
- „Alles hängt von Putin ab”
Marina Litwinenko, Witwe des 2006 in London vergifteten Alexander Litwinenko, über den Mordversuch am russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seiner Tochter Julia, die Handlungsschwäche der britischen Regierung und die Rolle von Wladimir Putin
Marina Litwinenko hat derzeit ein Déjà-vu der besonders schrecklichen Art. Sie ist die Witwe des ehemaligen russischen FSB-Offiziers Alexander Litwinenko, der 2006 in London laut einem britischem Untersuchungsbericht von 2016 von russischen Ex-Kollegen mit dem radioaktiven Gift Polonium umgebracht worden war: „Die FSB-Operation, Herrn Litvinenko umzubringen, ist wahrscheinlich von Herrn Patruschew und Präsident Putin genehmigt worden“, heißt es dort. Der mutmaßliche Mörder von Litwinenko, Andrei Lugowoi, sitzt heute als Abgeordneter in der Duma, dem russischen Parlament.
Nicht nur Skripal wurde offenbar vergiftet
Jetzt ist wieder ein russischer Ex-Spion vor aller Augen vergiftet worden. Am Sonntag, dem 4. März 2018, war Sergej Skripal auf einer Parkbank im englischen Salisbury zusammengebrochen. Seine 33-jährige Tochter Julia neben ihm ebenfalls. Die beiden liegen im Koma im Krankenhaus. Acht Tage später, am 11. März, wurde Nikolai Gluschkow tot in seiner Wohnung im Süden Londons aufgefunden. Er ist ein Freund des 2013 tot aufgefundenen russischen Ex-Oligarchen Boris Beresowski. Die Todesursache ist noch unklar. Gluschkow hatte jahrelang behauptet, Beresowski sei ermordet worden.
Großbritanniens Premierministerin Theresa May machte im britischen Parlament am Mittwoch klar: „Der russische Staat ist für den Mordversuch an Herrn Skripal und seiner Tochter verantwortlich.” Außenminister Boris Johnson ging in einem Radiointerview am Donnerstag noch weiter: „Die Botschaft Moskaus ist klar: ‚Wir werden dich finden, wir werden dich fangen, wir werden dich umbringen‘”. Die britische Regierung hat gegen Russland symbolische Strafmaßnahmen ergriffen – 23 russische Diplomaten werden aus Großbritannien ausgewiesen. Die königliche Familie wird nicht zur Fußball-Weltmeisterschaft im Juni nach Moskau reisen. Die Briten hoffen, dass die westlichen Partner mitziehen. US-Präsident Donald Trump schickte nach einigem Zögern eine Solidaritätsbotschaft per Twitter. Die Uno-Botschafterin der USA, Nikki Haley, machte bei einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ebenfalls Russland für das Gift-Attentat verantwortlich.
Maria Litwinenko fordert deutsche Solidarität
Der Witwe Litwinenko gehen die Maßnahmen der Briten nicht weit genug. Wir treffen Sie in einem Londoner Bioladen zum Interview. Dort bestellt sie einen grünen Tee.
Frau Litwinenko, hat die britische Regierung zu wenig getan, um diese Morde zu verhindern?
Natürlich. Theresa May hat am Tag nach dem versuchten Mord an Sergej Skripal genau das Gleiche gesagt, was sie zu mir nach Ende der Untersuchung des Mordes an meinem Mann vor zwei Jahren gesagt hat . „Wir werden alles unternehmen, um solche Taten zu verhindern.” Passiert ist nichts.
Was hätte die britische Regierung denn unternehmen können?
Sie sollte diese Morde und Mordversuche als das bezeichnen, was sie sind: Terroranschläge. Dann sollte sie jenen russischen Beamten und Politikern, die dahinter stecken, die Erlaubnis entziehen, hierherzukommen. Man sollte ihre Häuser beschlagnahmen. Es gibt dafür eine Vorlage, die Magnitzki-Liste, die in Amerika als Grundlage für solche Maßnahmen dient: Alle Politiker und Beamte, die 2009 an dem Mord des Anwalts Sergej Magnitzki in Moskau beteiligt waren, dürfen nicht mehr in die USA reisen. In Großbritannien aber hat man versucht, trotz des Mordes an meinem Mann die guten Geschäftsbeziehungen mit Russland nicht zu gefährden. Doch jetzt, nach dem versuchten Mord an Sergei Skripal haben hoffentlich alle verstanden, dass man nicht von allen Geld annehmen sollte. Großbritannien sollte endlich die Magnitzki-Liste annehmen und auf jene ausweiten, die hinter weiteren Morden stecken. Es braucht internationale Solidarität mit den Briten von Seiten der Europäer. Deutschland ist besonders wichtig.
Theresa May hat klar gesagt, dass die russische Regierung verantwortlich ist. Was weiß sie, was wir nicht wissen?
Theresa May würde so eine Anschuldigung nicht machen, wenn sie nicht konkrete Informationen hätte. Wir wissen, dass das Nervengas Novichok nur in Russland produziert wird. Meiner Erfahrung nach hängt alles in Russland von Wladimir Putin ab. Vielleicht hat er nicht direkt den Auftrag für diese jüngeren Operationen gegeben, aber er wird sie abgesegnet haben. Als Sergej Skripal 2010 im Austausch für russische Spione nach England geschickt wurde, da sagte Putin: „Die Verräter werden an ihren Silbermünzen ersticken.“
Die russische Regierung sagt jetzt allerdings, dass sie nichts mit der Sache zu tun habe. Man spricht von „Zirkus“ und von „britischer Paranoia“.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Russlands Außenminister Sergej Lawrow so abfällig reagieren kann. Seine Sprecherin hat behauptet, dass die Briten illegale Schritte einleiten. Das stimmt überhaupt nicht. Völlig unverständlich ist mir, dass sich die russische Regierung nicht dafür zu interessieren scheint, dass Julia Skripal, eine russische Staatsbürgerin, hier vergiftet wurde. Die sollten doch ihre eigene Untersuchung beginnen. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, dass wir auf Beweise warten sollten und dass wir nicht emotional reagieren dürfen.
Kennen Sie Sergej Skripal?
Nein.
Nikolai Gluschkow haben Sie aber doch sicher im Umfeld von Boris Beresowski oft getroffen?
Ja. Er war ein sehr freundlicher Mensch, künstlerisch veranlagt. Ich habe ihn das letzte Mal 2015 getroffen, er kam als Zeuge zu der öffentlichen Untersuchung über den Tod meines Mannes. Ich habe gehört, er habe gerade eine Fußoperation gehabt. Nichts, woran man so einfach sterben könnte.
Haben Sie jetzt Angst um sich selbst?
Ich sehe es als meine Aufgabe, die Arbeit meines Mannes Sascha weiterzuführen. Er wollte immer aufklären. Er hat immer mit Journalisten gesprochen. Er kann es nicht mehr tun. Also erhebe ich meine Stimme.