Annalena Baerbock und die Grünen - Das leichtfertige Schwadronieren vom Krieg

Die deutsche Außenministerin sagt öffentlich, „wir“ würden im „Krieg gegen Russland“ kämpfen. Dann sollte sie aber die Möglichkeit im Auge behalten, dass „wir“ diesen Krieg auch verlieren könnten. Zumal Russland sich so bald nicht geschlagen geben wird.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock während eines Besuchs in Charkiw am 10. Januar 2023 / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Was in dieser Lage ein zusätzliches Unbehagen schafft, ist die manchmal schon ins Spielerische gehende Unbedarftheit, mit der auch deutsche Spitzenpolitiker über Krieg und Frieden schwadronieren. Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Oktober vorigen Jahres offenbar aus einer Laune heraus twitterte, „wir sind im Krieg mit Putin“, konnte man das noch als den Lapsus eines fachfremden und ohnehin verhaltensauffälligen Mitglieds der Bundesregierung abtun. 

Wenn hingegen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) solche Sätze über die Lippen gehen, noch dazu bei einer öffentlichen Veranstaltung mit internationaler Beteiligung, müssten die Alarmglocken läuten. Zwar waren die Grünen-Claqueure beim ZDF schnell dabei, entsprechende Kritik an Baerbock als böswillig zu brandmarken. Aber allein die Tatsache, dass die oberste deutsche Diplomatin vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg zu Protokoll gab, „wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, zeugt von einer mindestens großen Ungeschicklichkeit auf höchster politischer Verantwortungsebene.

Unprofessionalität in bisher nicht gekanntem Ausmaß

Zumal Baerbock ihren Satz am vorigen Dienstag exakt einen Tag aussprach, bevor Deutschland die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine bekanntgab. Die ganze Zögerlichkeit des Bundeskanzlers zeugt nun aber gerade davon, wie sensibel diese Frage von Olaf Scholz behandelt wird, der aus sehr nachvollziehbaren Gründen um jeden Preis vermeiden will, die Bundesrepublik in die Rolle einer Kriegspartei hineinrutschen zu lassen und damit Putins Narrativ zu bestätigen, der Westen stünde in einem unmittelbaren militärischen Konflikt mit Russland.

Doch dann kommt die Außenministerin daher, um genau das zu konterkarieren. Das ist Unprofessionalität in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Es ist diese „Hoppla, jetzt komm’ ich“-Mentalität, diese Unernsthaftigkeit, diese Eventisierung eines brandgefählichen Konflikts auf europäischem Boden, der vielen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes Sorgen bereitet, und zwar völlig zu Recht.

Tierbildchen und Leggings

Wenn eine extrem heikle Angelegenheit wie etwa das Kampfpanzer-Dilemma mit lustigen Tierbildchen aus der afrikanischen Wildnis unterlegt wird oder die Ukraine-Unterstützer sich mit Leggings im Leoparden-Look zeigen, ist das der Ernsthaftigkeit der Situation schlicht unangemessen. So geschehen etwa auf Twitter unter dem Hashtag #FreeTheLeopards. Der Ukrainekrieg ist aber kein Videospiel, und die Luftaufnahmen explodierender Munitionsdepots sind keine Netflix-Produktion, sondern sie zeigen den Tod von Menschen. 

Nochmal: Das alles ist keine Doku-Soap. Insofern ist es wirklich erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade die Grünen als einstige Fundamental-Pazifisten darauf setzen, den Krieg durch die Lieferung von immer mehr Waffen zugunsten der Ukraine zu wenden: Es ist die Alternativlosigkeit von Gewalt, die da propagiert wird, und die deutsche Außenministerin höchst selbst plappert vom Krieg. Da kann man als Beobachter auch schon mal unruhig schlafen.

