf die USA gemünzt, den einzigen Staat, den die russische Regierung als ebenbürtig ansieht. Doch wie verhält sich die Bundesregierung, sollte es dazu kommen?

Dazu wird man sicher ebenso wenig erfahren wie zur Frage, was eine entschlossene Reaktion ist. Der designierte CDU-Vorsitzende Merz hat zu Recht auf die Rückwirkungen eines Ausschlusses Russlands aus dem globalen Zahlungssytem Swift hingewiesen. Darin sehen westliche Staaten derzeit die schärfste Sanktionsdrohung. Es ist das Problem mit allen Wirtschafts- und Finanzsanktionen: Sie beschädigen die Gesellschaften der sanktionierenden Staaten selbst (sonst sind nur von symbolischem Wert). Was gegenüber dem Iran und Nordkorea umgesetzt werden kann, wird an Russland scheitern. Deshalb ist die Vorstellung, dass Sanktionen alleine eine abschreckende Wirkung auf Russland entfalten können, nicht tragfähig. Ein „Brückenbauer zwischen Ost und West“ braucht ja auch gar nicht darüber nachzudenken. Da für Baerbock die Nato nicht aus „Panzern und Raketen“ besteht, sondern aus verbaler Einigkeit (eine Position, die mit der Sicherheitspolitik der SPD übereinstimmt), stellt sich die Frage, was der deutsche Beitrag zu einer entschlossenen Reaktion ist. Dass Baerbock diese Frage beantwortet, ist nicht zu erwarten.

Die Charta von Paris findet keine Erwähnung

Interessant ist, dass sich die Außenministerin und ihr Amt in den Beziehungen zu Russland vor dieser Reise auf die KSZE-Schlussakte von Helsinki von 1975 berufen. Darin sei die territoriale Unverletzlichkeit vereinbart worden. Das ist historisch korrekt. 1975 bestanden in Europa die sehr unterschiedlich gestalteten Einflusszonen von Sowjetunion und USA. Niemand dachte an ein Ende des Ost-West-Konflikts, sondern dessen Gefahren sollten durch entspannende Maßnahmen eingedämmt werden. 1990 wurde in Paris die Charta von Paris vereinbart (und auch von der damaligen Sowjetunion unterschrieben), die für Europa die Zukunft einer rechtsstaatlichen und demokratischen Entwicklung vorhersah. Sie findet im Zusammenhang mit der Reise von Baerbock nach Kiew und Moskau keine Erwähnung. Ob dies ein erster Schritt auf die russische Position zu ist, wird sich zukünftig weisen. Ob es das russische Außenministerium so liest, erfahren wir möglicherweise morgen schon.

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