Gute Gründe für Ukraine-Hilfe

Die Gründe für eine militärische Unterstützung der Ukraine bleiben selbstverständlich bestehen: Das Land sieht sich einem Vernichtungsfeldzug des russischen Aggressors ausgesetzt, den es ohne Hilfe von außen kaum überstehen würde; ein schneller Durchmarsch der Russen bis nach Kiew oder noch weiter gen Westen würde den Kreml mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weiterer Landnahme anregen; Peking könnte sich animiert fühlen, dem Beispiel Moskaus zu folgen und in Taiwan einzufallen. Und so weiter und so fort.

Aber es zeugt eben auch von politischer Unreife, wenn die vielen Sofa-Strategen und Ex-Pazifisten, die sich allein schon beim Wort „Geopolitik“ noch vor einem Jahr mit Grauen abgewendet haben, angesichts der Lieferung von Leo-2-Panzern jetzt in infantiles Jubelgeschrei verfallen.

Denn die Eskalationsspirale dreht sich ja ersichtlich immer weiter: War vor elf Monaten noch von Schutzhelmen die Rede, sind wir jetzt bei Kampfpanzern angelangt – und reden bereits über die mögliche Lieferung von Kampfjets an die Ukraine. Das alles, während der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sich im Trachtenjanker auf Twitter zeigt und seinen Followern voller Freude über die Waffenlieferungen fröhlich mit bayerischem Bier zuprostet. Es ist unfassbar.

Die Zeit auf Putins Seite

Zumal mit solchen komödiantischen Inszenierungen der Eindruck erweckt wird, als wäre es jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis Putin einknickt und sich aus der Ukraine zurückzieht. Dass genau das nicht geschehen wird, darin sind sich aber so ziemlich alle einig, die mit einem halbwegs realistischen Blick auf den Kriegsschauplatz sehen.
 

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Das politische (und physische) Überleben des russischen Präsidenten ist unmittelbar daran geknüpft, Russland nicht als Verlierer aus diesem Konflikt hervorgehen zu lassen. Putin wird deshalb auf keinen Fall klein beigeben, und er weiß die Zeit auf seiner Seite.

Denn im Gegensatz zur Ukraine verfügt Russland schlicht über ein wesentlich größeres Mobilisierungspotential, was die schiere Truppenstärke angeht – und wird es auch nutzen. Man sollte deshalb die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass der russische Militärapparat langsam in Fahrt kommt – zwar schlecht, aber nicht ohne Ergebnis.

Was, wenn der Ukraine die Soldaten ausgehen?

Wie also soll es weiterlaufen, wenn dem ukrainischen Militär irgendwann vielleicht die Soldaten ausgehen? Kommt dann nach gelieferten Kampfjets womöglich nicht doch irgendwann die Forderung auf, der Westen müsse der Ukraine jetzt aber endlich auch mit eigenen Truppen zur Seite stehen? Es wäre jedenfalls die beinahe schon logische Konsequenz aus der immer breiter werdenden Militärhilfe für ein Land, das derzeit auch noch mit etlichen Korruptionsskandalen zu kämpfen hat. Das alles schafft bei Lichte besehen wenig Vertrauen.

Wie gesagt: Die Ukraine hat Unterstützung verdient; es wäre falsch, ein überfallenes Land mit Außengrenzen zur EU in dieser existentiellen Notlage einfach im Regen stehen zu lassen. Aber es sind bei alledem eben auch sehr ernstzunehmende deutsche Interessen im Spiel, denen mit auftrumpfendem Kriegsgeschrei und „Lasst die Leoparden frei!“-Kundgebungen nicht unbedingt genüge getan ist. Olaf Scholz hat das sehr genau erkannt – und er handelt entsprechend. Eine Patentlösung existiert ohnehin nicht.

Naivität oder Absicht?

Wer wie Baerbock aber aus Versehen, aus Naivität (oder womöglich sogar in voller Absicht) öffentlich bekundet, „wir“ würden im „Krieg gegen Russland“ kämpfen, sollte stets im Hinterkopf behalten, dass „wir“ diesen Krieg auch verlieren könnten. Es wäre übrigens nicht der erste. Und dann? Vielleicht fällt der deutschen Außenministerin demnächst ja auch dazu ein flotter Spruch ein.

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